KURIER: Wie unwichtig wird die heimische Politik aus der Entfernung? Oder hat es Ihnen bei der langen Regierungsbildung in Österreich dann doch manchmal „die Schuhe ausgezogen“, wie es so schön heißt?
Magnus Brunner: Ich bitte um Verständnis, dass ich mich zur Regierungsbildung nicht äußern kann – wichtig ist aber, dass Österreich eine stabile Regierung hat als Ansprechpartner für die Europäische Kommission. Es geht in nächster Zeit ja um wichtige Entscheidungen.
Nein, aber natürlich sind interimistische Regierungen schwierig, weil es die Bedeutung eines Staates reduziert, das sieht man auch in Deutschland.
Sie haben in Wien keine so gute Nachrede. Das Budgetloch war größer als erwartet. Tut Ihnen das weh?
Was ist geschehen? Die wirtschaftliche Entwicklung ist dramatisch eingebrochen.
Das öffentliche Defizit betrug zu Jahresende 3,8 Prozent – ein Verstoß gegen die Maastricht-Kriterien.
Bei der Budgeterstellung lagen die Prognosen der Wirtschaftsforscher bei einem Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent. Am Ende waren es dann aber minus 0,6 Prozent. Jedem Land in der EU geht’s gleich, die Franzosen liegen bei sechs Prozent Defizit.
Frankreich ist aber ein besonders schlimmes Beispiel.
Klar, das war nicht unser Anspruch, wir wollten immer zu den Besseren gehören. Jetzt liegen wir im Mittelfeld der Europäischen Union. Wir hatten aber auch einige Herausforderungen budgetärer Natur wie etwa die veränderte Sicherheitssituation, insbesondere im Verteidigungs- und Energiebereich. Wir haben hier in den vergangenen Jahrzehnten relativ wenig investiert. Außerdem mussten wir die Wirtschaft in den Krisen unterstützen. Und natürlich bedeutete auch die Abschaffung der Kalten Progression Mindereinnahmen.
Zum Teil nimmt das die neue Regierung nun ja auch wieder zurück.
Das finde ich schade, weil es eine Jahrzehnte-Reform war. Aber ich will mich da nicht einmischen. Froh bin ich, dass die neue Regierung die noch von uns vorgeschlagenen Einsparungen, wie die Absenkung der Förderquote auf das europäische Durchschnittsniveau, umsetzen will, um ein Defizitverfahren zu vermeiden. Das wäre für den Finanzplatz Österreich von Nachteil.
Mittlerweile beschäftigen Sie sich mit Migration – das Thema war Ihnen nicht in die Wiege gelegt. Davor waren Sie mit Energie, dann mit Finanzen und ehrenamtlich auch mit Tennis beschäftigt. Böse Zungen haben bei Ihrer Ernennung gemeint, das Ressort sei die Rache von Ursula von der Leyen an Österreich gewesen, weil wir keine Frau entsendet haben und außerdem der EU-Migrationspolitik gegenüber immer besonders kritisch waren. Wie sind Sie zu diesem Ressort gekommen?
Ich gebe zu, dass ich auch überrascht war. Die Frau Präsidentin hat es damit begründet, dass sie jemanden mit pragmatischem Zugang gesucht hat, der Brücken bauen kann und nicht polarisiert. Mein juristischer Hintergrund hat vielleicht auch geholfen. Es ist eines der Themen, die in den nächsten fünf Jahren im Mittelpunkt stehen werden.
Hatten Sie Angst, beim Hearing durchzufallen?
Angst nicht – aber Respekt. Die Vorbereitung war herausfordernd, und es war alles andere als klar, dass ich gleich beim ersten Anlauf die Zweidrittelmehrheit schaffe bei diesem heiklen Dossier. Wir Österreicher haben diesbezüglich aber Erfahrung durch die Untersuchungsausschüsse.
Jetzt müssen Sie das Unmögliche möglich machen. Nur jeder fünfte Asylwerber mit negativem Bescheid verlässt die EU. Wie soll das besser funktionieren?
Wir haben eine gute Grundlage mit dem neuen EU-Migrationspakt. Es gibt noch einige fehlende Puzzleteile, etwa die Rückführungen. Dazu werde ich kommende Woche eine ambitionierte Reform präsentieren. Und wir werden Abkommen mit Drittstaaten außerhalb der EU schließen müssen.
Das ist natürlich schwierig, weil die Situation dort noch nicht so stabil ist, dass man Menschen unbedenklich rückführen könnte. Aber auch das muss angedacht werden. Wir müssen außerdem die freiwillige Rückkehr vorantreiben, und wenn das nicht klappt, mit Entschlossenheit – aber fair – vorgehen. Menschenrechte sind einzuhalten.
Ist es nicht ein Problem, dass Höchstrichter auf nationaler und EU-Ebene immer alle Rückführungen vereiteln?
Man muss sich an die Rechtsstaatlichkeit halten – da dürfen keine Zweifel aufkommen. Wir werden jedoch die gesetzlichen Voraussetzungen für neue Ansätze wie Rückführungszentren schaffen. Wichtig ist, dass wir jene, die eine Gefahr für die Sicherheit in Europa darstellen, schneller und unkomplizierter abschieben können.
Was lässt sich präventiv gegen Anschläge tun?
Das hängt sehr mit der Online-Radikalisierung zusammen. Wir wollen mit dem Digital Services Act die Plattformen mehr in die Verantwortung nehmen. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz habe ich mit Vertretern dieser Plattformen darüber gesprochen. Auch Europol wird eine große Rolle spielen, um Radikalisierung zu verhindern und Terrorismusakte frühzeitig zu erkennen.
Stehen wir an einer Zeitenwende? Man betrachte den Umgang der USA mit dem ukrainischen Präsidenten. Muss die EU mehr Verantwortung übernehmen?
Die EU muss zuerst ihre eigenen Hausaufgaben machen, statt immer nur alles zu kommentieren, was aus den USA kommt. Wir brauchen die USA als guten Partner, aber die EU sollte sich auch neue Partner suchen. Wir waren zum Beispiel gerade in Indien und haben Sicherheits- und Wirtschaftsfragen besprochen. Auch wenn ich nicht dafür ressortzuständig bin, halte ich solche Handelsabkommen für enorm wichtig. Daran arbeiten wir.
EU-Kommissar Magnus Brunner zu Gast in der KURIER TV-Sendung
Kann die EU allein Frieden schaffen zwischen Russland und der Ukraine?
Nein, da müssen mehrere zusammenarbeiten. Auch die USA allein werden es nicht schaffen.
Was werden Sie gegen die große EU-Skepsis der Österreicher tun?
Die Errungenschaften der EU besser erklären: Bewegungsfreiheit im Schengenraum, Euro, freier Handel. Und in Krisensituationen haben wir nur als geeinte Europäische Union eine Chance.
In der Bundesregierung galten Sie immer als der „Mister nice guy“. Hätten Sie als Finanzminister manchmal härter sein müssen?
Es ist ja kein Schaden, wenn Politiker versuchen, auch freundlich zu sein. Ja, vielleicht war ich manchmal zu wenig hart. Aber das Dilemma eines Finanzministers ist: Wozu sagt man „nein“? Genau jene, die mehr Härte fordern, wollen das in ihrem Fall nicht – seien es die Bundesländer beim Finanzausgleich, sei es die Industrie beim Energiekostenzuschuss, sei es die Verteidigung, die mehr Budget braucht, sei es die Wissenschaft, die die Universitäten neu finanziert haben wollte. Natürlich haben wir oft dagegen gehalten.
Und dazu gab es auch noch den „Nanny-Staat“, den Sie selbst eigentlich immer kritisiert haben.
Beim letzten Finanzausgleich haben wir ausgemacht, dass die Transparenzdatenbank von Ländern, Gemeinden und Bund befüllt wird, um Doppelgleisigkeiten abzuschaffen. Allein die Förderungen auf EU-Schnitt zu senken, würde 3,5 Milliarden Euro pro Jahr sparen. Das Anspruchsdenken ist aufgrund der Krisen – Pandemie, Krieg, Teuerung – gestiegen.
Wie viele Kilo haben Sie in Brüssel schon zugenommen? Jeder, der dort lebt, behauptet, das passiert.
Momentan bin ich so viel in den Mitgliedsstaaten unterwegs, dass ich noch nicht zum Zunehmen gekommen bin.
Sie hatten als Finanzminister einen schweren Unfall mit einem E-Scooter. Werden Sie je wieder mit so einem Gefährt unterwegs sein?
Die sind in Brüssel ja sehr beliebt. Aber ich denke, wenn es nicht unbedingt notwendig ist, werde ich es vermeiden.
Magnus Brunner ist seit Ende des Vorjahres neuer Kommissar für Inneres und Migration der Europäischen Union. Der Jurist mit Post-Graduate-Ausbildung am King’s College in London war von 2021 bis 2024 ÖVP-Finanzminister und davor, ab 2020, Staatssekretär für Energie im Umweltministerium unter der grünen Ministerin Leonore Gewessler.
Das Thema hatte ihn bereits davor in der Privatwirtschaft beschäftigt: In der OeMAG, der Abwicklungsstelle für Ökostrom, war er Vorstandsvorsitzender.
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