"Es gibt Wichtigeres als Deutsch"

Ohne Ankündigung: Zu Besuch in drei Islam-Kindergärten
Lokalaugenschein in islamischen Kindergärten: Oft ist die Umgangssprache Türkisch – und alles halal.

"Sie können nicht grüßen, weder ,Bitte‘ noch ,Danke‘ sagen, den Stift nicht halten oder nicht einmal die Hose aufmachen, wenn sie aufs Klo müssen", behauptete die Direktorin der Volksschule Grubergasse jüngst im KURIER-Interview. Sie hat damit die Kinder von den umliegenden türkischen Kindergärten gemeint.

Wie schlimm das Problem wirklich ist, will ich gemeinsam mit meiner Frau herausfinden: Zwei Österreicher mit türkischem Hintergrund, die für ihren fiktiven Fünfjährigen einen Kindergartenplatz suchen. Im Kinderwagen unser Baby.

Abgeschottet

Kaum betrete ich den ersten Kindergarten in einer Seitenstraße der Thaliastraße, spricht mich eine herzige Vierjährige auf Türkisch an: "Senin adın ne?" Meinen Namen will sie wissen. Ein älterer Herr, wohl auch ein Türke, schaut aus seinem Büro heraus und bittet uns freundlich hinein.

Bevor ich eine Frage stellen kann, übergibt er uns sein Mobiltelefon. Ich soll mit seiner Frau sprechen, sie sei die Chefin. Die Dame am anderen Ende der Leitung macht mich sofort darauf aufmerksam, dass für September kein Platz mehr frei ist– dennoch gibt sie sich sehr gesprächig. Vor allem, warum ihr Kindergarten bestens aufgestellt ist, nicht so wie viele andere türkische Kindergärten in der Umgebung, wo es so viele Missstände geben soll.

Als ich ihr klar mache, dass das Erlernen der deutschen Sprache für uns ganz wichtig ist, kann ich kaum glauben, was sie mir antwortet: "Es gibt wichtigere Sachen als die deutsche Sprache", findet sie. Und verweist erneut auf viel schlechtere Zustände in anderen türkischen Kindergärten:

"Inşallah wirst du einen guten Kindergarten für dein Kind finden." Sie unterstreicht damit, dass sie eine gläubige Frau ist, der Radikalität oder Extremismus aber sichtlich fremd sind.

Daran wäre ja nichts auszusetzen, aber wie geht’s den Kindern? Ihr Mann nimmt uns mit zu einer Gruppe, die gerade rund um einen Tisch sitzt und spielt. Sobald die Kinder uns sehen, fragt ein kleines Mädchen, wem das Baby im Kinderwagen gehört. Auf Türkisch. Bei den Kindern handelt es sich meist um türkischstämmige Kinder, und sie reden miteinander fast nur Türkisch.

Die kopftuchtragende Pädagogin in der Runde spricht selbst gut Deutsch, schaut die Kinder immer wieder ratlos an, wenn Türkisch geredet wird. Denn Türkisch kann die arabischstämmige Dame nicht. Außerdem, erfahre ich, wird dieser Kindergarten ohnehin bald schließen, nach 20 Jahren. "Zuviel Arbeit", stöhnt der Mann.

Gebrochenes Deutsch

Schauplatzwechsel: Ein paar hundert Meter weiter. Die Kindergarten-Chefin, auch eine türkische Migrantin, hatte früher fünf Kindergärten, jetzt nur mehr einen. "Das ist viel bequemer. Mehr Kindergärten, mehr Probleme", sagt die junge Frau.

Damit bestätigt sie nur, was ich schon von Betreibern aus Wien-Donaustadt gehört habe. Nach Einführung der Kindergartenpflicht ab fünf Jahren herrschte Goldgräberstimmung: Kindergärten schossen wie Schwammerl aus dem Boden, sodass viele Betreiber gleich mehrere Kindergärten öffneten. Die Auflagen und Kontrollen durch die Stadt wurden lange nur lasch wahrgenommen. Wer schlau war, konnte viel Geld verdienen. Doch es wird jetzt mehr kontrolliert, viele Betreiber ziehen sich zurück.

Im Kindergarten werkt eine polnischstämmige Pädagogin – mit gebrochenem Deutsch. Sie zeigen uns eine bunte Mappe mit den aktuellen Vorschulübungen: Zeichnen, Malen und sogar ein bisschen Rechnen. Die Vorbereitung auf die Schule funktioniert offenbar. Eine echte Durchmischung der Kinder konnten wir dennoch nicht feststellen. Zwar gibt es nicht nur türkische Kinder, aber ein Kind mit Muttersprache Deutsch finden wir auch hier nicht.

Nur "halal"

Dritter Versuch, wieder bei einem türkischen Betreiber in Ottakring: Freudig begrüßen uns auch Kinder mit Muttersprache Deutsch. Die Pädagogin heißt Lisa (Name von der Redaktion geändert) und kommt aus Wien: "Früher habe ich im fünften Bezirk gearbeitet. Da gab es nur türkische Kinder, das war nicht gerade einfach. Obwohl wir uns mit den Kindern doch auf die gemeinsame Sprache Deutsch geeinigt haben", lacht die erfahrene Pädagogin.

Die türkische Betreiberin lässt sich heute gar nicht blicken. Es sieht so aus, als hätte sie die Leitung komplett Lisa überlassen. In einer angenehmen Atmosphäre erzählt sie uns über die Vorbereitungen für die Schule. Selbstständigkeit fördern, Konzentration steigern und vieles mehr.

Dabei sind die Kinder vor uns noch sehr klein. "Ja, die sind zwei Jahre alt", sagt Lisa. "Ich bin doch noch nicht zwei", mischt sich ein kleiner Bub ein. Lisa bedauert, dass sie mit den Kindern nicht schwimmen gehen kann. Dafür müssten sie eine Schwimmlehrerin engagieren, doch das ist zu teuer. Immerhin, einmal pro Woche komme eine Sing- und Tanzlehrerin. Auch ein kleines Theaterstück ist im Programm.

Das Essen ist, wie auch in den anderen zwei Kindergärten, natürlich halal. Das scheint für viele türkische Eltern das wichtigste Kriterium bei der Kindergartenwahl zu sein, wie auch die Direktorin des Kindergartens in der Grubergasse unterstrich.Wir verabschieden uns und schauen uns vor der Tür ein wenig ratlos an.

Islamisten oder Salafisten haben wir keine entdeckt. Und kein einziges Kind trug Kopftuch. Probleme sahen wir aber durchaus schon: Bei der Sprachförderung, bei der Durchmischung der Gruppen. Die Stadt verspricht, ihre Kontrollen auszuweiten und dabei penibler zu sein.

Fazit: Für mich bleibt es skandalös, dass viele Maßnahmen erst jetzt ergriffen werden.

Größtes Problem bei der Integration von Ausländern ist die Sprache. Die Bildungsdokumentationen weisen immer wieder darauf hin, dass fehlende Deutschkenntnisse schon im Kindergarten festgestellt werden, und für manche Kinder über die ganze Bildungskarriere zu einem zunehmenden Problem werden.

Integrationsminister Sebastian Kurz sieht als eine Ursache "islamische Kindergärten", er beruft sich dabei vor allem auf die umstrittene Studie des Wiener Islamforschers Ednan Aslan, der "ausgewählte islamische Kindergärten in Wien" evaluiert hat. Umstritten ist die Studie deshalb, weil der Verdacht besteht, dass der Auftraggeber – das Integrationsministerium – wesentliche Aussagen der Studie umgeschrieben und zugespitzt haben soll. Die Studie wird nun von Experten untersucht.

Der KURIER versucht, die wichtigsten Fragen der heiklen Debatte zu beantworten.

Was ist ein islamischer Kindergarten?

Islampädagoge Ednan Aslan orientiert sich in seiner Studie an bestimmten Kennzeichen, die einen "islamischen Kindergarten" ausmachen, etwa wenn Halal-Essen angeboten wird, es "sichtbare Symbole der islamischen Religion" (etwa die kalligrafische Darstellung des Wortes Allah) gibt oder die Kindergartenbetreiber ausschließlich muslimische Privatpersonen oder Vereine sind. Allerdings betreiben auch viele katholische Privatpersonen Kindergärten, die deshalb nicht "katholisch" oder religiös sind.

Wie viele islamische Kindergärten gibt es in Wien?

Da auch die Stadt Wien infrage stellt, was "islami-sche Kindergärten" sein sollen, gibt es keine offiziellen Angaben. Aslan geht in seiner Studie (vom Dezember 2015) von 150 Kinderbetreuungseinrich-tungen aus. Rund 10.000 Wiener Kinder würden dort betreut. Die Stadt Wien hat bei Aslan wiederholt nachgefragt, wo genau "islamische Kindergärten" sein sollen, eine klare Antwort blieb der Uni-Professor bisher schuldig. Jetzt soll eine neue, umfassende Studie der Uni Wien, die noch im September veröffentlicht werden soll, Klärung bringen.

Wo liegt dann das eigentliche Problem?

Viele türkische Gastarbeiterfamilien leben schon lange in Österreich und können Deutsch auch nach Jahrzehnten oft nur in Satzfragmenten. Daher beherrschen auch die Kinder kaum Deutsch, wenn sie in den Kindergarten kommen. Wenn dort dann alle anderen Kinder auch nur Türkisch sprechen, hilft auch die geltende Deutsch-Pflicht nicht ausreichend. Die Kindergärtnerinnen sind zudem oft nicht ausreichend ausgebildet, um Deutsch vermitteln zu können. Der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft schlägt deshalb eine "Quotenregelung für Kindergärten" vor, die Idee ist allerdings umgehend auf viel Widerstand gestoßen.

Betreiben die türkischen Vereine Kindergärten?

Ja, aber nur wenige: Die AKP-nahe ATIB betreibt drei, die religiöse türkischen Milli-Görüş-Bewegung vier Kindergärten. Die ebenfalls religiöse Süleymancılar ("Anhänger Süleymans") unterhält sechs. Zudem gibt es viele kleinere, meist türkisch-religiöse Vereine, die Kindergärten betreiben. Dazu gibt es einige Kinderbetreuungseinrichtungen, die der ägyptischen Muslimbruderschaft nahestehen.

Bietet auch die Stadt Wien Halal-Essen an?

Nein, ebenso wenig wie koscher oder vegan. Eltern können ihren Kindern aber spezielles Essen mitgeben, es kann in jedem Kindergarten warm gemacht werden.

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