Fast eine Million hat Probleme beim Lesen

Fast eine Million hat Probleme beim Lesen
Die OECD hat das heimische Bildungsniveau getestet: Beim Lesen wird geschwächelt, dennoch liegt Österreich im Durchschnitt.

Bei Kindern macht man die Tests bereits seit Jahren, jetzt hat die OECD erstmals auch das Bildungslevel Erwachsener unter die Lupe genommen. Das Ergebnis ist keineswegs nur erfreulich: Fast eine Million Menschen in Österreich verfügt nur über eine geringe Lesekompetenz, so die Hauptaussage der OECD-Studie "Programme for the International Assessment of Adult Competencies" (PIAAC), die am Dienstag veröffentlicht wurde.

Immer im Schnitt

Im internationalen Vergleich liegt Österreich damit beim Erwachsene-PISA unter 24 Staaten im OECD-Durchschnitt: Im Lesen erreichten sie einen Mittelwert von 269 Punkten, das ist leicht unter dem OECD-Schnitt (273). In der Mathematik kamen sie auf einen Mittelwert von 275 und liegen damit leicht über den OECD-Schnitt (269). Beim Problemlösen lagen die Österreich-Werte praktisch genau im Schnitt, wobei in diesem Feld keine Punktewerte erhoben wurden, sondern der Prozentsatz der Personen ausgewiesen wurde, die die beiden höchsten Kompetenzstufen erreichten (Österreich: 32,5 Prozent; OECD: 34 Prozent).

Skandinavien ist auch hier vorn

Leseschwache Österreicher

Beim Lesen erreichten 8,4 Prozent der Österreicher die beiden höchsten Kompetenzstufen (4 und 5). Das bedeutet, dass sie in der Lage sind, "sehr komplexe Aufgaben zu lösen, in denen Informationen aus unterschiedlichen, sehr dichten Texten mit widersprüchlicher Information gesucht und zusammengeführt werden müssen". Damit liegt Österreich bei den Top-Lesern signifikant unter dem OECD-Durchschnitt (11,8 Prozent).

Fast eine Million hat Probleme beim Lesen
Österreich im Vergleich zum OECD-Schnitt - Einteilung auf einer sechsstufigen Skala von höchster bis niedrigster Lesekompetenz - Balkengrafik Grafik 1209-13-Bildung.ai, Format 88 x 70 mm
Umgekehrt verfügen in Österreich 17,1 Prozent der 16- bis 65-Jährigen über eine niedrige Lesekompetenz und sind dadurch mit möglichen Benachteiligungen in Beruf und Alltag konfrontiert. Das entspricht dem OECD-Schnitt. Diese Gruppe lässt sich nochmals differenzieren: Bei 1,8 Prozent waren die Lese- und Sprachfähigkeiten zu gering, um überhaupt an PIAAC teilzunehmen. 2,5 Prozent konnten höchstens konkrete einzelne Informationen in kurzen Texten identifizieren, bei ihnen war das Verständnis für Satzstrukturen nur in geringem Ausmaß vorhanden (Stufe unter 1). 12,8 Prozent verstanden zwar kurze, in unterschiedlichen Textformaten (z.B. digital oder gedruckt) mit etwas ablenkender Information und verstanden Satzstrukturen. Allerdings hatten sie Probleme, etwas längere Texte mit widersprüchlicher Information zu verstehen (Stufe 1).

Männer liegen vor Frauen

Männer schnitten in allen drei Kompetenzbereichen besser als Frauen ab. Im Lesen war der Geschlechterunterschied gering, bei der Alltagsmathematik und beim Problemlösen sehr deutlich. Die besten Ergebnisse erzielte jeweils die Personengruppe um 30 Jahre.

Weitere Ergebnisse: Personen mit höherem Bildungsabschluss erreichten erwartungsgemäß auch ein höheres Kompetenzniveau, Erwerbstätige erzielten bessere Ergebnisse als Arbeitslose und Nicht-Erwerbspersonen.

Deutliche Unterschiede gibt es zwischen den Erwerbstätigen in den einzelnen Wirtschaftszweigen: Beschäftigte in der Informations- und Kommunikationsbranche sowie Erbringer von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen erzielten die besten Leseleistungen, unterdurchschnittliche Leistungen zeigten Beschäftigte in der Beherbergung und Gastronomie, Bauern sowie Beschäftigte am Bau, im Handel und im Verkehr. Nach Berufsgruppen geordnet erzielten die akademischen Berufe die besten Leistungen, gefolgt von den Führungskräften, die schlechtesten Werte weisen Hilfsarbeiter auf.

Dienstleistungsberufe sowie Verkäufer, Bediener von Anlagen und Maschinen bzw. Montageberufe und Hilfsarbeitskräfte erzielten auch signifikant schlechtere Leseleistungen im Vergleich mit der jeweiligen Gruppe im OECD-Vergleich. In der Alltagsmathematik waren umgekehrt Personen in akademischen Berufen, Techniker, Bürokräfte und Handwerker wesentlich besser als ihre Berufskollegen in der OECD.

Unterschiede bei Migranten

Migranten wiesen unterschiedliche Ergebnisse auf: Jene Einwanderer, deren Erstsprache Deutsch ist (also vor allem Deutsche), schnitten besser ab als in Österreich geborene Personen mit deutscher Erstsprache. Personen mit anderer Erstsprache als Deutsch erzielten dagegen schlechtere Werte - egal, ob sie in Österreich oder im Ausland geboren wurden. Personen mit anderer Erstsprache als der Testsprache erreichten in Österreich im Schnitt 239 Punkte (OECD: 247), Personen mit der Testsprache als Erstsprache 274 Punkte (OECD: 276).

Das "Programme for the International Assessment of Adult Competencies" (PIAAC) ist eine von der OECD in 24 Staaten durchgeführte Vergleichsstudie zur Untersuchung allgemeiner Fähigkeiten, die im Alltag und Beruf nötig sind. Dazu zählen etwa das Lesen und Verstehen kurzer Texte oder das Lösen einfacher Rechnungen, wie sie etwa beim täglichen Einkauf erforderlich sind.

In Österreich wurden für das Erwachsenen-PISA vom Sommer 2011 bis Frühjahr 2012 5.100 zufällig ausgewählte Personen im Alter zwischen 16 und 65 Jahren befragt. Weltweit nahmen 166.000 Personen teil.

In Österreich wird die Studie von Sozial- und Unterrichtsministerium finanziert und von der Statistik Austria durchgeführt. Die Befragungen dauerten im Schnitt eineinhalb Stunden und umfassten einerseits Fragen zu Alltag, Bildung und beruflicher Situation der Testpersonen und andererseits den Test selbst - als Dankeschön erhielten die Teilnehmer einen Einkaufsgutschein im Wert von 50 Euro.

Abgetestet wurde dabei nicht Wissen, sondern die Anwendung von Fähigkeiten zur Lösung von Aufgaben. Gemessen wurden Lesekompetenz ("Literacy"), alltagsmathematische Kompetenz ("Numeracy") und das Problemlösen im Kontext neuer Technologien.

Die Vollversion der Studie finden Sie hier - und den Österreich-Teil kann man sich hier ansehen.

ALTER: Die jüngeren Testpersonen erbrachten bessere Leistungen als die älteren - das gilt sowohl für Österreich als auch für die OECD gesamt. In Österreich erbrachte die Personengruppe um die 30 Jahre die besten Leistungen. Die jüngste Vergleichsgruppe, die 16- bis 24-Jährigen, zeigte in Österreich sehr gute Leistungen bei der Alltagsmathematik und lag hier signifikant über dem OECD-Schnitt der Gleichaltrigen. Beim Lesen und Problemlösen im Kontext neuer Technologien waren die Ergebnisse der jungen Österreicher im internationalen Vergleich durchschnittlich.

ANALPHABETISMUS: Die bei PIAAC erhobene niedrige Lesekompetenz (Stufe 1 und darunter) ähnelt laut Statistik Austria zwar teilweise dem Konzept des funktionalen Analphabetismus, ist aber nicht direkt damit vergleichbar. So wurde etwa die Schreibkompetenz nicht erhoben.

AUSBILDUNGSSYSTEM: Länder mit einer Kombination aus dualem (Lehre und Berufsschule) und rein schulischem Berufsbildungssystem wie Österreich schneiden in der Alltagsmathematik überdurchschnittlich ab, liegen beim Lesen und beim Problemlösen im Kontext neuer Technologien aber höchstens im Mittelfeld der OECD-Länder.

BERUFSGRUPPEN: Nach Berufsgruppen geordnet erzielten in Österreich die akademischen Berufe die besten Leseleistungen (Mittelwert: 300), gefolgt von den Führungskräften (290) und Technikern (285), die schlechtesten Werte weisen Hilfsarbeiter (238), Bediener von Anlagen und Maschinen bzw. Montageberufe (251), Handwerker sowie Fachkräfte in Land- und Forstwirtschaft bzw. Fischerei (je 261) und Dienstleistungsberufe und Verkäufer (263) auf. Bei PIAAC entsprechen sieben Punkte einem Bildungsjahr.

BILDUNGSNIVEAU: Je höher der Bildungsabschluss, desto besser ist auch die Lesekompetenz. Personen mit Hochschulabschluss erreichten in Österreich einen Durchschnitt von 308 Punkten, Personen mit maximal Pflichtschulabschluss 252 Punkte. Wer höchstens einen Pflichtschulabschluss hat, findet sich besonders häufig in den beiden untersten Kompetenzstufen eins und unter eins - dieser Anteil beträgt bei diesen Personen 25,2 Prozent (bei Hochschul-Absolventen nur 1,5 Prozent).

COMPUTERVERWEIGERER: Der Anteil jener Personen, die zwar bereits einen Computer benutzt haben, die PIAAC-Aufgaben aber bewusst auf Papier lösen wollten, beträgt in Österreich 11,3 Prozent und liegt damit in etwa im OECD-Schnitt (10,2 Prozent).

ERWERBSTÄTIGKEIT: Erwerbstätige erzielen gegenüber Arbeitslosen und Nicht-Erwerbspersonen ein signifikant besseres Ergebnis. Bei der Leseleistungen kommen die Erwerbstätigen in Österreich etwa auf einen Mittelwert von 274 Punkten, Arbeitslose (259) und Nicht-Erwerbspersonen (258) unterschieden sich voneinander nicht stark. Auch in den anderen OECD-Staaten schneiden die Erwerbstätigen klar besser ab.

EINKOMMEN: Den stärksten Zusammenhang zwischen Einkommen und Kompetenzniveau gibt es in der Alltagsmathematik. Der durchschnittlich erreichte Punktewert der 20 Prozent mit dem niedrigsten Einkommen liegt bei 256 Punkten, jener des obersten Quintils bei 304 Punkten.

GESCHLECHTER: Männer erreichen in Österreich in allen drei Kompetenzbereichen signifikant bessere Leistungen als Frauen. Beim Lesen kommen die Männer auf einen Mittelwert von 272 Punkten (OECD: 274), die Frauen auf 267 Punkte (OECD: 272). In der Mathematik erreichen die Männer 282 Punkte (OECD: 275), die Frauen 268 (OECD: 264). Beim Problemlösen erreichen 49 Prozent der Männer (OECD: 47,4 Prozent) die beiden höchsten Kompetenzstufen, aber nur 39,5 Prozent der Frauen (OECD: 42 Prozent).

GESUNDHEITSZUSTAND: Je höher die Lesekompetenz, desto besser wird der eigene Gesundheitszustand beschrieben. Wer seinen Gesundheitszustand als "ausgezeichnet" oder "Sehr Gut" beschreibt, kommt im Schnitt auf einen Wert von 279 Punkten, Personen mit guter Gesundheit erreichen durchschnittlich 263 Punkte, Personen mit mittelmäßiger bis schlechter Gesundheit 248 Punkte.

LEISTUNGSUNTERSCHIEDE: Die sogenannte Streuung der Leistungen beim Lesen und der Alltagsmathematik ist in Österreich mittel bis gering - das bedeutet, dass die Leistungsunterschiede nicht allzu groß und die Kompetenzen innerhalb der Bevölkerung recht homogen verteilt sind.

MIGRANTEN: Entscheidender Faktor für die Leistung ist weniger der Ort der Geburt, sondern die Erstsprache. Personen mit einer anderen Erstsprache als der Testsprache erreichten beim Lesen in Österreich im Schnitt 239 Punkte (OECD: 247), Personen mit der Testsprache als Erstsprache 274 Punkte (OECD: 276). Betrachtet man nur den Migrationshintergrund, zeigt sich, dass im Ausland geborene Personen mit deutscher Erstsprache (also v.a. Deutsche) sogar etwas bessere Mittelwerte als in Österreich Geborene erreichten. Wer eine andere Erstsprache als Deutsch spricht, erzielte dagegen deutlich schlechtere Leistungen - egal, ob er in Österreich und im Ausland geboren wurde.

PIAAC UND PISA: Die Ergebnisse von PISA und PIAAC sind in etwa miteinander vergleichbar. Allerdings misst PIAAC etwas andere Kompetenzen: Der Fokus liegt stärker auf der Anwendbarkeit in Beruf und Alltag, so sind etwa die Leseaufgaben etwas kürzer und die Mathe-Beispiele weniger komplex.

SCHLECHTE LESER AM ARBEITSMARKT: Auch Personen, die nur die beiden schlechtesten Lese-Kompetenzstufen erreichen, zeigen in Österreich eine hohe Arbeitsmarktbeteiligung von 62 Prozent - das ist signifikant über dem OECD-Schnitt (56 Prozent).

SOZIALE HERKUNFT: Es besteht ein starker Zusammenhang zwischen Lesekompetenz und dem Bildungshintergrund der Eltern - auch nach Berücksichtigung von Einflussfaktoren wie Geschlecht, Alter, Geburtsland, Erstsprache und eigenem Bildungsabschluss bleibt er bestehen, verringert sich aber. Das Ausmaß des Zusammenhangs liegt in Österreich im OECD-Schnitt. Der Anteil der Personen in den beiden niedrigsten Lesekompetenzstufen sinkt von 27,5 Prozent bei Kindern von Personen mit maximal Pflichtschulabschluss auf 5,8 Prozent bei Akademikerkindern.

WIRTSCHAFTSZWEIGE: Beschäftigte in der Informations- und Kommunikationsbranche (Mittelwert: 296) sowie Erbringer von Finanz-und Versicherungsdienstleistungen (295) erzielten in Österreich die besten Leseleistungen, unterdurchschnittliche Leistungen zeigten Beschäftigte in der Beherbergung und Gastronomie (257), Bauern, Forstwirte und Fischer (264) sowie Beschäftigte am Bau (266), im Handel (267)und im Verkehr (268)

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