Nationalratswahl mit zweitniedrigster Beteiligung der Zweiten Republik
Das Ergebnis der Nationalratswahl ist komplett, alle Wahlkarten sind ausgezählt. Mit insgesamt 958.071 abgegebenen Wahlkarten- und Briefwahlstimmen stieg die Beteiligung zwar noch auf 75,59 Prozent. Aber das bedeutet - mit einem Rückgang um 4,41 Punkte - immer noch die zweit-niedrigste Beteiligung der Zweiten Republik. An den Stimmenanteilen änderten die 32.752 am Montag ausgewerteten Wahlkarten nicht viel.
Auch die Mandatsverteilung blieb (abgesehen von zwei SPÖ-internen Verschiebungen) gleich: Die ÖVP stellt künftig 71 Abgeordnete - und hätte sowohl mit ihrem bisherigen Partner FPÖ (31) als auch mit der SPÖ (40) und den Grünen (26) eine Mehrheit im Parlament. Nur mit NEOS (15 Mandate) ginge es sich nicht aus.
Fast auf Tiefststand
"Ibizagate" und die Spesenaffäre Heinz-Christian Straches haben offenbar doch einen guten Teil der Österreicher davon abgehalten, schon nach zwei Jahren wieder den Nationalrat zu wählen. Nach einem Rekordzuwachs 2017 auf 80,0 Prozent und einem starken Plus bei der EU-Wahl brach die Wahlbeteiligung jetzt um 4,41 Punkte ein; mit 75,59 Prozent blieb sie nur knapp über dem Tiefststand von 74,91 Prozent (2013).
Die mittlerweile fast 20 Prozent Briefwähler (mit ihren 958.071 abgegebenen Stimmen) haben die Beteiligung zwar noch deutlich verbessert: Am Sonntag waren es nur 60,61 Prozent. Aber heuer gab es wieder mehr als 1,5 Millionen - genau 1.561.333 - Nichtwähler. Mehr waren es nur 2013 mit 1.601.898.
Mehr Stimmen (und zwar deutlich, nämlich 1.789.417) als die "Nichtwählerpartei" hatte neuer nur die ÖVP. Die beiden großen Wahlverlierer SPÖ und FPÖ überzeugten weniger Wähler von sich als den Urnen fernblieben - hielt sich die SPÖ doch (mit 1.011.868) gerade noch über der Million, während die FPÖ mehr als 500.000 Wähler auf nur mehr 772.666 verlor. Die Grünen gewannen nach dem Desaster 2017 heuer fast 500.000 Wähler - auf 664.055 - dazu.
Zuletzt mehr Beteiligung
Die 2017 - ebenfalls von ÖVP-Chef Sebastian Kurz bald nach seinem Aufstieg zum Parteichef ausgerufene - Neuwahl hatte sehr viel mehr Wähler an die Urnen gebracht, ebenso der Bundespräsidenten-Wahlmarathon 2016, wo selbst am dritten Wahlsonntag die Beteiligung überraschend noch einmal (auf 74,21 Prozent) angestiegen war. Und bei der heurigen EU-Wahl, kurz nach Veröffentlichung des "Ibiza-Videos", erholte sich die Beteiligung noch um sensationelle 14,38 Prozentpunkte auf 59,77 Prozent.
Die Nationalrats-Beteiligung kehrte heuer wieder zur - seit den 50er-Jahren zu beobachtende und seit den 90er-Jahren verstärkte - rückläufigen Tendenz ein. Bis 1986 lag die Beteiligung immer über 90 Prozent, bis 2002 nutzten noch immer mehr als vier Fünftel ihr Wahlrecht. Bis 1992 bestand allerdings in einigen Bundesländern Wahlpflicht.
Die Bundesländer weisen sehr unterschiedliche Beteiligungen auf: Burgenland (81,44 Prozent) und Niederösterreich (80,63) sind nach wie vor die Musterländer - während in Vorarlberg (wo am längsten Wahlpflicht herrschte) nur mehr 67,71 Prozent ihr Wahlrecht nutzten. Die Vorarlberger sind am 13. Oktober schon zur nächsten Wahl - der ihres Landtags - aufgerufen.
Keine großen Verschiebungen mehr
Große Wahlsieger dieser Neuwahl waren die ÖVP und die Grünen. Der ÖVP gelang es erstmals seit 1966, den (2017 errungenen) ersten Platz zu verteidigen; sie legte noch einmal kräftig, um 5,99 Punkte, auf 37,46 Prozent zu. Die Grünen feierten zwei Jahren nach ihrem Rauswurf mit dem besten Ergebnis der Parteigeschichte, 13,90 Prozent (plus 10,10) ein fulminantes Comeback.
Die SPÖ rutschte mit einem saftigen Minus von 5,68 Punkten auf 21,18 Prozent noch tiefer ins historische Tief. Ihr Rückstand auf die ÖVP hat ein Rekordausmaß von 16,28 Prozentpunkten erreicht. Die FPÖ wurde nicht nur für "Ibizagate", sondern auch für die kurz vor der Wahl bekannt gewordene Spesenaffäre ihres Ex-Chefs Heinz-Christian Strache abgestraft: Sie verlor fast zehn Prozentpunkte (9,80) - und liegt mit 16,17 Prozent weit hinter der geschwächten SPÖ auf Platz 3.
NEOS behaupteten sich in ihrer dritten Wahl mit einem deutlichen Zuwachs (2,80 Prozentpunkte) und ihrem nunmehr besten Ergebnis von 8,10 Prozent. Peter Pilz' Liste JETZT - die 2017 statt den Grünen ins Parlament eingezogen war - musste sich nach nur zwei Jahren mit nur mehr 1,87 Prozent wieder verabschieden.
Weit unter der Vier-Prozent-Hürde für den Einzug blieben KPÖ (0,69 Prozent) und Wandel (0,46 Prozent). Fünf weitere Parteien, die nur in einem oder zwei Ländern wählbar waren, fanden nicht einmal ein Prozent der Wähler österreichweit.
SPÖ und ÖVP bei Briefwahl schwächer
Noch einmal stark angewachsen ist bei dieser Nationalratswahl die Zahl der Wähler, die ihre Stimme per Briefwahl oder Wahlkarte in "fremden" Wahlkreisen abgegeben haben: Mit 958.071 abgegebenen bzw. 950.677 gültigen Stimmen machen sie mittlerweile ein Fünftel (genau 19,9 Prozent) aller Wähler aus.
Das Gesamtergebnis ist mit der Auszählung der Wahlkarten komplett - aber noch nicht amtlich. Das wird es erst, wenn es nach der Sitzung der Bundeswahlbehörde am 16. Oktober verlautbart wird. Danach können Kandidaten - binnen vier Wochen - beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) die Aufhebung bzw. Neuaustragung wegen Rechtswidrigkeiten im Wahlverfahren beantragen.
Ausgezählt wurden die auf alternativen Wegen abgegebenen Stimmen in zwei Tranchen: 917.925 gültige Stimmen, die vor dem 29. September am Postweg geschickt oder bei den Bezirkswahlbehörden direkt abgegeben wurden, werteten schon am Montag die 111 Bezirkswahlbehörden aus. Sie haben das Ergebnis der 3.877.129 Urnenwähler (mit 3.826.412 gültigen Stimmen) noch stark verändert. Alle fünf Parteien hatten nach dieser Auszählung einen anderen Mandatsstand als am Sonntag.
Am Donnerstag hatten die neun Landeswahlbehörden noch 32.981 am Wahlsonntag in "fremden" Wahlkreisen abgegebene Briefwahl- und Wahlkartenstimmen auszuwerten. Diese 32.752 änderten nicht mehr viel - nur die Stimmenanteile hinter dem Komma und die SPÖ-interne Mandatsaufteilung: Die SPÖ verlor eines der neun Wiener Mandate und bekam dafür ein fünftes Bundesmandat dazu. In der Steiermark wanderte ein Wahlkreismandat (Obersteiermark) auf Landesebene.
Den Grünen bescherten die Wahlkarten-Wähler noch Platz 2 vor der FPÖ in Tirol - nachdem ihnen schon die Briefwahlauswertung am Montag das erste Nationalratswahl-Ergebnis über 20 Prozent (in Wien) gebracht hatte. Insgesamt profitierten die Grünen besonders stark von den Briefwahlstimmen. Sie schnitten im Ergebnis aller 950.677 gültigen Wahlkarten mit 20,1 Prozent weit überdurchschnittlich ab. Auch NEOS holten - mit 11,1 Prozent - deutlich mehr als bei den Urnenwählern.
Bei der ÖVP bestätigte sich der - schon bei der EU-Wahl festgestellte - Trend, dass sie bei den Wahlkarten (33,8 Prozent) deutlich unter dem Urnenergebnis liegt. Die SPÖ - die zuletzt Briefwahl-Profiteurin war - war diesmal bei den Wahlkarten (mit 19,7 Prozent) merkbar schwächer als im Sonntagsergebnis. Bei der FPÖ war dies immer so und blieb auch heuer (mit nur 11,8 Prozent Wahlkarten-Anteil) so.
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