Der ORF in einem Wahlkampf, der allen schadet

Kanzler Faymann und Vize Mitterlehner im ORF-Studio. Politiker-Auftritte werden eifersüchtig beäugt.
Warum die Parteien den ORF dominieren wollen, aber ohnehin nichts davon haben.

Im Dezember 2015 konnte es Alexander Wrabetz nicht mehr erwarten. Ohne Not kündigt er seine neuerliche Kandidatur für das Amt des ORF-Generaldirektors an, mit der denkbar schlechtesten Erklärung: Er wolle keinen langen Wahlkampf. Keinen langen Wahlkampf, aber doch einen. Eine Einladung an alle Beteiligten, sich zu verhalten wie in Wahlkämpfen: Da wird viel versprochen, da werden im Hintergrund Deals abgeschlossen, da liefert sich jemand Kräften aus, die stärker sind als er. Guter Rat ist teuer, an dieses Motto glaubt der ORF-Chef, aber wer hat ihm diesen schlechten Rat gegeben, so früh in den Bazar einzuladen?

Im Wahlkampf darf man nicht zimperlich sein, das wissen die Parteien, alle Parteien, die den ORF ja als ihr Eigentum oder ihre Außenstelle betrachten. Also konnte es nicht überraschen, dass bei der Einladung des Bundeskanzlers zu einem längeren Interview nicht mehr über die Sinnhaftigkeit der Sendung diskutiert wurde, sondern nur noch über politische Geschäfte, bei denen sich der ORF-Chef mindestens so gut auskennt wie die Parteisekretäre. Das Geschäft ist leicht erklärt: Der Chef will einen Job und die Politiker wollen Präsenz. Als ob sie alleine dadurch bei Wahlen erfolgreich wären.

Klaus: Freiheit des ORF

In der Geschichte der 2. Republik sticht nur Bundeskanzler Josef Klaus (1964–1970) als ernsthafter Medienpolitiker heraus. Er gab dem Druck der unabhängigen Zeitungen nach, die im Jahr 1964 mehr als 800.000 Stimmen für einen rot-weiß-roten, parteifernen Rundfunk gesammelt hatten. Der ÖVP-Kanzler hat den hässlichen Proporzrundfunk beendet und den ORF in die Freiheit entlassen. Keiner seiner Nachfolger war so mutig.

Leider gibt es seither einen großen historischen Irrtum: Noch immer glauben die Politiker, dass Klaus im Jahr 1970 die Wahlen verloren hätte, weil die ÖVP keinen Zugriff auf den neuen Bacher-ORF hatte. Das ist Unsinn. Die ÖVP hatte strukturell schon lange keine absolute Mehrheit mehr, ihr Wahlsieg von 1966 hatte viele Ursachen, die damalige Schwäche der SPÖ spielte eine große Rolle. (Übrigens hatten damals ÖVP und SPÖ gemeinsam über 90 Prozent der Stimmen!)

Der ORF in einem Wahlkampf, der allen schadet
1. März 1970: Bruno Kreisky (Mitte) gewinnt die Wahl
Bruno Kreisky, der Wahlsieger von 1970, der im Jahr darauf die absolute Mehrheit holte, glaubte auch nicht so recht an einen unabhängigen ORF. Der selbstbewusste, gar nicht ängstliche Gerd Bacher ging ihm auf die Nerven und so ließ er noch vor der Nationalratswahl 1975 ein Gesetz beschließen, mit dem er Bacher loswerden konnte. Ja, so geht das, und so hat es die Regierung Schüssel auch gemacht. Den Schwarz-Blauen war ORF-Chef Gerhard Weis im Weg, ein Bürgerlicher, der sich aber nicht auf Zuruf unterwürfig zeigte. Also wurde das ORF-Gesetz im Jahr 2001 wieder geändert, um Weis durch schwarz-blaue Unterwürfigkeit zu ersetzen. Monika Lindner war bereit dazu, Werner Mück wurde als Chefredakteur das ausführende Organ.

Die wahre Perfidie dieses noch gültigen Gesetzes, an dem der damalige Klubobmann Andreas Khol maßgeblich mitwirkte, ist die offene Abstimmung über die ORF-Führung. Khol hatte tief in die österreichische Seele geblickt und verstanden, dass bei offenen Abstimmungen so manchen von einer Partei abhängigen Stiftungsrat der Mut verlässt. Zur Erinnerung – Gerd Bacher konnte 1978 gegen eine SPÖ-Mehrheit im ORF-Kuratorium wiedergewählt werden, weil SPÖ-Kuratoren, ohne sich offen zu ihm zu bekennen, im Geheimen für ihn stimmten.

Faymann: Neues Gesetz

Es ist auch schon wieder vier Jahre her, dass Bundeskanzler Faymann ein neues ORF-Gesetz gefordert hat, einen offensichtlichen Anlass gab es nicht. Faymanns Vorschläge: Kleinerer Stiftungsrat, Hearing vor der Bestellung der Räte, kein Wahlrecht für die Betriebsräte. Eine Kommission tagte und tagte und tagte – und am Ende stellte sich heraus, dass eine solche Reform unter anderem an den Bundesländern scheitern würde, weil bei nur 15 Stiftungsräten nicht jeder Landeshauptmann vertreten wäre. Undenkbar, Ende der Debatte. Komisch, dass ÖVP-Klubobmann Lopatka gerade jetzt über einen unabhängigen ORF verhandeln will, das hätte er in den letzten vier Jahren versuchen können.

Die Regierung hat es geschafft, relativ lautlos ein neues Gesetz für die staatlichen Beteiligungen zu erarbeiten, die neue ÖBIB. Es wurden dabei Persönlichkeiten gefunden, die vielleicht einem politischen Lager zugerechnet werden, die aber dennoch unabhängige und sachliche Entscheidungen treffen. Warum geht das mit Radio und Fernsehen nicht? Weil die Politiker in ihrer eigenen Welt leben, wo noch immer TV-Sekunden gezählt werden, wo Posten verteilt und Abhängigkeiten organisiert werden. Dabei kommen SPÖ und ÖVP – trotz ihres Zugriffs auf Teile des in Fraktionen organisierten ORF-Stiftungsrats – nicht einmal mehr auf 50 Prozent im Land. Gemeinsam.

Das schlechte Vorbild

Und die Politik, auch die Opposition, erfreut sich an einer ORF-Führung, die sich anbiedert und anbietet, dass man sich etwas von ihr wünschen kann . Motto: Wer mehr Druck macht, bekommt mehr. Eine Führung, die kein Vorbild für die vielen ORF-Mitarbeiter ist, die jeden Tag beweisen wollen, dass sie unabhängigen Journalismus können.

Aber jetzt wird mal gekämpft, bis zur Wahl der ORF-Führung im August. Da geht es um Posten und ums Packeln, um Auftritte und Abhängigkeiten, nur nicht um ein besseres Programm. Und niemand kann sagen, dass SPÖ oder ÖVP damit auch nur einen Wähler gewinnen. Wer die schlechte Show bezahlt, ist aber klar – wir alle, zwangsweise.

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