Türkis-Rot-Pink: "Mit Isolation, Abschottungen und Festungen werden wir es nicht schaffen"

Nach drei Anläufen (der erste Termin wurde ob des Amoklaufes in Graz abgesagt, der zweite ob eines Krankenstandes) ist es soweit: Die Dreierkoalition zieht am 126. Tag ihres Bestehens Bilanz über ihre Zusammenarbeit, die laut Regierungsprogramm dem Motto "Das Richtige tun" folgt.
Ehe Kanzler Christian Stocker, Vizekanzler Andreas Babler und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger im Bundeskanzleramt bilanzieren, wird an die anwesenden Medienvertretern die "Arbeitsbilanz zum Abschluss des ersten Halbjahres 2025" verschickt.
Auf 14 Seiten führt hier die Koalition von ÖVP, SPÖ und Neos aus, was seit März aus ihrer Sicht gelungen, jedenfalls geplant und alsbald umgesetzt werden soll - beginnend mit dem Doppelbudget 2025/2026 über die Reformpartnerschaft zwischen Bund, Ländern, Städten und Gemeinden über den Stopp des Familiennachzugs bis zur Änderung des Wolf-Status.
Die Bilanz, beginnt ÖVP- und Regierungschef Christian Stocker, sei von vielen Ereignissen geprägt, die nicht vorhersehbar waren. "Es ist wichtig, dass diese Regierung an einem Strang zieht", so Stocker, "zumal die Herausforderungen groß sind." Und: "Wir haben eine intensive Zeit hinter uns."

Es gelte das Motto "leben und leben lassen", führt der Regierungschef aus. "Letztendlich soll das dazu führen, dass wir in diesem Land besser aufgestellt sind als zuvor." Die Budgetkonsolidierung sei notwendig, so Stocker, einen Tag vor der Einleitung des EU-Defizitverfahrens am Montag.
Es gehe darum Entwicklungen - von Überalterung bis Digitalisierung - mitzubedenken und im Budget abzubilden. Und es gehe um Herausforderungen ob der geopolitischen Veränderungen. "Mit Isolation, Abschottungen und Festungen werden wir es nicht schaffen. Ein mittelkleines Land in Europa braucht Verbündete." Zudem habe die Regierung auf außerordentliche Ereignisse Antworten finden müssen. Explizit spricht Stocker die Amoktat von Graz an und die darauf folgende Verschärfung des Waffengesetzes.
Ziel sei es zudem, die "unzufriedenstellende Plätze in internationalen Rankings" zu verlassen. Die Energiegesetze, die eben begutachtet werden, hält der ÖVP-Chef für einen "Meilenstein".
Auch in Zukunft werde man die richtigen Entscheidungen für Österreich treffen, so Stocker ehe er das Wort nach wenigen Minuten an Andreas Babler übergibt. Man habe "in einer nicht einfachen Situation Verantwortung übernommen", so der SPÖ-Chef.
Der Amoklauf in Graz habe gezeigt, wie schnell die Dreierkoalition reagieren kann. Es handle sich um die strengsten Verschärfungen seit Jahrzehnten. Als "Riesenleistung" erachtet Babler die Erstellung des Doppelbudgets. Die geringeren Mittel würden alle fordern und machten erfinderisch - auch in den Ministerien, so Babler, der insbesondere auf die sozialen Aspekte der vergangenen Monate eingeht: Vom Mietpreis-Stopp für 2,7 Millionen Menschen über Sozialtarife bei Energiekosten über den Unterhaltsgarantie-Fonds bis hin zum Einfrieren des ORF-Beitrags.
"Engste Korsette"
In Kunst und Kultur werde mit "engsten budgetären Korsetten" gearbeitet. An einer Realisierung einer Bundesstaatsanwaltschaft werde "mit Hochdruck gearbeitet". Babler würde sich und der Regierung betreffend einer Betragensnote ein "ausgezeichnet" geben, betreffend der Arbeitsinhalte ein "gut".
Rund zehn Minuten später ist Neos-Chefin und Außenministerin nimmt Beate Meinl-Reisinger die Benotung Bablers auf und bestätigt selbiges.

Wie ihre Vorredner benennt Meinl-Reisinger beim Blick zurück erst das Doppelbudget, die geopolitischen Veränderungen und die Amoktat in Graz ehe sie auf Bildungsthemen und Migration zu sprechen kommt - fallen doch beide Bereiche in die pinken Ministerien (das Bildungsressort untersteht Christoph Wiederkehr) und ihr selbst das Außenressort. Meinl-Reisinger habe ihre Ministerinnenrolle "sehr aktiv" angelegt, interpretiert sie sich selbst. Dies sei in "volatilen Zeiten" besonders notwendig. Die Suche nach Reformpartnerschaften und Hilfen in der Ukraine und Syrien sei nicht dem Altruismus geschuldet, so die Außeministerin, sondern verfolge freilich eigennützige Motive um die Migrationsströme zu reduzieren oder wie im Falle der Ukraine am Wiederaufbau nach dem Krieg zu partizipieren. Österreich müsse von einem "Trittbrettfahrer zum Akteur" werden.
"Reformtempo hochhalten"
"Wichtig ist, das Reformtempo hochzuhalten", so Meinl-Reisinger, "vor allem um mit der Dynamik weltweit mitzukommen." ÖVP, SPÖ und Neos hätten ein, so die Neos-Chefin, "klares, gemeinsames Wertefundament", selbiges bei der Haltung gegenüber und Hilfe für die Ukraine zeige.
Für die Neos-Chefin ist es keine Bilanz, sondern ein Resumee, das sie ziehen will. Nach vier Monaten, in denen sie 114 Kolleginnen und Kollegen getroffen hat, wie sie gen Ende ihrer Ausführungen sagt. "Zuversicht benötigt auch Tatkraft" und um diese geht es jetzt.
Nach einer knappen Stunde zeigen sich die Chefs von ÖVP, SPÖ und Neos bei der ersten Frage geschlossen und eines Sinnes.
Stocker gibt sich pragmatisch
Der Kritik vom OGH, in Sparzeiten eine weitere Ebene in der Justiz - Bundesstaatsanwaltschaft - einzuführen, kann niemand der Regierungsspitze etwas abgewinnen. Babler bittet um Geduld, bis das Modell vorgelegt werde, Juristin Meinl-Reisinger betont, dass "die Stärkung der Institutionen etwas wert sein muss", hält die Kritik für "eigenartig". Für Juristen Stocker handelt es sich um "eine politische und keine wirtschaftliche Entscheidung", wiewohl er die Fachmeinung anderer respektiere. Er kann sich, entgegen früherer Äußerungen, einen Dreiersenat vorstellen. Das zeuge für ihn von "Pragmatismus".

Auch betreffend Doppelbudget und EU-Defizitverfahren ist die Dreierkoalition eines Sinnes. Meinl-Reisinger schickt zudem voraus, dass auch sie sich wie viele Bürgerinnen und Bürger im Dezember gefragt habe, warum die Zahlen derart divergieren können. Andreas Babler streicht den Verdienst von SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer hervor. Es gehe nach der "Konsolidierung um Konjunkturbelebung". Das EU-Defizitverfahren ist kein "Grund sich zu fürchten".
"FPÖ ist Sammelstelle für Unzufriedene"
Warum die Umfragen gar nicht deckungsgleich mit der Eigenwahrnehmung der Regierung ist, beantwortet Christian Stocker mit der Zukunft und der Opposition.
"Alle schauen auf Umfragen, auch wir - aber es handelt sich dabei um Momentaufnahmen und die nächsten Wahlen sind erst 2029." Die FPÖ, so Stocker, "kann vieles nicht, aber sie ist jedenfalls eine Sammelstelle für Unzufriedene geworden." Eben diese Unzufriedenen wolle man ansprechen.
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