Doskozil und Niessl: "Mit der FPÖ gibt es Verlässlichkeit"
KURIER: Herr Niessl, wissen Sie schon, was Sie am 1. März machen werden?
Hans Niessl: Da werde ich beim Anwalt sein, um eine Firma zu gründen. Ich werde künftig als Consulter andere Firmen beraten.
Warum gönnen Sie sich nach 18 Jahren keine Auszeit? Angst vor dem Pensionsschock?
Niessl: Ich empfinde es als richtig, gleich weiterzuarbeiten. Die Auszeit kommt zu Ostern. Da werde ich eine Woche Urlaub machen.
Die ORF-Dokumentation über Ihr Leben hat den Titel „Pragmatiker und Tabubrecher“. Sind Sie mit Stolz ein Tabubrecher, weil Sie im Burgenland eine rot-blaue Koalition gewagt haben? Oder ärgert es Sie, dass der Tabubruch Ihr Vermächtnis ist?
Niessl: Pragmatiker sein heißt für mich, Herausforderungen annehmen. Das sehe ich positiv. Als Tabubrecher bin ich in bester Gesellschaft mit Bruno Kreisky, der mit Unterstützung der FPÖ erstmalig Bundeskanzler einer Minderheitsregierung werden konnte. Auch Bundeskanzler Fred Sinowatz ist mit den Stimmen der FPÖ zum Bundeskanzler gewählt worden. Insofern bin ich nicht der erste Tabubrecher.
Der Aufschrei innerhalb der SPÖ war aber 2015 besonders groß ...
Niessl: Es war nicht die Masse, die in der SPÖ aufgeschrien hat, sondern es waren Einzelstimmen, die sehr gut vernetzt waren und hier Stimmung gegen mich gemacht haben. Bei den Demonstrationen im Burgenland waren eine Handvoll Leute.
Herr Doskozil, Sie waren als Minister mit der ÖVP in einer Koalition. Seit einem Jahr regieren Sie im Burgenland gemeinsam mit der FPÖ. Wo liegt der Unterschied?
Hans-Peter Doskozil: In meiner Zeit als Büroleiter von Hans Niessl waren wir auch mit der ÖVP in einer Koalition. Diese Phase ist durchaus mit der Koalition auf Bundesebene vergleichbar. Die Zusammenarbeit war geprägt von gegenseitigem Misstrauen, wo man täglich aufpassen musste, ob nicht von links oder rechts eine Grätsche kommt. In den letzten zwei Jahren auf Bundesebene muss man fairerweise sagen, gab es diese unfairen Aktionen von beiden Seiten. Das ist keine Form, wie man sich eine Regierung vorstellt, und eine solche Koalition hat sich die Bevölkerung nicht verdient. Der Unterschied ist: Mit der FPÖ gibt es Handschlagqualität, Verlässlichkeit, und die Kompromisse halten.
Herr Niessl, wann haben Sie erkannt, dass Doskozil der richtige Nachfolger sein könnte? War das schon in seiner Funktion als Ihr Büroleiter?
Niessl: Spätestens als Büroleiter war mir klar, dass Hans-Peter ein Talent für die Politik hat, weil er den persönlichen Kontakt zu den Menschen sucht und ihre Probleme kennt.
Doskozil: Vieles im Leben ist auf Zufällen aufgebaut, die man nicht beeinflussen kann. Es war nicht vorgezeichnet, dass ich als Landespolizeidirektor Minister werde. Fairer- und traurigerweise muss man sagen: Hätte es nicht die 71 Toten im LKW und die Flüchtlingskrise gegeben, hätte ich nicht die Möglichkeit gehabt, in der Öffentlichkeit in Erscheinung zu treten. Das sind Momente im Leben, die man annehmen muss. Ich habe nie kalkuliert, was in 5, 10 oder 15 Jahren passiert, sondern habe mich gerne mit einem gewissen Maß an Risiko auf neue Dinge eingelassen.
Die Burgenländer-Witze waren früher Usus. Das Burgenland war wirtschaftlich das Schlusslicht. Heute wohnen viele Wiener im Burgenland. Der Neusiedler See und die Thermen boomen. Wann kam der Zeitpunkt für diesen Imagewandel?
Niessl: Ich habe 1971 in Wien maturiert. Damals war die Situation so: Nach zwei Monaten in Wien haben viele Burgenländer ihre Wurzeln verleugnet und sich als Wiener ausgegeben. Das Burgenland war rückständig. In den 60er-Jahren konnte man noch Wahlen gewinnen, indem man staubfreie Straßen versprach. Wir waren das Schlusslicht. Theodor Kery sprach von einem „Land der Schulschande“. Die Wende haben – durch eine moderne Schulpolitik – Theodor Kery und Fred Sinowatz eingeleitet. Der richtige Turbo war der Fall des Eisernen Vorhangs, als die 400 Kilometer lange Grenze zum Ostblock gefallen ist. Durch die EU-Förderung, wo wir zwei Mal Ziel-1-Regionen wurden, wurde der Aufholprozess beschleunigt.
Wegen der Bildungspolitik gibt es kaum noch Burgenländer–Witze ...
Doskozil: Kennen Sie noch welche?
Niessl: Stimmt. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass es keine Burgenländer-Witze mehr gibt und die Burgenländer selbstbewusst geworden sind. Heute berichten mir immer wieder Wiener mit Stolz, wenn sie burgenländische Wurzeln haben.
Die SPÖ-Burgenland wird gerne ins rechte Eck gestellt. Wenn man sich das Programm von Hans-Peter Doskozil anschaut, dann hat man eher das Gefühl, hier ist eine sehr linke SPÖ am Werk. Mindestlohn von 1700 netto für alle Landesbediensteten, weniger privat dafür mehr Staat, ein neues Pflegekonzept. Wollen Sie sich ein neues Image zulegen?
Doskozil: Das ist ja der Fehler, dass man zu schnell abgestempelt wird. Natürlich stehen wir für eine konsequente Migrations- und Sicherheitspolitik. Da werden wir keinen Millimeter abweichen. Aber wir müssen auch diskutieren: Was soll ein Mensch verdienen, der 40 Stunden in der Woche arbeitet, damit er seiner Familie etwas bieten kann? 1700 Euro netto ist da ein Anfang.
Ist das leistbar für das Land?
Doskozil: Das ist leistbar, weil in den vielen Bereichen negative Ausprägungen von Privatisierungen stattgefunden haben. Wenn wir beispielsweise an Reinigungsunternehmen 3600 Euro brutto pro Reinigungskraft zahlen, aber umgekehrt direkt 3200 Euro zahlen müssten, um 1700 Euro netto zu finanzieren, muss man das System hinterfragen. Ich verstehe, dass die Wirtschaft versucht, neue Geschäftsfelder auch innerhalb des Staates aufzumachen. Ich hätte mir vor zehn Jahren nicht vorstellen können, dass es ein Schubhaftzentrum gibt, das von einem privaten Unternehmen betreiben wird. Das ist skurril.
Beim SPÖ-Burgenland-Parteitag hat Ihr Landesparteichef Folgendes geschildert: Wenn man mit Hans Niessl zusammenarbeitet, dann lebt man zwischen Hollywood und Geisterbahnfahrt. Was an Ihnen ist Hollywood und was eine Geisterbahnfahrt?
Niessl: Wenn ein Mitarbeiter neu begonnen hat, dann habe ich ihm gleich erklärt, dass wir Freitag, Samstag, Sonntag arbeiten, und manchmal ist der Chef schlecht drauf (lacht). Ein Mal hat der Chauffeur ein Wochenende mit 72 Stunden abgerechnet. An so einem Wochenende gibt es Hollywood und Geisterbahn. Hollywood ist dann, wenn man an mit dem Bundespräsidenten oder dem schwedischen König zusammentrifft. Auf der anderen gibt es Zeltfeste, wo es sehr urig zugeht, was gerade Mitarbeiterinnen oft abschreckt.
Man erzählt sich, dass Sie als Chef durchaus schnell explodieren können. Vielleicht ist das die Geisterbahn …
Niessl: Das hat es durchaus auch geben können (Doskozil lacht). Wenn man um die 90 Stunden pro Woche arbeitet. Einmal hatten wir sogar 104 Stunden. Da haben wir dann noch eine Puls4-Diskussion angehängt, dann explodiere ich auch schon mal. Aber das war wichtig, dass ich kein Magengeschwür bekomme. So habe ich den Job gesundheitlich 18 Jahre ganz gut überstanden, weil ich den Druck abgelassen habe (lacht).
Herr Doskozil, Sie fahren zum SPÖ-Parteitag nach Tirol, wo Georg Dornauer nach seinem sexistischen Sager bei Pamela Rendi-Wagner auf wenig Sympathie stößt. Ist Dornauer der Doskozil-Freund im Westen?
Doskozil: Es besteht eine sehr gute Achse zu ihm. Wir haben den gleichen Zugang, wie Politik gelebt werden soll.
Hat er auch keine Berührungsängste mit der FPÖ?
Doskozil: Ich glaube, er weiß, was erforderlich ist, damit die SPÖ in Tirol erfolgreich ist. Das ist das Wesentliche. Wenn man sich anschaut, wie er seine Mehrheiten als Bürgermeister verteidigt hat, dann ist es klar, dass er ein Politiker ist, der von der Basis kommt, der geschätzt und gewählt wird. Das ist ein ganz wichtiger Faktor. Es nützt uns nichts, wenn man im Elfenbeinturm hochphilosophisch diskutiert, aber man nicht mehr weiß, was den kleinen Mann auf der Straße bewegt. Gleichzeitig aber haben diese Personen die Erwartungshaltung, dass sie von den Menschen gewählt werden. So wird man in Zukunft keine Wahlen gewinnen. So tickt Dornauer nicht. Deswegen schätze ich ihn.
Dornauer wurde nicht in das Partei-Präsidium aufgenommen. Ist das aus Ihrer Sicht ein Fehler?
Doskozil: Wenn die Parteivorsitzende eine Person nicht als ihren Stellvertreter haben will, dann ist das zu akzeptieren. Gleichzeitig bin ich der Meinung, wenn Dornauer SPÖ-Tirol-Chef ist, sollte er in den Bundesgremien vertreten sein. Das bedeutet aber nicht, dass er auch Stellvertreter von Pamela Rendi-Wagner sein muss.
Innenminister Herbert Kickl will mit einem Gesetz die Sicherungshaft für gefährliche Asylwerber umsetzen (siehe auch Seite 7). Soll die SPÖ hier in Verhandlung mit der FPÖ treten?
Doskozil: Vor 20 Jahren wurde das Sicherheitspolizeigesetz diskutiert und novelliert. Ich glaube, es ist angesichts der aktuellen Vorfälle an der Zeit, dass man dieses Gewaltschutzgesetz weiterentwickelt. Wenn man ein Verwaltungsdelikt begeht, sei es im Führerschein- oder Waffengesetz, ist gleich ein psychologisches Gespräch verpflichtend. Wenn es um Wegweisung geht, dann sollte ein psychologisches Gespräch stattfinden, wo ein Psychologe beurteilt, welches Gefährdungspotenzial vom Gefährder ausgeht. Ist das eine Person, die gleich explodiert und strafrechtliche Delikte begehen könnte? Wenn das der Fall ist, muss man diskutieren, welche Zwangsmaßnahmen zu setzen sind. Aber im Rahmen der Grundrechte. Das ist aber sehr sachlich zu führen, und dafür braucht man Zeit. Aber die SPÖ sollte diese Gespräche beginnen.
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