Doppelstaatsbürgerschaft flog auf: Türke verlor beide Pässe

Der Mann flog auf, verlor beide Pässe und hofft nun auf den Fremdenpass.
Ein Türke erzählt, wie seine Doppelstaatsbürgerschaft aufflog. Jetzt hofft er auf ein Bleiberecht.

Erst hatte Kamil Samur (Name von der Redaktion geändert) zwei, dann einen – und plötzlich überhaupt keinen Pass mehr. Samur ist in Tirol geboren und aufgewachsen und hat seinen Präsenzdienst beim Bundesheer geleistet.

Nach seiner Einbürgerung in Österreich machte der 34-Jährige einen fatalen Fehler: Er holte sich noch einmal den Pass seiner türkischen Heimat. "Ich war mir der Folgen nicht bewusst", erklärt er.

Die Tiroler Landesregierung geht rigoros gegen Doppelstaatsbürger vor. Jedes Jahr wird dutzenden Menschen der österreichische Pass wieder abgenommen.

Schock für die Familie

In der türkischen Community hat sich die Beharrlichkeit der Behörden bei der Verfolgung herumgesprochen, also legte Samur aus Angst den türkischen Pass zurück.

Zu spät: Samurs doppeltes Spiel flog bei einer Eheschließung in der Türkei auf. Nur in Einzelfällen wie solchen bekommen die österreichischen Behörden Einblick in das türkische Personenstandsregister. Die rot-weiß-rote Staatsbürgerschaft verliert man dann "ex lege", also automatisch per Gesetz.

So ist es Samur ergangen, und jetzt ist er staatenlos – ein Schock für seine ganze Familie. Seine beiden Kinder sind dank ihrer Mutter türkische Staatsbürger, und der Alltag verläuft weitgehend normal. "Ich arbeite weiter, aber mein Arbeitgeber weiß nichts davon", erklärt der Familienvater, der anonym bleiben möchte. Als Staatenloser dürfte er gar nicht arbeiten.

Für Samur ist dieser Zustand und die Unsicherheit eine große Belastung. "Ich bin seit Monaten mit den Behörden in Kontakt. Es könnte sein, dass ich einen Fremdenpass bekomme", erklärt der 34-Jährige.

Wie Samur haben viele Doppelstaatsbürger aus Angst erwischt zu werden ihre türkische Staatsbürgerschaft zurückgelegt. Einige dürfen mit einem Aufenthaltstitel weiter in Österreich leben. Andere können wieder die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen. Wenn beides nicht infrage kommt, droht Staatenlosigkeit (siehe dazu Bericht unten).

Auf KURIER-Anfrage bestätigen mehrere türkischstämmige Anwälte, dass derlei Fälle in den vergangenen Jahren zugenommen haben – in letzter Zeit sogar stark. "Wöchentlich bekomme ich Dutzende Anrufe von besorgten Menschen", beschreibt der Innsbrucker Rechtsanwalt Vedat Gökdemir die Lage.

Er empfiehlt den Betroffenen, erst einmal Ruhe zu bewahren und ihren Fall im Detail mit einem Anwalt zu besprechen. "Die Zahl steigt", sagt der Experte aus eigener Erfahrung. "Ich habe derzeit fünf Fälle vor mir liegen, in denen Staatenlosigkeit droht."

In der türkischen Community herrsche ein völliges Durcheinander, seit vor einigen Wochen Listen aus der türkischen Wählerevidenz aufgetaucht sind. Die Listen werden gerade in den zuständigen Landesbehörden mit der österreichischen Wählerevidenz abgeglichen.

Bei Überschneidungen muss dann wegen des Verdachts der illegalen Doppelstaatsbürgerschaft ermittelt werden.

Verlust wichtiger Rechte

Sind die österreichischen Behörden überhaupt auf eine mögliche Flut von Verfahren vorbereitet? Und was passiert mit den Betroffenen?

In der Tiroler Landesregierung gibt man sich gelassen. "Beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) können die Betroffenen um eine humanitäre Aufenthaltsbewilligung ansuchen", erklärt Martin Plunger, Leiter der Abteilung Staatsbürgerschaften. Mehr Hilfe gibt es nicht.

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) hält die Vorgehensweise der Behörden für problematisch. Mit der Staatsbürgerschaft verliert man klassische Rechte, etwa wählen oder Verträge abschließen zu können. "Die Fälle sind genauer zu überprüfen, um Staatenlosigkeit möglichst zu verhindern."

Für die Erhebung von Staatenlosen und den Umgang mit ihnen gibt es keine einheitlichen Verfahren oder Richtlinien. Und das ist wohl das gravierendste Problem.

Staatenlos zu sein, das heißt, von keinem Staat als Bürger anerkannt zu werden; es bedeutet, nirgendwo dazuzugehören. Über zehn Millionen solcher Menschen gibt es laut derzeitigen Informationen der Vereinten Nationen (UNO) weltweit. Um die 4500 Personen sind momentan in Österreich davon betroffen.

Sie leben oft in prekären Verhältnissen, besitzen keine Reisedokumente, keine politischen Rechte, haben nur erschwerten Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem sowie zum Arbeitsmarkt.

Plötzlich staatenlos

Die Gründe für Staatenlosigkeit sind vielfältig. Sie reichen von der Nicht-Registrierung des Kindes nach der Geburt über „vererbte“ Staatenlosigkeit der Eltern bis zum Entzug der Staatsbürgerschaft oder der Auflösung eines Staates.

Die Probleme der Staatenlosen sind oftmals nicht bekannt, werden ignoriert oder unter den Teppich gekehrt. Die UNO sieht es als ihre Pflicht an, sich ihrer anzunehmen. Zwei völkerrechtliche Verträge wurden bereits abgeschlossen. Ihr Ziel ist es, Staatenlosen ein gewisses Mindestmaß an Rechten zuzusichern und ihr weiteres Aufkommen einzudämmen. Auch Österreich hat sich dazu verpflichtet.

Doch selbst hier bedeutet Staatenlosigkeit oft ein Schattendasein in Rechtsunsicherheit. Gültige Dokumente – dazu gehört ein sogenannter Fremdenpass – werden nämlich nur Personen mit einem positiven Aufenthaltstitel ausgestellt.

Liegt dieser nicht vor, droht Schubhaft. Erst, wenn der Aufenthalt von der Republik offiziell „geduldet“ wird, können Staatenlose vorerst bleiben. Eine Arbeitserlaubnis oder Identitätsdokumente erhalten sie allerdings nicht. Viele sehen daher die Flucht in die Illegalität als einzigen Ausweg.

von Ferdinand Pehamberger

Kommentare