Die rote Front zu den Blauen bröckelt

Die rote Front zu den Blauen bröckelt
Das kompromisslose "Nein zur FPÖ" ist in der Sozialdemokratie – noch – Mehrheitsmeinung. Aus strategischen Gründen wollen immer mehr Rote die Blauen aber nicht weiter als Koalitionspartner ausschließen. Der Bruch geht quer durch die Länder, Gemeinden und den Gewerkschaftsbund.

November 2014, Parteitag der Roten. Alles wartet gespannt auf das Wiederwahlergebnis für SPÖ-Chef Werner Faymann. Nicht so beachtet wird, was bei der Zusammenkunft alles beschlossen wird. Etwa eine Resolution der Jusos: "Die SPÖ spricht sich klar gegen eine Koalition mit der FPÖ auf allen politischen Ebenen aus."

Juni 2015. SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl tut sich – Beschluss hin oder her – mit Heinz-Christian Straches Statthaltern im Burgenland zusammen. Ein Dammbruch gegen die Rechten.

Immer mehr Sozialdemokraten stellen – aus strategischen Gründen – das Nein zu einem Pakt mit den Freiheitlichen in Frage; erst recht angesichts der Ereignisse in der Steiermark. Da hat der Rote Franz Voves – trotz Stimmenverlusten erneut Nummer 1 – der ÖVP den Landeshauptmann überlassen. Weil die Schwarzen gedroht hätten, sich mit den Blauen in das Koalitionsbett zu legen.

Oberösterreichs SPÖ-Chef Reinhold Entholzer, der Ende September eine Wahl zu schlagen hat, befindet: "Es macht die SPÖ erpressbar, wenn sie eine Zusammenarbeit mit der FPÖ unter allen Umständen ablehnt." Dieser Ansicht sind auch oberösterreichische Stadtchefs. Es sei "nicht gescheit, sich mit dem Nein zur FPÖ eine Option entgehen zu lassen", urteilt der Steyrer Bürgermeister Gerald Hackl. Jener von Linz, Klaus Luger, sagt: "Parteitagsbeschlüsse sind so für die Ewigkeit. Damit habe ich ein Problem. Ich bin dagegen, apodiktisch zu sagen, das Nein zu einer Zusammenarbeit mit der FPÖ gilt für immer." Sofern diese Positionen revidiere, sei sie auch eine Option für den Bund.

Wien-Doktrin

Dort lautet die Doktrin seit Niessls Polit-Wende zu Straches Mannen: Die Bundes-SPÖ ist weiter gegen Rot-Blau, die Landesorganisationen können "im Widerspruch" sehr wohl mit der FPÖ koalieren, müssten das aber selbst verantworten.

Die rote Front zu den Blauen bröckelt
APA7230820 - 15032012 - RUST - ÖSTERREICH: (v.L.n.R.) - Bürgermeister Michael Häüpl, Bundeskanzler Werner Faymann und Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl vor der Arbeitstagung des SPÖ-Rathausklubs am Donnerstag, 15. März 2012, in der burgenländischen Freistadt Rust. Die Klubtagung steht unter dem Motto "Wien für Alle. Alle für Wien.". APA-FOTO: ROBERT JAEGER
Die Wiener SPÖ ist für keinen Koalition mit der Strache-FPÖ zu haben – so hat es Bürgermeister Michael Häupl erst am Samstag wieder dekretiert; auf diese Botschaft ist der Stimmenfang für die Wahl im Oktober abgestimmt. "Die Wiener tun sich auch leichter, für eine klare Abgrenzung zu stehen. Wien ist das einzige Bundesland mit einer Mehrheit links der Mitte. Daher braucht die SPÖ die FPÖ hier nicht", sagt Ex-SPÖ-Geschäftsführer Josef Kalina.

Harald Troch, Nationalratsabgeordneter und Chef der Simmeringer SPÖ, sieht das ebenso: "Mit voller Hose ist leicht stinken. Wir sind auf die FPÖ nicht angewiesen. Häupl hat mehr Optionen als die SPÖ-Chefs anderer Bundesländer. Daher ist die Wiener Doktrin strategisch nicht auf alle Länder umlegbar."

Wiener Rote aus der zweiten und dritten Reihe halten es dennoch nicht für klug, die FPÖ aus dem Polit-Spiel zu lassen. Zumal viele genug haben von der Liaison mit der Öko-Partei. Ein Vertrauter des Bürgermeisters sagt: "Viele Funktionäre sind ob der Koalition mit den Grünen verbittert. Da hört man: ,Ihr kümmert euch zu viel um die Radlfahrer und Migranten, und zu wenig um die Autofahrer und Arbeiter‘."

Auch der einstige Nationalratsmandatar und Favoritner Anton Gaal plädiert für inhaltliche Korrekturen: "Derzeit kann in Wien Rot-Blau ausgeschlossen werden. Wir müssen aber so ehrlich sein zu sagen, dass das Thema Integration lange nicht mit dem nötigen Tiefgang betrieben wurde. Das gilt es zu ändern. Die SPÖ muss auf die Wähler mehr zugehen, weg von der Aus-, hin zur Abgrenzung von der FPÖ."

Bei den SPÖ-Gewerkschaftern, traditionell einflussreich in der Partei, ist die Stimmung durchwachsen, detto bei den Arbeiterkämmerern. Viele Funktionäre der GPA, der größten ÖGB-Teil-Gewerkschaft, betrachten sich als Bollwerk gegen rechtsrechte Tendenzen. GPA-Boss und FSG-Fraktionsführer Wolfgang Katzian lehnt eine Kooperation mit der FPÖ ab; vor Niessls Pakt sei Rot-Blau jenseits seiner Vorstellungskraft gewesen.

Optionen erweitern

Andere Standesvertreter sind dafür, die Blauen nicht mehr außen vor zu lassen. Etwa Polizeigewerkschafter Hermann Wally: "Man darf sich nicht in Geiselhaft der ÖVP begeben. Ich bin dafür, dass man mit allen Fraktionen redet – und sich alle Optionen offen lässt. Auch im Bund."

Und so glaubt Josef Kalina, dass ein Parteitagsbeschluss wie jener aus dem Vorjahr nicht mehr möglich wäre: "Ein solcher bekäme keine Mehrheit."

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In der SPÖ gibt es, wie in jeder Partei, zwei Arten von Macht: die zugeschriebene und die reale. Zumindest, was das höchste Gremium, den Bundesparteitag, angeht, sind die beiden mitunter deckungsgleich. Das zeigt beispielsweise, wie sich die Gruppe jener Funktionäre zusammensetzt, die am Parteitag nicht nur teilnehmen, sondern dort auch mit- und abstimmen darf.

Die rote Front zu den Blauen bröckelt
ABD0043_20150605 - WIEN - ÖSTERREICH: Mit einem Plakat mit der Aufschrift "Kein gelungenes Experiment - Verrat" demonstrieren am Freitag, 05. Juni 2015, rote Jugendorganisationen vor der SPÖ Parteizentrale in Wien gegen ein mögliches Rot-Blau Bündnis im Burgenland. - FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH
Von den 640 Delegierten, die am letzten Parteitag über Inhalte und Personal mit entscheiden durften, stellte die als einflussreich apostrophierte Wiener Landesgruppe tatsächlich nicht weniger als 92; und auch die 65 bzw. 58 Delegierten, die Oberösterreich und die Steiermark entsenden, spiegeln deren formalen wie zugeschriebenen Einfluss in der Bundes-SPÖ wieder.

Vielfach unterschätzt – aber intern stets am Radar – ist die große Gruppe der SPÖ-Frauen. Allein der Bundesfrauenvorstand der Partei entsandte zuletzt 30 stimmberechtigte Mitglieder.

Ähnlich ist die Situation beim FSG. Die Fraktion der Sozialdemokratischen Gewerkschafter durfte beim letzten Bundesparteitag formal zwar nur 50 Delegierte stellen. In der Realität ist die Zahl der FSGler am Bundesparteitag – und damit ihr Gewicht in der Partei – eine weitaus höhere. Der Grund: Macher Gewerkschafter hat auch an anderer Stelle noch eine Funktion (Bezirksrat, etc.) – und wird dementsprechend von der Bezirks- oder Landespartei entsandt.

Machtpolitisch keine Rolle spielen zumeist die jungen Funktionäre. Junge Generation und Sozialistische Jugend stellen je sieben, der Verband der Sozialistischen Studenten lediglich drei stimmberechtigte Delegierte.

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