"Die ÖVP gewinnt mit Sebastian Kurz definitiv keine Wahlen mehr“

Meinungsforscher Christoph Haselmayer über „schwarze Schafe“, valide Prognosen und des ÖVP-Chefs mögliche Märtyrer-Rolle

Die Ermittlungen rund um manipulierte Umfragen in der Tageszeitung Österreich bringen Sebastian Kurz und engen Mitarbeitern den Beschuldigtenstatus ein und eine Branche in Erklärungsnot. „Das ist natürlich alles kein schönes Bild“, sagt Christoph Haselmayer vom Institut für Demoskopie und Datenanalyse (IFDD) in der dieswöchigen Club3-Diskussion. Wie überall gebe es „schwarze Schafe“ und jetzt zudem interne Diskussionen darüber, welche Methoden und Qualitätsstandards bei Umfragen gelten sollen.

Club 3

Vor rund einer Woche wurde das Meinungsforschungsinstitut OGM, das unter der Leitung von Wolfgang Bachmayer seit Jahren Umfragen für den KURIER erstellt, vom Branchenverband VdMI ausgeschlossen. Grund: OGM hatte für die KURIER-Sonntagsfrage eine reine Online-Befragung und keine Kombination von Telefon- und Online-Interviews durchgeführt. Jede Befragungsmethode habe seine Vor- und Nachteile, so Haselmayer, der in diesem Zusammenhang eine online durchgeführte OGM-Umfrage aus 2017 erwähnt, die fast exakt das Wahlergebnis vorwegnahm. Essenziell sei, dass die jedenfalls über 800 Befragten einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung darstellen.

Haselmayer geht davon aus, dass der „Streit in der Branchen weitergehen wird“. Auch, weil renommierte Statistiker wie der US-Wahlforscher Nate Silver regelmäßig auf die Stärken und Schwächen aller drei Methoden (Telefon, Online, Mix) hinweise. Um besonders valide Prognosen zu erhalten, regt der IFDD-Chef an, mehr „poll of the polls“ zu machen – also einen Querschnitt von Umfragen unterschiedlicher Institute bei ein und derselben Fragestellung.

Video: Club 3 mit Meinungsforscher Christoph Haselmayer - Teil 1

Video: Club 3 mit Meinungsforscher Christoph Haselmayer - Teil 2

Video: Die Analyse des Club 3 mit Meinungsforscher Christoph Haselmayer

Alle Umfragen, die seit Sebastian Kurz’ Rücktritt als Bundeskanzler veröffentlicht wurden, sagen der ÖVP einen Stimmenverlust voraus. Bei der Nationalratswahl 2019 erreichte die ÖVP 37,5 Prozent – nun käme die Volkspartei auf rund 25 Prozent der Wählerstimmen. „Für mich ist klar: Die ÖVP gewinnt mit Sebastian Kurz definitiv keine Wahlen mehr“, ist sich der Meinungsforscher sicher. Mit kleinen Einschränkungen. „Wenn sich herausstellt, dass alles erstunken und erlogen wäre, dann würde er als Märtyrer zurückkommen.“ Und Kurz könnte auch der Zeitfaktor zugute kommen: Je mehr Zeit vergehe, desto eher sei mit einer „Amnesie der Wählerinnen und Wähler zu rechnen. Das heißt, je länger es braucht, desto mehr ist es den Leuten einfach wieder wurscht, was passiert ist“. Unabhängig von vorgezogenen oder regulären Wahlen müsse sich die ÖVP eine Strategie überlegen, mit welchem Personal sie eine Wahl bestreiten will, und zwar „vor Weihnachten“.

Keine Zeitverzögerungen erlauben indes die Corona-Maßnahmen, wenn es um aktuelle Umfragen geht, so Haselmayer. 82 Prozent würden sich Regeln wünschen, die einheitlich und allgemein verständlich sind.

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