"Die Glaubwürdigkeit der EU steht auf dem Spiel"

Markus Beyrer, Generaldirektor von BusinessEurope.
Markus Beyrer, Chef des Europäischen Industrieverbandes, warnt vor den Folgen des CETA-Scheiterns.

"BusinessEurope" ist der mächtige Industrieverband Europas. Der Österreicher Markus J. Beyrer ist sein Generaldirektor.

KURIER: Herr Beyrer, der CETA-Streit schadet der EU. Droht das Ende der Handelsverträge?

Markus J. Beyrer: Es gibt drei Grundpfeiler unseres Wohlstandes: Handelspolitik, Binnenmarkt und Euro. Ruiniert man eines, hat das dramatische, negative Folgen. Wenn wir nicht in der Lage sind, Handel mit der Welt zu treiben, ist das der Weg in die Armut. Wo Menschen freien Handel treiben, gibt es Wohlstand und Frieden, wo nicht, gibt es Verarmung und Konflikte. Das ist hoch gefährlich.

Hat die EU jetzt endgültig ihre Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit verloren?

Wenn CETA nicht gelingt, haben wir die Glaubwürdigkeit massiv verspielt. Wir haben bei CETA alles erreicht: Die Tarifreduktion, den Zugang zu den öffentlichen Beschaffungsmärkten und die geografischen Herkunftsbezeichnungen (z.B Tiroler Speck, Wachauer Marille, Anm.) sind geschützt. Der Investitionsgerichtshof geht für uns zu weit, weil wir fürchten, dass der Zugang für KMU sehr schwierig sein wird. Wenn wir es zulassen, dass ein Regionalpolitiker in undemokratischer Art und Weise der Wortführer des 509 Millionen Menschen zählenden Binnenmarktes ist, dann machen wir uns lächerlich.

Die Kritiker sehen das aber anders.

Ich hasse den Begriff postfaktische Gesellschaft. Aber wir sind in einem Stadium, wo wir uns nur mehr mit Mythen beschäftigen und nicht mehr mit Fakten.

Haben Politik und Wirtschaft nicht genügend über CETA informiert, im Vergleich zu den Kampagnen der CETA-Gegner?

Das sehe ich so nicht. Zu CETA haben Wirtschaftsvertreter sehr viel gemacht. In Wirklichkeit richten sich die Anti-CETA-Kampagnen gegen unsere Lebensform einer offenen, freien Gesellschaft. Das und die Ablehnung von Freihandel, Ausländerfeindlichkeit und der Anstieg der Nationalismen hängen zusammen. Hier muss die Politik mehr leisten.

Wird es künftig nur mehr gemischte Abkommen geben, die von den nationalen Parlamente ratifiziert werden müssen? Gibt die EU-Kommission dadurch nicht ihre Kompetenz auf?

Ich halte das für einen Fehler, CETA zu einem gemischten Vertrag gemacht zu haben. Die Dinge sollen demokratisch dort entschieden werden, wie es den Regeln entspricht, und die sind im EU-Vertrag festgelegt.

Kommt das EU-Japan-Abkommen zustande?

Wir sind nahe dran. Das ist ein sehr wichtiges Abkommen für uns und Japan. Vom Volumen her ist es fast so groß wie TTIP. Die Japaner wollen noch Zollsenkungen in sensiblen Bereichen. Wir können das aber nur geben, wenn sie uns Marktzugang beim öffentlichen Beschaffungswesen gewähren. Die Japaner schauen jetzt nach dem CETA-Streit sehr genau auf die EU.

Funktioniert das Südkorea-Abkommen, das es bereits seit 2011 gibt?

Das funktioniert sehr gut. Es gibt extrem ansteigende Exportzahlen, daran hängen auch sehr viele Jobs.

Wie beurteilen Sie das CETA-Vorgehen von Bundeskanzler Christian Kern?

Die Mitgliederbefragung war absurd und populistisch. Dem Österreich-Image hat das geschadet. Ein Land, das zu 60 Prozent vom Export abhängt und zu den Hauptprofiteuren von CETA gehört, hat sich als unwissend gezeigt. Die Bedenken Österreichs basieren auf Mythen. Der Kanzler muss seine Verantwortung übernehmen, was er schlussendlich getan hat.

Inwiefern profitiert Österreich von CETA?

Kanada ist nach den USA, China und Japan der viertwichtigste Überseemarkt. 2015 erreichten die österreichischen Exporte nach Kanada einen Wert von 1,03 Milliarden Euro, die Importe aus Kanada 437 Millionen Euro. Eine Studie spricht von einem Anstieg österreichischer Exporte nach Kanada von 50 Prozent über acht Jahre, das würde zu einer jährlichen Zunahme des österreichischen BIP um 0,2 Prozent führen.

Was halten Sie von Kerns Wirtschaftspolitik?

Ich finde den Ansatz des "New Deal" richtig. Österreich fällt in den Rankings zurück. Die Umsetzung der Ankündigungen Kerns schaut anders aus, es gibt eine Kluft zwischen Anspruch und Realität.

Wie geht es weiter mit der EU, Stichwort Brexit?

Europa zerfällt nicht, wir sind aber in einer Multi-Krisensituation. Es wird ein Durchwursteln werden. Bei Brexit können wir nicht von den Grundprinzipien, auch nicht von der Freizügigkeit, abweichen. Wenn wir diese Tür aufmachen, wollen alle Ausnahmen.

Wo ist mehr Integration nötig?

Wir haben eine unfertige Währungsunion, es braucht eine Fiskalkompetenz. Die Währungsunion hat noch nicht die Regeln, um mit der nächsten Krise, die kommen wird, umzugehen. Wir brauchen eine Teilung der Risiken und der Souveränität. Wir brauchen einen neuen Konsens in der Handelspolitik, auch mehr Integration in der Verteidigung.

Populismus schadet der Wirtschaft?

Links- und Rechtspopulismus sowie Nationalismus brauchen immer Feinde, innere und äußere. Es geht jetzt um die Glaubwürdigkeit der Politik der Mitte.

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