Der Kanzler als Autostopper

Der Kanzler als Autostopper
Werner Faymann nutzte einige Tage vor Start der Herbstsaison für Basis-Kontakte. Ernsthaft politisiert wurde nur am Rande.

Werner Faymann war schon bei den Baby-Stramplern; er hat die Abteilung mit den Kerzenständern und Kunstblumen gesehen, das Eck mit den Herrenanzügen sowieso; und jetzt steht er vor einem Packtisch und fragt sich, wie man wohl ein Baumwollhemd gekonnt zusammenlegt. "I kann des net so schön wie sie", sagt er zu einer Verkäuferin. Die weiß nicht, was sie antworten soll. Also lächelt sie verlegen, sagt gar nichts – und der Kanzler springt ein: "A so a schönes G’schäft ham’s da."

So läuft das also bei Betriebsbesuchen. Und wie immer, wenn Werner Faymann bei Nicht-Politikern ist, gibt er sich weitgehend unpolitisch. "Wie geht’s denn dem Kleinen?", fragt er ein älteres Ehepaar, das eine Lederhose fürs Enkerl kauft. Man spricht über die Familie, den Job. Die Sonntagsöffnung ist das politischste Thema, auf das man zu sprechen kommt – aber das ist nur logisch. Wer draußen bei den Menschen ist, hält sich besser an die Regel: Politisieren ja, aber auf überschaubarem Niveau.

Werner Faymann ist viel unterwegs. Betriebsbesuche in Salzburg, dazwischen Wandern in Niederösterreich; vor Kurzem fuhr er in eine Klamm, um die Chefin der Grünen zu treffen; und heute, Montag, wartet das ORF-Sommergespräch.

Er muss mit allem rechnen, mit harten, unangenehmen Fragen. Ein herber Kontrast zu Terminen wie gerade eben im Trachtenshop.

Faymann ist durchwegs authentisch, er geht auf Passanten zu, und das liegt wohl daran, dass er Rückenwind spürt: Für Schlagzeilen sorgte zuletzt vor allem die ÖVP und ihre Führungskrise; die Inseraten-Affäre ist noch kein Thema – der U-Ausschuss steht; und vor dem Hintergrund der schwelenden Euro-Krise ist der SPÖ-Ruf nach Reichensteuern populärer denn je.

Es läuft also. Und das macht einen Parteichef für gewöhnlich locker.

Tage zuvor war man im Niederösterreichischen. Der Heinzl Toni, ein gelernter Maurer, der seit mehr als 14 Jahren für die SPÖ im Nationalrat sitzt, hatte ihn zur Wanderung nach Nussdorf ob der Traisen geladen.

 

Knallige Farben

Der Kanzler als Autostopper

"Hier gibt’s den besten Veltliner der Welt", sagt der auffällig Adjustierte. Die Hose? Rot. Die Schuhe? Rot. Und weil selbst Brille und Uhr in der Farbe der Sozialdemokratie leuchten, ist Heinzl weithin als Genosse auszumachen.

Eineinhalb Stunden ist der Tross unterwegs. Und da sich an diesem Vormittag in dem 1700-Seelen-Nest kaum jemand auf der Straße zeigt, nutzt der Kanzler die einzige Möglichkeit, um mit Wählern in Kontakt zu kommen: Er macht den Autostopper.

"I bin des zweitälteste Parteimitglied in da Gemeinde", sagt ein älterer Herr, der für den Kanzler das Fenster runterkurbelt. Kurz darauf stoppt ein gelber Wagen neben dem Regierungschef – die Postlerin stellt Packerln zu. "Haß wird’s heit", sagt der SPÖ-Chef im Poloshirt. "Jaja, I schwitz ordentlich". Das Wetter: Wieder so ein unverfängliches Thema.

Über die Politik oder die Politiker will niemand reden oder sich gar auslassen.

Vielleicht ist es zu warm. Vielleicht ist es auch der Respekt vor dem Regierungschef. Wer sagt schon einem Bundeskanzler ins Gesicht, was er wirklich von ihm hält?

Die Frau mit der Sense, die Faymann später zwischen den Reben entdeckt, ist vor allem eines: überrascht. Eigentlich wollte sie "Unkraut danemah`n" – und plötzlich steht der SPÖ-Chef zwischen den Weinstöcken.

Wie er werden wird, der Wein, will Faymann wissen. "Ganz gut. Regnen müsst’s halt." Der Kanzler hat sich schon verabschiedet, als sie ihm nachruft: "Entschuldigung, Herr Bundeskanzler, darf ich noch etwas sagen?"

Will sie ihm also doch die Leviten lesen?

"I tatat eana gern wos über unser` Gegend dazöln", sagt sie – und referiert über die geografischen Vorzüge des Traisentals und den Kaltluft-See in der Mitte ihrer Reben.

Der Kanzler lauscht, lächelt und es scheint, als gefalle ihm das. Weil ein Kanzler manchmal auch ganz gern über so Sachen redet. Über Babystrampler; über den Grünen Veltliner; oder einfach nur übers Wetter.

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