„Den Bundeskanzler rufst du nur im äußersten Notfall an“

„Den Bundeskanzler rufst du nur im äußersten Notfall an“
10. Prozesstag: Zeugen bestreiten direkten Einfluss von Sebastian Kurz und plaudern aus dem Polit-Nähkästchen.

Wer den Dienstag im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts beim Prozess gegen den ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz und seinen damaligen Kabinettschef Bernhard Bonelli verbringt, bekommt einen kleinen Einblick in die Welt der Politik.

„Was ich gelernt habe: Den Minister oder Kanzler rufst du nur in äußersten Notfällen an“, sagt etwa Helmut Kern, der ehemalige Aufsichtsratschef der ÖBAG. Oder: „In diesem politischen Umfeld behaupten relativ viele Leute, etwas sei für jemanden besonders wichtig.“

Kern nimmt Bezug auf eine Nachricht des Hauptbelastungszeugen Thomas Schmid. Dieser schrieb ihm: „Christina Haslauer statt Karmasin wäre ok für Kurz.“ „Thomas Schmid hat also Gschichtln erzählt?“, hakt Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic nach. „Salopp formuliert“, meint Kern.

Im Prozess wegen angeblicher Falschaussagen in Bezug auf Postenbesetzungen – Kurz erklärte, informiert, aber nicht involviert gewesen zu sein – stehen erneut die Personalia rund um die Staatsholding ÖBAG im Fokus der Befragung von Richter Michael Radasztics.

Als Zeugen sind am Dienstag neben Kern auch Aufsichtsrätin Susanne Höllinger und Bernd Brünner, Kabinettschef-Vorgänger von Bonelli und später Generalsekretär im Bundeskanzleramt, geladen.

„Den Bundeskanzler rufst du nur im äußersten Notfall an“

Susanne Höllinger ärgerte sich über Schmid-Chat

„Der Kanzler hat mich nie angerufen“, sagt Höllinger. Und auch, dass Thomas Schmid der bestgereihte als ÖBAG-Chef war. Als ihr ein Chat vorgehalten wird, in dem Schmid an Bonelli schreibt, sie sei „steuerbar“, hat sie nur eine Antwort: „Ich fand diese Formulierung sehr entbehrlich.“

Bernd Brünner wiederum, der den legendären Sideletter von Türkis-Blau verschriftlicht hat, bezeichnet sich selbst als eine Art „Informationsdrehscheibe“. Doch bei der Beantwortung konkreter Fragen zu damaligen Vorgängen tut er sich schwer. „Ich habe täglich eine dreistellige Anzahl von Nachrichten bekommen.“

Wünsch dir was?

Ganz allgemein fragt der Richter, wie das sei mit Vorschlägen und Wünschen: Lässt sich ein Kanzler da nur informieren oder redet er mit? „Die Wahrheit wird wohl in der Mitte liegen“, meint Brünner. Aber es sei eigentlich schon so, dass die Entscheidung der ressortzuständige Minister trifft.

Einen Eindruck über das „getrübte“ Verhältnis zwischen Ankläger und Angeklagten bekommen Besucher auch noch. Kurz-Anwalt Otto Dietrich stellt den Antrag, dass alle Daten (Stichwort Chats), die bei Thomas Schmid sichergestellt wurden, nicht verwendet werden dürfen. Er bezieht sich auf die erst kürzlich gefallene Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, dass das Prozedere der Handysicherstellung verfassungswidrig sei. Die Oberstaatsanwälte der WKStA lachen. „Ich bitte um Contenance, ich weiß, Sie sind aufgeregt“, maßregelt Dietrich. Die WKStA betont, dass die Daten rechtmäßig sichergestellt und ausgewertet wurden. „Das Erkenntnis hat keine rückwirkende Wirkung. Und Herr Kurz hat erst kürzlich gesagt, dass er erleichtert sei, dass immer mehr Chats bekannt werden.“

Der Richter will am Mittwoch darüber entscheiden. Dann werden auch die zwei russischen Zeugen befragt – per Video direkt aus Moskau.

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