Christian Stocker: Die Zeit als Feind des Konsenskanzlers

BUNDESKANZLER CHRISTIAN STOCKER ANTRITTSBESUCH IN PARIS
Bundeskanzler Christian Stocker ist heute zu Gast beim ORF-Sommergespräch. Kann der ruhige ÖVP-Parteichef mit der Formel „2-1-0“ Platz 1 rückerobern?

Ist er der „Buddha von Wien“, wie ihn Europas größtes Nachrichtenmagazin Der Spiegel im Frühling nannte? Oder trifft eher der ÖVP-intern gebrachte Vergleich mit Winston Churchill zu?

Im Zweifel sind Vergleiche immer schief, bei Christian Stocker ist das nicht anders – was hat er wirklich mit einem britischen Premier im Zweiten Weltkrieg gemein?

Erstes Sommergespräch für Kanzler Christian Stocker

Dessen ungeachtet absolvierte der 65-Jährige am Montag sein erstes ORF-Sommergespräch als ÖVP-Chef und Kanzler. Und Fakt ist weiter, dass er wohl der unwahrscheinlichste Bundesparteiobmann der jüngeren Partei- und Zeitgeschichte ist.

Noch im Jänner wäre niemand in der Partei auf die Idee gekommen, dass der Wiener Neustädter Rechtsanwalt Österreichs erste Dreierkoalition anführt.

Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass Stocker der Falsche für den Job ist.

Beobachter loben seinen unaufgeregt-zurückhaltenden Stil, der sich scharf von narzisstisch angehauchten Regierungschefs wie einem Christian Kern oder Sebastian Kurz abhebt.

In der Bundesregierung wird Stockers Autorität weitgehend akzeptiert, nach außen getragene Konflikte sind – noch – Mangelware.

„Leben und leben lassen“ lautet das interne Motto des ÖVP-Chefs, dem selbst grüne Oppositionspolitiker zubilligen, wenig Talent fürs Lügen oder Intrigen zu besitzen.

Mit der Formel "2-1-0" an die Spitze?

Strategieberater wie Thomas Hofer weisen freilich seit Wochen darauf hin, dass Stocker und die gesamte Regierung gut daran täten, inhaltlich offensiver aufzutreten. „Wir sind nicht Kickl, das ist langsam zu wenig.“ Soll heißen: Die Sanierung des Budgets, die sogar noch mehr kosten könnte als die veranschlagten 15 Milliarden Euro für 2025/26 (siehe Seite 3), ist kein Projekt, mit dem man die Herzen gewinnt. Im Gegenteil: Die weiterhin hohe Inflation und Reizthemen wie die Lebensmittelkosten drücken den Österreichern in der global ohnehin angespannten Situation nach wie vor aufs Gemüt. Und das wiederum zeigt sich in einer anhaltenden Unzufriedenheit mit Stockers Regierung. Die FPÖ liegt in Umfragen weiterhin stabil zwischen 30 und 35 Prozent. Und für den ÖVP-Chef wird es entscheidend sein, ob er das wieder drehen kann.

Zuletzt versuchte er die Formel „2-1-0“ zu etablieren: Soll heißen: Inflation auf zwei Prozent runter, Wirtschaftswachstum auf ein Prozent rauf – und null Toleranz gegenüber Extremisten und Demokratie-Feinden.

Inhaltlich ist das wohl sympathisch. Die Frage ist nur: Wie lange hat Stocker Zeit? „Denn in der Partei“, so sagt ein Stratege, „wächst jede Woche, die sich bei unseren Werten nichts zum Positiven bewegt, die Ungeduld.“

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