Wird "Österreich wieder frei", wenn er Präsident wird?
"Alles Arschlöcher." Die Pensionistin in der dicken Daunenjacke kümmert es nicht, dass Robert Marschall gerade eine Rede hält. Dass er an einem kalten, windigen Vormittag mit den Megafon über den Keplerplatz in Wien-Favoriten läuft und gegen die FPÖ wettert und gegen die Regierung. Am dramaturgischen Höhepunkt seiner Ansprache tippt sie ihm auf die Schulter und unterbricht ihn. Um ihm zu sagen, dass alle Politiker Arschlöcher sind. Und Robert Marschall findet: "Die Dame hat recht."
Es ist kurz nach zehn Uhr, und der Endvierziger Marschall buhlt ein paar hundert Meter vor dem Magistratischen Bezirksamt in Favoriten um Aufmerksamkeit. Zwei große Banner hat er aufgestellt, in einem Sonnenschirmständer steckt eine Österreichfahne. Immer wieder zieht er sie aus der Halterung und schwingt sie hoch über den Platz. Marschall will der nächste Bundespräsident Österreichs werden. Im Moment aber weiß er nicht einmal, ob er kandidieren darf.
Damit sich Marschall zur Wahl stellen kann, braucht er, wie alle anderen Kandidaten, 6.000 Unterstützungserklärungen. Nach zwei Tagen hat er hundert, sagt er, vielleicht 120. Knapp drei Wochen bleiben ihm noch.
Seit dem Jahr 2002 hat Robert Marschall einen Feind
Es war keine spontane Entscheidung. Marschall hat sich das gut überlegt. Er hat die Vorteile und Nachteile abgewogen und am Ende war er sich sicher: Die Präsidentschaftskandidatur sei in seinem Fall ein sehr lösungsorientierter Ansatz. "Lösungsorientierter Ansatz", so drückt er das aus.
Für ihn ist die Kandidatur nur ein Zwischenschritt, einer auf dem Weg zu einem größeren Ziel. Denn seit dem Jahr 2002 hat Robert Marschall einen Feind. Seither sieht er ein Unheil nach dem anderen über das Land hereinbrechen, und für Marschall gibt es ohne Zweifel nur eine Institution, die schuld daran hat: Die Europäische Union.
Wenn Marschall einen Schritt nach vorne geht, dann legt er knapp einen Meter zurück. Er ist ein hagerer, großgewachsener Mann. An diesem Tag trägt eine dunkle Jeans, einen karminroten Wollpullover, weiße Kappe, weiße Jacke, und darüber sein politisches Statement: Ein ärmelloses Dress, bedruckt mit einem Verbotsschild, " EU" steht da fett und rot durchgestrichen.
Leicht wird es nicht
Robert Marschall ist 49 Jahre alt und Obmann der EU-Austrittspartei, die er im September 2011 mitgegründet hat. Den bisher größten Erfolg feierte die Partei bei der Europawahl 2014, 2,8 Prozent erhielt sie damals, das waren 78.000 Menschen, die für die EU-Gegner stimmten. Die 6.000 Unterstützungserklärungen bis 17. März zusammenzubringen, wird dennoch schwierig. Das weiß auch Robert Marschall.
Als er mit seiner Ansprache fertig ist, klatschen zwei Hände zögerlich aneinander. Es ist ein melancholischer Klang, der über den Keplerplatz hallt. Der einzige Mann, der Marschall hier zujubelt, ist Edgar Neubacher. Und Neubacher ist Marschalls Wahlkampfleiter. Marschall legt das Megafon auf den Stehtisch am Rand des Platzes und schenkt sich einen Schluck Tee aus der Thermoskanne ein. Dann klatscht Neubacher noch einmal und ruft halblaut: "Bravo, Robert!"
Eine Frau Mitte vierzig kommt an den Tisch und sagt: "Ich verstehe das nicht. Ich dachte, hier geht es um die Bundespräsidentschaftswahl." Marschall nickt. "Aber da steht ja EU-Austritt."
Immer wieder nähern sich Leute dem Wahlkampfstand und entfernen sich mit verwunderten Gesichtern. Immer wieder kommen Menschen vorbei und fragen, ob sie für den EU-Austritt unterschreiben können. Marschall wirbt hier auch weniger für sich als Bundespräsidenten, sondern vielmehr für sich und seine Partei. Oder genauer: Für sich als Bundespräsidenten und sich und seine Partei. Und darin liegt das Problem.
Der Marschall-Plan
Marschall sagt, er mache es anders als alle anderen Präsidentschaftskandidaten. Er führe keinen Persönlichkeitswahlkampf, sondern einen mit Themen. Sein Programm nennt er "den Marschall-Plan".
Das Erste, was er als Bundespräsident tun würde, wäre den Nationalrat auflösen. Das, sagt Marschall, könne er nämlich. Viele würden gar nicht wissen, dass der Bundespräsident der mächtigste Mann im Staat sei. Anders als die bisherigen würde er die Kompetenzen ausnutzen, die dieses Amt mit sich bringt. Und das sagt er auch jedem, der hier vorbeikommt.
Was er ihnen nicht sagt: Der Bundespräsident kann den Nationalrat nicht allein auflösen. Dafür braucht es zuvor den Antrag der Bundesregierung. Nur weil Robert Marschall von der EU-Austrittspartei mit der aktuellen Regierungsarbeit unglücklich ist, kann Robert Marschall als Bundespräsident nicht einfach Neuwahlen ausrufen. Und überhaupt sollte ein Bundespräsident genau das nicht sein: getrieben von parteipolitischen Interessen.
Wo Robert Marschall steht
Marschall spricht mit ruhiger, kräftiger Stimme. Nach jeder Frage, nimmt er sich zwei, drei Sekunden Zeit, er antwortet niemals unüberlegt. Wenn er über Flüchtlinge oder Asylwerber spricht und sie ausschließlich als "Asylanten" bezeichnet, dann tut er das mit einer Bestimmtheit und im Bewusstsein der abwertenden Bedeutung dieses Wortes.
Politisch steht Marschall weit rechts von der Mitte. Er sei gegen Hass und Hetze, sagt er, könne aber den Ärger der Menschen verstehen, die sich Gruppierungen wie etwa der Pegida oder den Identitären anschließen. Als Ende Jänner hunderte Asylgegner dem Demonstrationaufruf der "Partei des Volkes" nachgingen und sich am Villacher Hauptplatz einfanden, hielt dort neben der ehemaligen FPÖ-Nationalratsabgeordneten Susanne Winter unter anderem auch Robert Marschall eine Rede.
Weil er hierzulande inhaltlich am meisten mit der FPÖ teilt, zieht er auch am meisten über sie her. Dass er für den sofortigen EU-Austritt ist, grenze ihn von der FPÖ ab, sagt er. Und unterscheide ihn zum Beispiel auch von der AfD in Deutschland. Sein politisches Vorbild sei aktuell Nigel Farage, Partei-Chef der rechtspopulistischen und EU-skeptischen UKIP in Großbritannien. Weil er das geschafft hat, wovon Marschall seit Jahren träumt: Eine Volksabstimmung über den EU-Austritt.
“Der Robert ist sehr strukturiert”
Am Keplerplatz schwirrt seit Stunden eine ältere Frau um Robert Marschall herum und verteilt Unterstützungserklärungen. Über der hellblauen Daunenjacke trägt auch sie ein Dress der EU-Austrittspartei. Hermine Rambossek ist 68 Jahre alt und wirkt zwanzig Jahre jünger. Sie ist eine treue Begleiterin Marschalls, und das schon seit Jahren. Die Pensionistin hätte gemerkt, dass sie seit dem EU-Beitritt zweihundert Euro mehr im Monat brauche, sagt sie. Irgendwann vor der EU-Wahl habe sie dann Robert Marschall im Fernsehen gesehen, und weil ihr gefiel, was sie sah, rief sie ihn an. So hat es begonnen.
Heute sitzen die beiden abends oft zusammen und reden über Politik. "Ich rede oft durcheinander, will zehn Sachen auf einmal sagen", sagt Hermine Rambossek. Marschall würde dann immer sagen: Hermi, eins nach dem anderen. “Der Robert ist sehr strukturiert.”
Das sagt auch Marschall über sich selbst. Außerdem sei er ein “Zahlenmensch”, Zahlen hätte er schon immer gemocht. Nach der Matura studierte er in Wien Betriebswirtschaft, danach arbeitete er jahrelang als Angestellter in der Telekombranche. “Ich war Minutenhändler. Wer kann das schon von sich behaupten?” Marschall hat Telefonleitungen für tausende Nutzer gelegt, saß vor einem Bildschirm voller Zahlen. "Es war ein schöner Job", sagt er, und in seiner Stimme liegt ein Hauch von Wehmut.
Marschall und "Ausländer und Inländer" im Hallenbad
Seit dem Jahr 2005 ist Robert Marschall Herausgeber des Online-Stadtmagazins Wien-konkret. Auf den ersten Blick könnte man glauben, es handle sich um eine reine Informationsseite der Stadt Wien. Sie informiert auch – nur eben durch den Filter Robert Marschall. Und dieser kratzt nicht selten an der Grenze zur Diskriminierung.
Auf der Seite hat er einen eigenen Beitrag über "Ausländer in Wien" verfasst, und der strotzt vor Pauschalurteilen. Unter den städtischen Hallenbädern findet sich etwa neben den Eintrittspreisen, der Lage, der Anfahrt, auch Auskunft über "den Inländer- und Ausländeranteil." Im Theresienbad gibt es laut Marschall zum Beispiel einen "geringen Inländeranteil", im Floridsdorferbad sei hingegen die Anzahl der "Inländer zu Ausländer ca Halbe : Halbe".
Wien-konret.at ist nur eine von vielen Seiten, die Marschall betreibt - eine von vielen mit fragwürdigem Inhalt. Wer gablitz1.at aufruft, kann sich dort über das Thema "Chemtrails über Gablitz" informieren. Darin beschreibt Marschall die Bedrohung in seinem Wohnort in Niederösterreich durch "chemische Flugzeugstreifen, die durch Versprühen durch Chemikalien entstehen."
Es ist jetzt kurz vor dreizehn Uhr, eigentlich wollten Marschall und seine drei, vier freiwilligen Helfer noch zwei weitere Stunden im zehnten Bezirk Unterschriften sammeln. Aber es sind kaum Leute da. Und es ist kalt. Langsam beginnt Marschall seine Schilder und Banner wegzuräumen. Sorgfältig rollt er die Österreichfahne auf und räumt sie in den Kofferraum seines alten silbernen Mitsubishi. Hermine Rambossek geht in der Zwischenzeit schon vor, auch Werner Haider ist dabei, er kümmert sich um die Videos und Social Media-Kanäle von Marschall. Sie wollen am nahegelegenen Columbusplatz noch gemeinsam Mittagessen.
Marschall und der Schilling
Robert Marschall hat keine Frau und keine Kinder, er wohnt allein in einem Haus in Gablitz. In seiner Freizeit geht er gerne tanzen, sagt er, er mag Salsa und Rumba, überhaupt lateinamerikanische Tänze. Auf seinem Schreibtisch daheim liegen Schillingmünzen und Scheine, die er hortet wie einen Schatz. Für Robert Marschall sind das nicht nur Überbleibsel aus vergangenen Tagen. Für Robert Marschall sind diese Schillinge auf seinem Schreibtisch die Erinnerung an ein gebrochenes Versprechen.
Als am 12. Juni 1994 die Österreicher in die Wahllokale strömten, um über den EU-Beitritt abzustimmen, war auch Marschall einer der 3.145.981 Österreicherin und Österreicherinnen, die "Ja" ankreuzten. Spätestens dann aber, als der Euro kam, war es für Marschall vorbei. Er hätte sich darauf verlassen, sagt er, dass der Schilling bleibt.
Wenn Marschall eine Euro-Summe erwähnt, sagt er heute noch den Schillingwert dazu. Und es klingt nicht so, als würde er das aus Gewohnheit tun. Vielmehr aus Trotz. Marschall möchte den Schilling zurück , und die Souveränität des Nationalstaates, und er möchte permanente Kontrollen an der Grenze.
"Ach, der Robert hat sein Handy schon wieder aus"
Und Hermine Rambossek und Werner Haider möchten, dass Robert Marschall endlich kommt. Seit zehn Minuten warten sie am Columbusplatz, und sie sind sich nicht sicher, in welchem Gasthof Marschall gerne essen würde. Haider versucht es auf seinem Handy. "Ach, der Robert", sagt er noch wenigen Sekunden. "Er hat sein Handy schon wieder aus." Obwohl Marschall mitten im Wahlkampf ist, schaltet er das Mobiltelefon bei jeder Gelegenheit ab. Weil er die Strahlenbelastung so gering wie möglich halten wolle. Das ist auch der Grund, warum er kein Smartphone, sondern einen schwarzen Klotz von Nokia hat.
Irgendwann kommt Marschall dann doch noch. Kaum haben sie sich an den Tisch im Restaurant gesetzt, beginnt Hermine Rambossek über Politik zu sprechen, und sie spricht schnell und wirkt aufgeregt. "Hermi", sagt Marschall, "eins nach dem anderen."
Marschall bestellt ein großen helles Bier und Gulasch mit Semmelknödel. "Wenn die EU heuer noch zerfällt, dann muss man schauen, was die nächsten Ziele sind", sagt Marschall so, als würde in diesem Satz nichts Großes liegen. Er hält es für gut möglich, dass die EU im Jahr 2016 auseinanderbricht. Man müsse sich nur ansehen, was mit dem Schengener Abkommen passiere, sagt er. "Alle paar Tage wird ein neuer Grenzzaun aufgestellt." Ob er sich freue über jeden neuen Zaun? Marschall überlegt einen Augenblick. Dann sagt er: "Freude ist das falsche Wort."
"Frau Mikl-Leitner hat sich mein Video angeschaut"
Am 28. Jänner stellte Marschall ein Video auf seinen YouTube-Channel, darin fordert er unter anderem Grenzkontrollen am Brenner. "Und nicht mal zehn Tage später hat das auch die Innenministerin gesagt", sagt Marschall. Entweder handle es sich hier um einen großen Zufall, oder – und das hält Marschall für wahrscheinlicher – "Frau Mikl-Leitner hat sich mein Video angeschaut."
Dann erzählt er, dass es am 5. März die nächste große Kundgebung vor dem Wiener Donauzentrum geben wird. Es ist auch der Tag, an dem Robert Marschall genau fünfzig Jahre alt wird. Seinen Geburtstag könnte er nicht besser verbringen, findet er. Er hoffe nur, dass dann mehr Leute kommen als an diesem Tag zum Keplerplatz.
"Es wird schon schwierig werden, die 6.000-Unterschriften-Hürde zu schaffen", sagt Marschall. "Aber würde ich nicht kandidieren wollen, würde sich keiner dafür interessieren, wenn ich auf der Straße stehe." So erhalte er zumindest Aufmerksamkeit für seinen Marschall-Plan. Ein lösungsorientierter Ansatz eben.
Sollte er es aber schaffen, sollte er es wirklich bis zum Bundespräsidenten schaffen, sagt Robert Marschall, dann wüsste er schon, welchen Satz er zuallererst an das österreichische Volk richten würde. Es wäre dieser: "Österreich wird wieder frei."
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