Buh-Rufe statt Jubel über "größte Steuerreform"

Hoteliers und Gastronomen skandieren als Wutbürger vor dem Bundeskanzleramt gegen die Steuerreform.
Kanzler Faymann und Vizekanzler Mitterlehner trotzen den Kritikern: Das Paket wird nicht aufgeschnürt, möglich sind nur kleine Korrekturen. Pläne für Spar-Reformen bleiben weiter vage.

Es ist perfektes Timing. Just als ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner beginnt, über die Vorzüge der Steuerreform zu referieren, wird es laut. Nicht drinnen im Kanzleramt, wo er neben SPÖ-Regierungschef Werner Faymann vor den Medienleuten steht. Von draußen kommt der Lärm. Gastronomen und Hoteliers protestieren auf dem Ballhausplatz gegen die Neuerungen für ihre Branche (siehe rechts). Auf den Transparenten: das Wirtschaftskammerlogo. Unangenehm für den einstigen Wirtschaftskämmerer Mitterlehner.

Er ist in neuer Rolle. Und der wird er gerecht: Ja, es gebe "Wermutstropfen" für manche; "es gibt aber für niemanden eine existenzielle Bedrohung". Über das eine oder andere Detail könne gesprochen werden, "klar ist aber: Insgesamt wird es amGesamtpaket keine gravierende Änderung geben. Es ist eine Prinzipienfrage im Polit-Bereich: Wir müssen Linie halten, sonst sind wir verloren." Die Touristiker verwahren sich dagegen, dass die Mehrwertsteuer für Nächtigungen von zehn auf 13 Prozent steigt; mehr als 100 Millionen Euro werde sie das jährlich kosten. Und sie beklagen, dass durch eine höhere Grunderwerbssteuer "Betriebsübergaben mit durchschnittlich 70.000 Euro belastet" würden. Dass die Mehrwertsteuer nicht schon im Jänner kommenden Jahres, sondern erst im April steigt, befriedet die Aufgebrachten nicht. Petra Nocker-Schwarzenbacher, Tourismusvertreterin in der Wirtschaftskammer, befindet: "Das Vertrauen in die Politik ist schwer erschüttert."Mitterlehner sagt Nocker-Schwarzenbacher – auch bei einem halbstündigen Gespräch – nur eines zu: "Präzisierungen", um diese Branche "nicht schlechterzustellen".

Über die "Registrierkassenpflicht", mit der 900 Millionen Euro lukriert werden sollen, lassen Kanzler und Vizekanzler nicht mit sich reden. Die werde es geben. Faymann forsch: "Jeder Arbeiter und Unternehmer zahlt Steuer. Dann kann nicht jemand aufstehen und sagen: Wenn ich Steuer zahlen muss, sperre ich zu. Mit solchen Drohungen kommt niemand bei uns an." Madig machen lasse sich die Regierung das gesamte Projekt nicht: "4,9 Milliarden Euro gehen in die Brieftaschen der Menschen. Das bedeutet eine Senkung der Lohn- und Einkommenssteuer um durchschnittlich 18 Prozent." Auch Mitterlehner ist stolz auf das koalitionäre Werk: "Es ist mehr als die formale Erfüllung eines Versprechens. Es kann sich inhaltlich sehen lassen."

Der Großteil "der größten Steuerreform in der Zweiten Republik" ist seit vergangenem Freitag bekannt; feingeschliffen wird sie erst gestern – kurz vor der Regierungssitzung, in der die "Punktation" dazu beschlossen wird. Hernach präsentieren Faymann und Mitterlehner das 12-seitige Papier, das einiges enthält, das noch nicht publik ist (siehe unten). Besonders bemerkenswert: Die Finanzbehörden können ab sofort in Unternehmerkonten schauen. Schonfrist für Steuerbetrüger gibt es damit nicht.

So präzise Rot und Schwarz auflisten, wem die Steuerreform was bringt, so vage sind sie, was Reformen anlangt, um sie gänzlich zu finanzieren. Auf der letzten der zwölf Seiten heißt es unter dem Stichwort "Strukturreformen" lediglich: "Zur Unterstützung der Ziele bekennt sich die Bundesregierung zu Reformen in den Bereichen Verwaltung, Förderungen, Arbeitsmarkt und Pensionen, wie sie unter anderem bereits im Regierungsübereinkommen festgelegt wurden."

Das Steuersystem reformiert haben schon etliche Finanzminister. So einst auch der rote Hannes Androsch. Seit Längerem kritisiert er Faymann &Co immer wieder. Das ärgert Mitterlehner mehr als der Aufstand der Wut-Wirte. Androsch solle nicht (wie jüngst via ZiB2 von China aus) monieren, dass die Mehrwertsteuer für Beherbergung steige: "1975 hat er selbst die Mehrwertsteuer um zwei Prozent erhöht." Den Beleg hat Mitterlehner dabei. Er wachelt mit Androschs damaliger Regierungsvorlage. Faymann schweigt dazu – und scheint es zu genießen.

"Uns reicht’s!", "Steuerbetrüger? Wir sind die Betrogenen!", "Wir sind das Proletariat des 21. Jahrhunderts."

Wir, das sind Gastronomen und Hoteliers, die mit Trillerpfeifen, Kuhglocken und Plakaten vor dem Bundeskanzleramt ihrer Wut hör- und lesbar freien Lauf lassen. Der explizite Adressat ihres Unmuts sitzt Dienstagvormittag wenige Meter weit im Ministerrat. "Django – Totengräber der Tourismuswirtschaft!", "Django, spiel mir das Lied vom Wirtetod!", "Wir wollen Django sehen!"

VP-Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner hat die Reform-Rechnung ohne die Wirte gemacht. Diese halten Plakate mit durchgestrichenen Registrierkassen in die Höhe und machen dem Minister – wenn man so will – öffentlich einen Strich durch die Rechnung.

"Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass nicht mehr die Arbeitnehmer sondern die Arbeitgeber für ihre Rechte auf die Straße gehen müssen", sagt Peter Dobcak im KURIER-Gespräch. Der Obmann der Fachgruppe Gastronomie in der Wiener Wirtschaftskammer hat zur Kundgebung "Gegen Belastungspaket im Tourismus" aufgerufen. Geschätzte 400 Demonstranten sind gefolgt. High-Noon-Stimmung weit vor 12 Uhr Mittag.

Kochlöffel-Kritik

Durch das Megafon wird skandiert. Im persönlichen Gespräch wird präzisiert. "Die immer höheren Auflagen setzen uns extrem zu. Erst die EU, jetzt auch noch die Registrierkassen-Pflicht – das kostet uns alle Millionen." Der niederösterreichische Konditor, der wie viele andere eigens nach Wien angereist ist, prangert zudem die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 13 Prozent mittels Transparent an. Ein anderer schwingt einen überdimensionierten Kochlöffel. Kuhglocken-Crescendo seitens der Demonstranten. Neugierige Fragen und Handy-Fotos seitens der Passanten.

Drei Hoteliers sind im Trachtensakko da und sich einig: "Die Bundesregierung stürzt sich auf uns, weil es im Tourismus eine Standortgarantie gibt. Wir können nicht absiedeln! Dass gerade Mitterlehner als Wirtschaftsbündler uns hängen lässt, das enttäuscht uns sehr!" Für die Branche sei die gepriesene Steuerreform ein geschmalzenes Belastungspaket. In einem halbseitigen Memorandum fordert die österreichische Tourismuswirtschaft deshalb von Faymann und Mitterlehner einen Verzicht auf die Umsatzsteuererhöhung, die volle Absetzbarkeit von Geschäftsessen und die Neuregelung bei Arbeitsruhezeiten.

"Wenn diesbezüglich gar nichts weitergeht, wird es zu weiteren Kundgebungen kommen", sagt Wirtschaftsbündler Dobcak. Vor "High Noon", kurz nach elf Uhr, ist die ungewöhnliche Demo vorbei. Vorerst.

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