Blümel: "Verstehe, dass die Situation extrem aggressiv macht"
Finanzminister Gernot Blümel verspricht bei den neuen Hilfen im Lockdown mehr Treffsicherheit. Entschuldigen will er sich für das Zögern der letzten Woche nicht.
Österreich geht heute in den mittlerweile vierten Lockdown, der 20 Tage dauern soll. Der KURIER hat mit Finanzminister Gernot Blümel über Hilfsgelder, Perspektiven und Fehler gesprochen.
KURIER:Herr Blümel, vor einem Jahr galt in der Krise noch das Motto: „Koste es, was es wolle.“ Worte wie diese hört man jetzt nicht mehr. Geht Österreich langsam das Geld aus?
Gernot Blümel: Auch wenn die aktuelle Situation für alle sehr frustrierend ist, ist die Situation im Vergleich zu vor einem Jahr doch anders. Der Ausweg aus der Pandemie ist vorhanden – das ist die Impfung, wenn sich genügend immunisieren lassen. Vielleicht auch deshalb die andere Akzentuierung, trotz allem Ungemachs.
Konkreter gefragt: Der Lockdown ist zeitlich auf 20 Tage begrenzt. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Lockdown verlängert werden muss. Wie viel lange können wir uns einen Lockdown leisten?
Wir haben bisher die Betriebe unterstützt und tun das auch jetzt. Ganz generell ist im soeben beschlossenen Budget vorgesorgt, sowohl in den einzelnen Ressorts als auch mit einer allgemeinen Covid-Reserve von fünf Milliarden Euro. Im gesamten Bundesfinanzrahmengesetz bis inklusive 2025 sind neun Milliarden an Covid-Überschreitungen eingestellt.
Der Instrumentenkoffer bei den Hilfen wird nun einfach fortgesetzt. Wifo-Chef Gabriel Felbermayr und auch die Opposition meinen, es wäre schön gewesen, wenn wir die Hilfen besser evaluiert hätten und etwa bei den Fixkosten nicht nur den Leasingfirmen, Immobilienbesitzern und Banken geholfen hätten. Warum ist das nicht passiert?
Wir haben sehr viel gelernt, was die Hilfen betrifft. Den Fixkostenzuschuss gibt es in dieser Form nicht mehr, zuletzt ist der Ausfallsbonus zum Tragen gekommen, wo wir auch Adaptierungen vorgenommen haben. Die Umsatzkompensation, die sich von Unternehmensgruppe zu Unternehmensgruppe unterscheidet, stellt nun auf den Rohertrag ab (Anmerkung: die Differenz zwischen Umsatzerlösen und Waren- und Materialeinsatz). Es gibt also nicht mehr die Pauschalvariante. Dadurch sind die Hilfen treffsicherer geworden.
Vor einem Jahr gab es noch den Umsatzersatz, der wurde nicht mehr aktiviert. Ist die Überförderung sichtbar geworden?
Zum damaligen Zeitpunkt war der Umsatzersatz eine richtige Maßnahme. Aber so schnell der Umsatzersatz damals ausgezahlt werden konnte, so wenig treffsicher war er. Alles, was sehr rasch und sehr einfach passiert, beinhaltet auch, dass es wenig Kontrolle gibt. Mit dem Ausfallsbonus haben wir eine bessere Abgrenzung geschaffen.
Die Opposition moniert, dass viele Hilfen aus dem Vorjahr noch immer nicht ausgezahlt worden seien. Wird das trotzdem schneller gehen, wenn das System treffsicherer werden soll – also mehr geprüft wird?
Diese Kritik kommt aus einer Zeit, wo es auch tatsächlich so war, nämlich zu Beginn der Pandemie. Da hat es zu lange Wartezeiten gegeben, weil das System noch ganz neu war. Mittlerweile ist diese Kritik ein Ritual der Opposition. Die Abarbeitungsdaten liegen bei Hunderttausenden Anträgen bei über 90 Prozent. Im Schnitt dauert das Genehmigungsverfahren beim Ausfallsbonus etwa sieben Tage. Beim Umsatzersatz lagen wir bei sechs Tagen. Pauschal lasse ich diese Kritik daher nicht mehr gelten.
42 Milliarden an Hilfen sind abgerufen oder zugesichert worden. Neun Milliarden könnten dazu kommen - das macht stolze 51 Milliarden Euro. Haben Sie eine Perspektive, wann diese Summe abgezahlt sein wird?
Wir haben im Frühjahr 2021 noch ein Budget beschlossen, wo der Schuldenstand auf 89 Prozent der Wirtschaftsleistung steigt. Das wird nicht passieren. Der Schuldenstand wird auf unter 80 Prozent der Wirtschaftsleistung fallen. Man sieht, dass es sehr schnell in die andere Richtung gehen kann. Wie sich die neue Situation auf das Budget auswirkt, kann man noch nicht sagen. Ich gehe davon aus, dass wir den Schuldenberg relativ schnell zur Wirtschaftsleistung abtragen können.
„Relativ schnell“ klingt sehr abstrakt. Was bedeutet das konkret?
Vor einem Jahr hat Christoph Badelt gesagt, wenn es Österreich schafft, in dieser Legislaturperiode, die Defizitkriterien nach Maastricht, also von drei Prozent einzuhalten, dann sei das ambitioniert. Wir erreichen im aktuellen Budget für nächstes Jahr 2,3 Prozent. Insofern ist das schnell.
Hält die ökosoziale Steuerreform – trotz neuerlichen Lockdowns?
Die ist von der Entwicklung unberührt. Weil wir in gänzlich anderen Bereichen strukturelle Maßnahmen verändern wollten und das werden wir, genau wie die Entlastung der Menschen, auch wie geplant tun.
Wenn man die Reaktionen der Gastronomen und Hoteliers und auf den SozialenMedien sieht, liest man viel von Enttäuschung, Frust und Wut. Ist die Wintersaison mit dem Lockdown gerettet?
Ich bin kein Virologe. Ich habe in der Pandemie auch gelernt, vor meiner eigenen Tür zu kehren und bei meinen Leisten zu bleiben. Im Finanzbereich versuchen wir natürlich alles zu tun, um uns zu verbessern. Welche Maßnahme nun welche Auswirkung in virologischer Hinsicht hat, traue ich mich nicht zu bewerten. Ich gehe davon aus, dass sich die Experten das gut überlegt haben. Ich habe auch gelernt, dass man in der Pandemie wohl kaum etwas ausschließen kann.
Sebastian Kurz hat im Sommer erklärt, dass die Pandemie für Geimpfte zu Ende ist. Nun kommt der Lockdown für alle. Verstehen Sie, wenn den Geimpften – auf gut Wienerisch gesagt – das „Geimpfte aufgeht“?
Natürlich, das gilt für uns alle, unabhängig von der beruflichen Situation. Es ist extrem ärgerlich. Die Situation macht viele Leute grantig und extrem aggressiv, das verstehe ich. Man kann bei jedem Problem die Frage stellen, wer ist schuld. Oder man kann bei einem Problem danach suchen, wie man es am besten löst. Ich habe im letzten Jahr auch sehr viel Kritik einstecken müssen – auch als Obmann der ÖVP-Wien, dass ich als Oppositionspolitiker die Corona-Politik der Stadt Wien zu wenig kritisiert hätte. Ich persönlich bin der Meinung, dass die Pandemie gemeinsam, über Parteigrenzen hinweg, zu lösen ist. Deswegen werde ich jetzt nicht beginnen, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Ich kehre vor meiner eigenen Haustür als Finanzminister und versuche, die Maßnahmen ständig zu verbessern. So sollten es andere auch halten.
Innerhalb einer Woche wurden viele Versprechen gebrochen. ÖVP-Kanzler Schallenberg meinte, es gibt keinen Lockdown für Geimpfte. Es kommt keine Impfpflicht. Jetzt ist beides beschlossen. Das hat doch nichts damit zu tun, dass man mit dem Finger auf jemanden zeigt ...
In meinem Bereich waren die Experten vor wenigen Wochen noch der Meinung, dass die Pandemie in wirtschaftspolitischer Hinsicht beendet ist. Das stellt sich nun auch anders dar. Das bedeutet nicht, dass jemand hier sorglos war, sondern es war in vielen Bereichen sehr schwierig, eine Einschätzung zu treffen.
Das Statement war erst vor einer Woche. Gesundheitsminister Mückstein und auch Bundeskanzler Schallenberg haben sich entschuldigt. Würden Sie das für das Verhalten der ÖVP auch tun?
Ich kann für meinen Bereich sprechen. Da haben wir im letzten Jahr immer zugegeben, dass Fehler passiert sind und wir dazugelernt haben. Es ist eine Illusion zu meinen, dass ein Verantwortungsträger in der Pandemie für sich beanspruchen kann, alles richtig gemacht zu haben.
Der frühere Kanzler Sebastian Kurz hat bereits im Sommer von einer coolen Zeit gesprochen, die auf uns zukommt. Eine Fehleinschätzung, wie sie schlimmer nicht sein hätte können. Pflichten Sie mir da bei?
Es sind in vielen Bereichen Fehleinschätzungen passiert. In jeder Krise gibt es viele, die sagen, wir haben manche Entwicklungen immer schon gewusst. Und in der Retrospektive war es dann doch nicht so. Die, die jede Maßnahme kritisiert haben und immer alles besser gewusst haben, lagen definitiv falsch.
Wenn Sie die Pandemie über die Parteigrenzen hinweg lösen wollen, würden Sie als ÖVP-Wien-Obmann dann sagen, dass Michael Ludwig in den vergangenen sechs Monaten vieles richtig gemacht hat?
Es gibt viele, die sehr gute Maßnahmen gesetzt haben. Ich habe aus gutem Grund gesagt, in der Pandemie sollte man zusammenhalten, auch wenn man in der Opposition ist. In Wien werde ich das auch weiterhin so halten.
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