Bildungsreport: So steht es um unsere Schulen

Bildungsreport: So steht es um unsere Schulen
Die Bildungsausgaben stiegen zwischen 2000 und 2009 um 25 Prozent. Nachholbedarf bei Lehrern. Die wichtigsten Fakten des Reports.

Die Zahl der Schüler mit einer anderen Erstsprache als Deutsch hat sich zwischen 1995 und 2011 verdoppelt. Das zeigen Daten aus dem am Montag präsentierten "Nationalen Bildungsbericht". In dieser Zeit ist der Anteil der "einsprachig deutschsprachigen" Kinder an den Volksschulen von 88 auf 76 Prozent gesunken. Die Verdoppelung der Zahl mehrsprachiger Schüler zeigt sich in praktisch allen Bundesländern.

"Daheim eine andere Sprache als Deutsch zu sprechen heißt aber nicht, dass die Kinder nicht Deutsch sprechen oder keine guten Leistungen bringen können", betonte Herausgeberin Barbara Herzog-Punzenberger bei einer Pressekonferenz.

Faktor Herkunft

Der Bildungserfolg von mehrsprachigen Schülern ist je nach Herkunftsgruppe unterschiedlich: Schüler, die daheim Polnisch, Slowakisch oder Ungarisch sprechen, sind zu einem höheren Anteil in Gymnasien als rein deutschsprachige Kinder, so Herzog-Punzenberger. Umgekehrt ist dagegen die Lage türkischsprachiger Kinder. Ähnliches zeigte schon die PISA-Studie 2009.

Deutliche Unterschiede gibt es auch bei den unterschiedlichen Schultypen. Als Beispiel: An den Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik bzw. -sozialpädagogik liegt der Anteil der mehrsprachigen Schüler nur bei vier Prozent, an Handelsakademien dagegen bei 24 Prozent.

Auch sonst zeigt sich ein differenziertes Bild: Mehrsprachige Kinder werden überdurchschnittlich oft in Vorschulklassen (und damit als nicht schulreif) eingestuft, landen überdurchschnittlich häufig in Sonderschulen und finden sich umgekehrt unterdurchschnittlich oft in AHS.

Lehrer

Nachholbedarf gibt es laut Herzog-Punzenberger bei der Lehreraus- und -weiterbildung. Künftig solle es "keinen Lehrer geben, der nicht weiß, wie er kompetent mit der Mehrsprachigkeit der Schüler bzw. Eltern umgehen kann". (lesen Sie dazu folgendes Kommentar von Ute Brühl)

Die Kinder an Österreichs Schulen sollen besser lesen lernen. Ein Weg dorthin ist laut Bildungsministerin Claudia Schmied eine verbesserte Lehreraus- und fortbildung. Diese Botschaft hören wir gerne. Denn das Studium ist an manchen – zum Glück nicht allen – Pädagogischen Hochschulen katastrophal.

Das hat viele Gründe. So wird derzeit jeder Student aufgenommen, auch wenn er noch so ungeeignet ist für den Job. Diese mäßig motivierten Studenten treffen auf mittelmäßige Lehrende, die ihren Job nur deshalb bekommen haben, weil sie gute Kontakte haben und nicht, weil sie die besten in ihrem Fach sind. Auch das Curriculum ist völlig veraltet – Interkulturelles Lernen ist etwa kein Pflichtfach. Das wirkt sich auf den Schulalltag aus. Besonders in Wien stöhnen die Direktoren über Junglehrerinnen, die ihr Handwerk nicht gelernt haben.

Wenn die Ministerin also besser ausgebildete Lehrer will, dann sollte sie sich als erstes die PH in der Ettenreichgasse kümmern. Denn gerade in Wien, wo der Migrantenanteil am höchsten ist, braucht es die besten Lehrer. Damit wir nicht noch eine verlorene Generation produzieren.

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BILDUNGSAUSGABEN

Die öffentlichen Bildungsausgaben Österreichs pro Kopf sind zwischen 2000 und 2009 um 25 Prozent gestiegen. Am stärksten zugenommen haben die Ausgaben für die Jüngsten durch das verpflichtende Kindergartenjahr (plus 50 Prozent), am wenigsten zusätzliches Geld gab es für Hauptschulen, Neue Mittelschulen (NMS) und AHS-Unterstufen (plus zehn Prozent). Die Pro-Kopf-Bildungsausgaben Österreichs liegen über den gesamten Schul- und Hochschulbereich mit durchschnittlich 9000 Euro (kaufkraftstandardisiert) ganz deutlich über dem Schnitt der EU-27.

Kostentreiber sind dabei laut Bericht die relativ kleinen Klassen und eine geringe Jahres-Unterrichtsleistung in der Sekundarstufe, wo "die Netto-Unterrichtszeit trotz einer relativ hohen statuarischen Lehrerarbeitszeit stark unterdurchschnittlich ist".

Am meisten wird aufgrund der besonderen Betreuungsverhältnisse pro Kopf an den Sonderschulen ausgegeben (rund 30.900 Euro), das berufsbildende Schulwesen kommt mit rund 10.200 Euro teurer als allgemeinbildende Schulen (7900).

CHANCENGLEICHHEIT

Das österreichische Schulsystem ist "durch ein hohes Ausmaß an Chancenungleichheit und Kompetenzarmut" gekennzeichnet. Vorgeschlagen wird die Definition eines "absoluten Bildungsminimums" - bei den Bildungsstandard-Erhebungen sollten in Ergänzung zur Kompetenzstufe "Standards erfüllt" entsprechende Schwellenwerte zur Bestimmung von Kompetenzarmut festgelegt werden. Schüler, die dieses Minimum nicht erreichen, müssten individuell gefördert werden. Daneben müssten auch die Arbeitsbedingungen an Schulen mit schwierigen Ausgangsbedingungen verbessert werden. Diese müssten zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen mehr finanzielle Mittel als jene mit günstigen Bedingungen erhalten - vorgeschlagen wird eine indexbasierte Finanzierung. Empfohlen wird außerdem der Ausbau ganztägiger Schulformen. "Wünschenswert" wäre außerdem eine spätere Selektion nach der Volksschule und eine Verlängerung der Sekundarstufe I (derzeit AHS-Unterstufe, Hauptschule, Neue Mittelschule) etwa bis zum Alter von 16 Jahren.

Soziale Mobilität nur in geringem Ausmaß zu erkennen

"Soziale Mobilität zwischen den Generationen ist nur in geringem Ausmaß zu erkennen“, ergibt auch eine Analyse des Mikrozensus durch das IHS. So besuchen rund drei Viertel der 17-Jährigen, deren Eltern eine Matura besitzen bzw. über 90 Prozent derer, deren Eltern eine Hochschule abgeschlossen haben, eine AHS-Oberstufe bzw. BHS. Unter Schülern, deren Eltern maximal einen Pflichtschul- bzw. Lehrabschluss haben, sind es hingegen nur knapp 20 bzw. 40 Prozent. Trotz der Expansion der vergangenen Jahre setzt sich dieses Bild auch an den Hochschulen fort. An den wissenschaftlichen Unis haben nur sieben Prozent der Studienanfänger (Wintersemester 2010/11) einen Vater mit Pflichtschulabschluss, aber 22 Prozent einen Vater mit Hochschulabschluss. An den Fachhochschulen ist das Verhältnis etwas ausgeglichener.

GANZTAGSSCHULE

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Empfohlen wird der Ausbau der verschränkten Form mit einem ganztägigen Wechsel von Freizeit, Betreuung und Unterricht. Derzeit gebe es hauptsächlich ein "freiwillig zu nutzendes, additives Nachmittagsbetreuungsangebot, das sich an einen dichten, meist sechsstündigen Unterrichtsvormittag anschließt" - was angesichts der fehlenden räumlichen, personellen und finanziellen Infrastruktur verständlich sei.

Über eine Aufhebung des Erfordernis der Zwei-Drittel-Zustimmung der Lehrer für eine verschränkte Ganztagsschule solle "nachgedacht" werden. Den Bedarf an Ganztagsplätzen sieht der Bericht durch die derzeitigen Ausbaupläne nicht gänzlich abgedeckt. Je nach Berechnungsmodell ergibt sich für 2015 eine Betreuungslücke zwischen 30.000 bis 50.000 Plätzen.

LEHRER: Mangel nach Pensionierungswelle?

Für 2017/18 ist mit dem Höhepunkt der Pensionierungswelle zu rechnen. Rund 4500 Lehrer werden dann in den Ruhestand übertreten, auch danach wird mit 4000 Pensionierungen jährlich gerechnet. Bis 2020 soll damit jeder dritte derzeit beschäftigte Lehrer - insgesamt ca. 36.500 Personen - in Pension gehen. Der Hauptschulbereich wird stärker betroffen sein als AHS, BMHS und Volksschulen mit weniger als einem Viertel. Gleichzeitig geht die Statistik Austria von einem Rückgang der Schülerzahlen bis 2020/21 um fünf Prozent aus. "Ob es zu einem Lehrermangel kommen wird, hängt stark von der künftigen Ausbildungs- und Beschäftigungspolitik ab".

LESEKOMPETENZ: "Bestenfalls Mittelfeld"

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APA10531998-2 - 06122012 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA 0078 II - THEMENBILD - Illustration zum Thema "Progress in International Reading Literacy Study (PIRLS)": Die Progress in International Reading Literacy Study (PIRLS) testet die Leseleistungen von Schülern am Ende der vierten Klasse Volksschule. Durchgeführt wird sie alle fünf Jahre von der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) mit Sitz in Boston (USA), in Österreich wickelt das Bundesinstitut für Bildungsforschung (Bifie) die Studie ab. Im Bild Volksschüler, aufgenommen am 22. November 2007 beim Lesen in einem Klassenzimmer. APA-FOTO: ROLAND SCHLAGER

"Der Outcome des österreichischen Schulsystems im Bereich Lesen entspricht nicht den Erwartungen an eine Kultur- und moderne Wirtschaftsnation", heißt es im Bericht. Ininternationalen Vergleichenlägen die Schülerbestenfalls im Mittelfeld, besonders im Sekundarbereich aber deutlich darunter. "Diese insgesamt unbefriedigenden Leistungen sind nicht nur auf einen verhältnismäßig hohen Anteil an Risikoschülerinnen und Risikoschüler mit besonders schwachen Leseleistungen zurückzuführen, vielmehr kann auch die Leistungsspitze der besonders kompetenten Leser/innen im internationalen Vergleich nur bedingt mithalten."

Empfohlen wird eine "Professionalisierung der Lehrerschaft", die Pädagogen benötigten eine umfassende Ausbildung in lesepsychologischen und -didaktischen Grundlagen. Außerdem müsse bereits im Kindergarten mit Maßnahmen zur Förderung der Vorläuferfähigkeiten des Schriftspracherwerbs begonnen werden. Leseförderung dürfe sich auch nicht nur auf das Fach Deutsch beschränken. Schüler mit Leseproblemen müssten frühzeitig identifiziert und unterstützt werden - sowohl im allgemeinen Unterricht als auch durch spezielle Fördermaßnahmen mit den entsprechenden Ressourcen.

MEHRSPRACHIGE KINDER

Der Anteil mehrsprachiger Schüler unterscheidet sich stark nach Schultypen, Regionen und Wohngebieten. Folge ist eine Segregation der Schüler mit Migrationshintergrund: Nur insgesamt neun Prozent der Schüler werden nicht in der 1. Klasse Volksschule, sondern in eine Vorschulklasse eingeschult. Schüler mit nicht-deutscher Muttersprache sind hier allerdings deutlich überpräsentiert: Sie stellen nur 23 Prozent der Volksschüler, aber 50 Prozent der Vorschüler. In Wien haben mehr als 50 Prozent der Volksschüler nicht-deutsche Muttersprache, aber 75 Prozent der Vorschüler. In den übrigen Bundesländern ist der Anteil der Schüler nichtdeutscher Muttersprache in den Vorschulen sogar zwischen zwei-und dreimal so hoch wie an den Volksschulen. Auch später sitzen Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache vermehrt in Klassen, in denen ein Großteil der Schüler ebenfalls eine andere Muttersprache als Deutsch besitzt. Denn obwohl in der Sekundarstufe I jeder fünfte Schüler Migrationshintergrund hat, trifft dies auf nur 16 Prozent der AHS-Schüler zu (21 Prozent an den Hauptschulen, 28 Prozent an den Neuen Mittelschulen und 30 Prozent an den Sonderschulen). Folge: Diese Schüler "haben im österreichischen Schulwesen derzeit schlechtere Chancen, Defizite in der Unterrichtssprache auszugleichen". Die Einflussmöglichkeiten der Bildungspolitik, diese Segregation aufzubrechen, sind dabei laut dem Bericht beschränkt. Diese Trennung sei nämlich neben der schulischen Selektion "im Wesentlichen durch eine räumliche Trennung der Wohnbevölkerung bedingt".

REGIONALE UNTERSCHIEDE

Je größer der Wohnort, umso höher die Wahrscheinlichkeit, nach der Volksschule in eine AHS-Unterstufe überzutreten. In Wien und anderen Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern (Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck) tritt knapp die Hälfte der Volksschulabsolventen in ein Gymnasium über. In den 20 Gemeinden mit 20.000 bis 100.000 Einwohnern sind es nur noch 39 Prozent, in kleineren Städten und Orten lediglich 25 Prozent. Auch an den höheren Schulen werden die regionalen Unterschiede fortgeschrieben: Während in den Ballungsräumen fast jeder Dritte die AHS-Oberstufe besucht, sind es in mittleren Orten 23 und in kleinen 15 Prozent. Im Gegenzug besuchen dort zwei Drittel der Schüler eine BHS und damit eine ebenfalls maturaführende Schule (Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern: 25 Prozent). Mit Kompetenzen hat eine Entscheidung für die AHS allerdings laut Bildungsbericht wenig zu tun: "Österreichweit spielt bei dieser Entscheidung die Leistung eine geringere Rolle als andere Faktoren."

SCHULABBRUCH

7,2 Prozent der Schüler besuchen nach Beendigung der Schulpflicht mit 15 Jahren keine weitere Schule (Daten aus 2009/10). 1,6 Prozent haben dabei die Sekundarstufe I (Hauptschule, AHS-Unterstufe) nicht erfolgreich abgeschlossen. Unter Jugendlichen mit türkischer Umgangssprache sind rund 17,6 Prozent und unter Jugendlichen, die daheim Bosnisch/Serbisch/Kroatisch sprechen, 12,7 Prozent nach Ende der Schulpflicht nicht mehr im Bildungssystem. Absolut gesehen haben jedoch zwei Drittel der Schulabbrecher Deutsch als Muttersprache. Der Großteil der Schulabbrecher hat davor eine Haupt- bzw. Polytechnische Schule (36 bzw. 38 Prozent) besucht. Am höchsten ist der Anteil der Schulabbrecher in Tirol (10,9 Prozent), am geringsten in Salzburg (5,6). In Wien besuchen nach Ende der Schulpflicht 8,2 Prozent der 15-Jährigen keine Schule, überdurchschnittlich groß ist mit 2,3 Prozent der Anteil an Jugendlichen, die die Sekundarstufe I nicht positiv abgeschlossen haben und damit auch keine weiterführende Schule besuchen könnten. Insgesamt sind in Österreich 13,4 Prozent der 15- bis 19-Jährigen weder in der Schule noch in Ausbildung. 5,3 Prozent haben auch keine Arbeit.

UNTERSTÜTZUNGSPERSONAL

An Österreichs Schulen gibt es im OECD-Schnitt die schlechteste Ausstattung mit pädagogischem Unterstützungspersonal wie Stütz- und Integrationslehrer, Sozialarbeiter oder Schulpsychologen. Eine pädagogische Stützkraft kommt in Österreich auf 29 Lehrer bzw. 263 Schüler, im OECD-Schnitt ist das Verhältnis 1:16 bzw. 1: 196.

"Lehrer/innen übernehmen aufgrund dieser Sachlage möglicherweise Aufgaben, auf die sie in ihrer Ausbildung nicht vorbereitet wurden, die manchmal gar nicht in ihrem Aufgabenbereich liegen (sollten) und eventuell kosteneffektiver zu erbringen wären."

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