Baustelle Gesundheitssystem: Die Qual mit den Wahlärzten

Sie gelten als ein Symbol dafür, was im heimischen Gesundheitssystem alles schief läuft: Die Wahlärzte – also jene Hybride zwischen Kassen- und Privatmedizinern, die mangels ausreichender Kassenstellen in der Versorgung immer wichtiger werden. Von rund 20.000 niedergelassenen Ärzten sind österreichweit rund 11.000 Wahlärzte. Tendenz steigend.
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Der Haken: Wahlarzt-Honorare werden nur zum Teil von der Kasse erstattet, die Patienten bleiben auf mitunter beträchtliche Summen sitzen. Was den Trend zur Zwei-Klassen-Medizin nur noch weiter verstärkt.
Seit Jahren kommen von allen Seiten Vorschläge, um diese Schieflage zu beseitigen. Zuletzt lag es an SPÖ-Chef Andreas Babler zu fordern, Wahlärzte unter bestimmten Bedingungen zur Behandlung von Kassenpatienten zu verpflichten. Die Ärztekammer ist empört und spricht von „verzweifelten Ablenkungsmanövern“.

Was in der Debatte untergeht: Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass es so viele Wahlärzte gibt?
An sich gebe es diese „merkwürdige Zwischenlösung“ laut Wiener Gesundheitsökonomen Ernest Pichlbauer bereits seit der Nachkriegszeit. „Allerdings führten die Wahlärzte über viele Jahrzehnte lediglich ein Nischendasein. Sie waren hauptsächlich für Leistungen wie die Homöopathie zuständig, die von Kassen nicht erstattet wurden.“
Reformunwille
Alles änderte sich, als Österreich 1995 der EU beitrat. Die Brüssler Wettbewerbshüter hatten keine Freude mit dem überregulierten heimischen Gesundheitssystem mit Pflichtversicherung, Stellenplänen und Gesamtvertrag und forderten Reformen ein.
Was in Wien naturgemäß nicht gut ankam. Statt das System etwa durch Abschaffung der Pflichtversicherung aufzubrechen, verwies man darauf, mit den Wahlärzten ohnehin ein marktliberales Element zu haben.
„Damit war die Büchse der Pandora geöffnet“, sagt Pichlbauer. Von da an sei nichts dagegen unternommen worden, dass sich zu Lasten der Kassen- immer mehr Wahlärzte etablierten. „Denn damals wurden auch die Gelder, die von den Kassen an die Spitäler gingen, pauschalisiert.

Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer
Über den Teil, der für den niedergelassenen Bereich übrig blieb, mussten Kassen und Ärztekammer verhandeln.“ Letztere hatte kein Interesse, dass mehr Kassenärzte dazukommen, die sich den Kuchen teilen müssen – mit der Folge, dass ihre Zahl trotz Bevölkerungswachstum stagnierte.
„Gleichzeitig wechselten immer mehr Ärzte in den Wahlarzt-Bereich, vor allem aufgrund der attraktiveren Arbeitsbedingungen.“
Mit den Plänen und Forderungen, die jüngst von der Politik ventiliert wurden, ließe sich das Dilemma nicht beheben, ist Pichlbauer überzeugt. Der Versuch der SPÖ, Wahlärzte zu Kassenleistungen zu verpflichten, würde eine Klage beim VfGH oder EuGH wohl kaum überstehen. Und auch die von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) angekündigte Geldspritze für den niedergelassenen Bereich, könne umfassende Strukturreformen nicht ersetzen.
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Etwa mit dem Aufräumen der österreichischen Besonderheit, dass Patienten wegen jeder Kleinigkeit vom Haus- zum Facharzt überwiesen werden. „Würde etwa die Steuerung der Patienten bei uns so funktionieren wie in Dänemark, würden pro Jahr 2,5 Millionen Facharztbesuche wegfallen.“
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