Worin unterscheidet sich der Leninismus, der zum blutigen Sowjetregime führte, vom Austro-Marxismus konkret?
Der Austromarxismus war in die Bundesverfassung und ihre Spielregeln eingebunden, während der Leninismus eine Einparteiendiktatur war – mit Unterdrückung der Opposition und mit den blutigen Auswüchsen. Diese haben übrigens nicht erst mit Stalin begonnen, sondern schon mit Lenin und Trotzki. Die Demokratie ist hier die Wasserscheide. In Österreich hat sich die SPÖ nach 1945 schrittweise von einer marxistischen Interpretation abgesetzt, etwa im Parteiprogramm 1958. Da steht ausdrücklich, dass man aufgrund einer marxistischen Denkweise oder einer anderen Sozialdemokrat sein kann. Kreisky war übrigens der erste große Parteivorsitzende, der sich vom Austro-Marxismus als Wortgeklingel abgesetzt hat.
Die SPÖ benannte sich in den 90ern von Sozialistischer Partei in Sozialdemokratische Partei um. Eine Abkehr vom Marxismus. Macht Babler hier einen Rückschritt?
Eigentlich ja. Babler spielt offenbar bewusst auf gewisse nostalgische Sehnsüchte an. Aber: Die Sozialdemokratische Partei steht ja nicht nur für die nach 1945 vorgenommenen Verstaatlichungen der, sondern auch für deren Privatisierung unter Franz Vranitzky und seinem Finanzminister Ferdinand Lacina.
Da wären wir bei einem Kernthema des Marxismus, der Enteignung von Besitz. Wie lässt sich das mit Demokratie vereinbaren?
Wir haben in Österreich nach 1945 eine weitgehende Verstaatlichung gehabt. Das wurde von einer großen Koalition, also mit Zustimmung der ÖVP durchgeführt. Sie ist durchaus vereinbar mit der Demokratie, wenn sie aufgrund der Spielregeln der Demokratie legal zustande kommt.
Damals stand man vor den Trümmern der Verheerungen des Zweiten Weltkrieges. Es handelte sich um den Besitz eines Unrechtsregimes.
Heute ist das ohne Notsituation irgendwie schwer begründbar. Eine pragmatische Verstaatlichung nach den Spielregeln der Demokratie ist möglich, aber in der derzeitigen Situation schwer vorstellbar.
Marx hat argumentiert, das Proletariat möge die Bourgeoisie enteignen. Inwieweit lassen sich diese Begriffe in der heutigen Gesellschaft eigentlich noch anwenden? Ich würde in Frage stellen, ob man den Begriff Proletariat heute noch verwenden kann. Und wenn man ihn verwendet, dann besteht es großteils aus nicht österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, denen der Zugang zur Staatsbürgerschaft und zum Wahlrecht sehr schwer gemacht wird. Die Sozialdemokratische Partei setzt sich für dieses aktuelle Proletariat, das eben aus mehrheitlich Ausländern besteht, offenbar nicht ein. Rund eine Million Menschen hat keinen Zugang zu demokratischer Teilhabe.
Kommt Babler vom Label "Marxist" jetzt noch weg?
Es wird an ihm kleben und ihm langfristig eher schaden als nützen. Denn die anderen Parteien, wenn es dann zum Wahlkampf kommt, werden ihn ständig darauf ansprechen. Die ÖVP sowieso, die Freiheitlichen erst recht. Und die Neos werden sozusagen die Wähler zu gewinnen versuchen, die sich mit der Ära Vranitzky identifizieren, der ein Typus des modernen Sozialdemokraten war, der die alten Lasten einer marxistischen Wertedebatte hinter sich gelassen hat.
Ist Babler als Marxist auch gleichzeitig ein Kommunist?
Nein. Damit würde man ihm unterstellen, dass er ein Antidemokrat ist. Er liebäugelt natürlich mit der Renaissance kommunistischer Parteien – Stichwort Steiermark und Salzburg. Da hofft er, nostalgische alte Sozialdemokraten zu gewinnen. Aber in die Zukunft weist das nicht. Babler riskiert, dass er einen Interpretationsspielraum auftut, der ihm vielleicht am Parteitag nützt, aber bei einer Wahl sicher schadet. Insofern wird er als ein deklarierter Marxist kaum Wahlerfolge haben können.
Ist er einfach ein politischer Nostalgiker, der auf eine Zeit verweist, in der linke Werte noch hochgehalten wurden?
Ja. Wobei diese linken Werte natürlich momentan nur leere Worte sind. Wie will denn Babler marxistische Politik durchsetzen? Er spielt auf Emotionen. Aber ein real umsetzbares Programm hat er eigentlich nicht.
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