LIVE: So sieht die autonome Schule aus
Der erste Schritt ist geschafft. Der Entwurf zur Schulautonomie ist fertig und wird heute, Freitag, im Parlament eingebracht. Sechs Wochen soll die Begutachtung dauern, noch vor dem Sommer soll die Reform beschlossen werden.
Seit Mitte 2015 wird verhandelt, damals noch federführend von Ex-Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek. Im November 2015 hielt sie erstmals einen Ministerratsvortrag zur Schulautonomie. Ein halbes Jahr später wurde Heinisch-Hosek von Sonja Hammerschmid abgelöst. Sie verhandelte fast acht Monate, jetzt ist die Reform, die sie gemeinsam mit ÖVP-Staatsekretär Harald Mahrer verhandelt hat, fertig. Die Gewerkschaft hat jedenfalls schon Nein gesagt.
Das ist die Reform
Herzstück der Reform ist die Schulautonomie, die eine massive Aufwertung der Möglichkeiten für den Direktor bedeutet. Erste Pilotschulen sollen ab Herbst starten.
Freiheit für die SchulenNicht mehr vom Landesschulrat oder vom Ministerium, sondern am Schulstandort wird künftig der Schulalltag bestimmt. Das betrifft:
Öffnungszeitensollen je nach Bedarf angepasst werden, so dass zum Beispiel auch ein Betreuungsangebot vor Schulbeginn geschaffen werden kann. Auftrag dafür erteilen die Schulpartner.
Klassengröße
Die Ressourcen sollen wie bisher nach einem Schlüssel zugeteilt werden, die Schulleiter sollen aber frei über die Größe von Gruppen und Klassen entscheiden, die so an die jeweilige Lernsituation (Projektunterricht, Blockvorlesungen, themenzentriert oder fächerübergreifend) angepasst werden können.
Schulstundenmüssen nicht mehr 50 Minuten haben. Die Dauer der Unterrichtseinheiten ist frei verfügbar. Für Lehrer wesentlich ist, dass die Gesamtunterrichtszeit gleich bleiben soll, es gibt auch keine Erhöhung der Lehrverpflichtung. Idee ist, die Lehrkräfte so flexibel wie möglich und entsprechend den pädagogischen Konzepten am Standort einsetzen zu können.
FächerUnterrichtsgegenstände sollen am Standort zusammengefasst werden können, also etwa zu einem Fach „Naturwissenschaften“, in dem Chemie, Biologie und Chemie unterrichtet werden.
Mitbestimmung
Schulpartner, also das Gremium, in dem Vertreter der Lehrer und Eltern und – an Höheren Schulen – auch der Schüler paritätisch vertreten sind, haben weniger Mitsprache bei Gruppengrößen. Sind zwei Drittel der Schüler-, Eltern- und Lehrervertreter gegen die Entscheidung des Direktors, muss die Bildungsdirektion als neue Schulaufsicht entscheiden. Dafür haben die Schulpartner Mitsprache bei der Bestellung des Schuldirektors.
Schul-Manager
Dieser wird zum „General Manager“ des Schulbetriebs, der relativ frei über den Schulalltag – organisatorisch, pädagogisch, personell und finanziell – entscheiden soll. Dafür wird er auch für den Schulerfolg verantwortlich gemacht, der ständig von der Bildungsdirektion überprüft wird.
Bestellt wird der Direktor durch eine Vierer-Kommission aus Bildungsdirektor, Schulaufsicht, Gewerkschaft und Personalvertretung. Ein Elternvertreter soll zudem beraten dürfen.
Damit die Ressourcen – Turnsäle, EDV-Räume, Labore, als auch die Fachlehrer – besser genutzt werden, können sich bis zu acht Schulen zu Schulclustern zusammenschließen. Ein Cluster hat immer nur einen Clusterleiter, die anderen Direktoren werden nur mehr pädagogische Leiter vor Ort.
Heftig umkämpft zwischen Bund und Ländern war die Schulverwaltungsreform. Herausgekommen ist eine totale Neuordnung des Systems. Die Landesschulräte (in Wien der Stadtschulrat) sind Geschichte. Fix ist auch eine gewisse Entpolitisierung, da die (je nach Landeswahlergebnis) politisch besetzten Kollegien abgeschafft werden. Diese waren bisher für die Bestellung der Direktoren und Lehrer zuständig. Den amtsführenden Landesschulratspräsidenten als auch seinen Vize wird es künftig nicht mehr geben.
Stattdessen wird in jedem Bundesland eine Bildungsdirektion geschaffen, mit einem Bildungsdirektor an der Spitze, der quasi zwei Hüte tragen wird: in Angelegenheiten der Bundesschulen ist er an Weisungen der Bildungsministerin gebunden, bei Landesschulfragen an Weisungen des Landeshauptmanns.
Bildungsdirektor Bestellt wird der Bildungsdirektor vorerst für fünf Jahre von einem fünfköpfigen Gremium („Begutachtungskommission“), das aus zwei Bundes- und zwei Landesvertretern und einem Mitglied, das „im Einvernehmen“ bestellt wird, besteht. So kann weder der Bund die Länder noch vice versa die Länder den Bund überstimmen.
Dem Bildungsdirektor wird ein Präsidium mit eigenem Leiter unterstellt. Das Präsidium soll die zentrale Geschäftsstelle werden, ihr obliegen die rechtlichen, budgetären und organisatorischen Aufgaben als auch die Verwaltung der Lehrer. Die Stelle des Präsidiumsleiters muss ausgeschrieben werden, bewerben können sich für die Position Bedienstete des Landes, des Bundes oder externe Kandidaten. Die Länder können per Gesetz den Landeshauptmann zum „Präsidenten“ der Bildungsdirektion machen.
Wesentlich ist dabei, dass künftig sowohl Landeshauptmann als auch die Bildungsministerin Weisungen an den Bildungsdirektor erteilen können. Sollten die Weisungen einander widersprechen, gilt nur die Weisung aus dem Bund – die Bildungsministerin bleibt also oberstes Organ.
„Die Kernprobleme im Bildungswesen wurden mit der vorliegenden Novelle leider nicht angegangen“, sagt Josef Moser, Präsident von EcoAustria und zwölf Jahre lang Präsident des Rechnungshofes und damit ein profunder Kenner des Systems.
Jahrelang prangerte er lautstark die Kernprobleme an, die dazu führen, dass das Steuergeld im Bildungsbereich nicht effizient ausgegeben wird, dass Doppelgleisigkeiten in der Verwaltung bestehen, dass Interessenskonflikte zwischen Bund und Land den Bildungsbereich lähmen.
Keine schlanken Strukturen
Moser hat den Reformplan begutachtet, und kommt zum Schluss: „Eine Stärkung der Schulautonomie ist gut und richtig, aber leider wurden die Rahmenbedingungen, die dafür notwendig wären, wieder nicht geschaffen. Die Strukturen werden nicht verschlankt, sondern ausgebaut, das Kompetenzwirrwarr nicht beseitigt und Doppelgleisigkeiten und Interessenskonflikte zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verfestigt.“
Welche Autonomie?
Der Experte gibt ein Beispiel: „In die Finanzierung sind nach wie vor Bund, Länder und Gemeinden eingebunden. Eine Schule soll künftig die Klassenschülerhöchstzahl, längere Öffnungszeiten und eine Flexibilisierung des Unterrichts im Rahmen der bisher zugeteilten Personalressourcen festlegen können. Eine Umverteilung der Mittel, bei gleichzeitiger Aufblähung der Verwaltung, wird aber nicht ausreichen, um die Autonomie voll leben zu können. Was für eine Autonomie soll das sein?“
Moser geht es vor allem um die angekündigte Reform der acht Landesschulräte und des Wiener Stadtschulrates, die gemeinsam mit den neun Schulabteilungen der neun Landesregierungen und dem Bildungsministerium in Wien den Schulalltag und das mehr als acht Milliarden Euro schwere Jahresschulbudget managen. Bildungsministerin Sonja Hammerschmid hatte vor der Reform immer klar gemacht: „Wichtig ist, dass die Strukturen schlank, einfach, transparent und effizient sind.“
Alles nur "im Einvernehmen"
Der Reformplan sieht nunmehr Bildungsdirektionen vor, diese werden als Bund-Länder-Behörden bezeichnet, das heißt, alle Entscheidungen bedürfen in Hinkunft das Einvernehmens zwischen Bund und Ländern. Es sollen jetzt neue Strukturen aufgebaut werden, die extrem bürokratisch und aufwendig sind. Im Wesentlichen wir der derzeitige problematische Zustand, also das Kompetenzwirrwarr, die Doppelgleisigkeiten und die Interessenskonflikte lediglich fortgeschrieben“, erklärt Moser.
So auch bei neun Chefs der geplanten Behörden, den „Bildungsdirektoren: „Der Direktor ist in Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes an die Weisungen des Bundesminister, in Angelegenheiten der Vollziehung des Landes an die Weisungen der Landesregierung gebunden. Für den Fall, dass durch Landesgesetz der Landeshauptmann zum Präsidenten der Bildungsdirektion bestellt wird, was optional möglich sein soll, unterliegt der Direktor auch in Bundesangelegenheiten den Weisungen des Landeshauptmanns“, zitiert Moser aus dem Gesetz. „Wobei §16 dann wieder vorsieht, dass der Präsident – also der Landeshauptmann – der Weisung der Bundesministerin unterliegt. Hierfür gibt es aber keine Vergleichsfälle in der 2. Republik bekannt.“
Skurillste Bestimmung
Besonders skurril sei in diesem Zusammenhang jener Paragraf, der vorsieht, dass der bestellte Präsident - also der Landeshauptmann - dem Unterricht an einer Schule nur in Anwesenheit der Bundesministerin beiwohnen darf (§5/5). Moser: „Und dies, obwohl der Landeshauptmann weisungsbefugt ist und gleichzeitig auch die Fachaufsicht über den Bildungsdirektor wahrzunehmen hat.“
Alles mal neun
Generell zeige sich, dass überall Einvernehmen zwischen Bund und Ländern hergestellt werden müsse. „Sogar bei der Geschäftsordnung und der Geschäftseinteilung. Nicht einmal hier gibt es für alle neun Bildungsdirektionen die gleiche Geschäftseinteilung und -ordnung. “ Vorgesehen sei, dass der Bundesminister im Einvernehmen mit den Landesregierungen hierfür nur Rahmenrichtlinien festlege. Auch bei Schulerrichtung oder Auflösung einer Schule sind Bund, Länder und Gemeinden einzubinden.
Ergebnis sei, dass eine Vielzahl von Paragrafen erforderlich sind, um Regelungen für das Erfordernis der Herstellung eins Einvernehmens zwischen Bund und Land zu treffen sind.
Trotz Rüffel aus Brüssel
"Dies obwohl Österreich von der OECD, der EU-Kommission, der Eurogruppe und dem Währungsfonds mehrmals aufgefordert wurde, die Kompetenzen zu straffen und eine klare Ergebnisverantwortung festzulegen. Das wird durch diese Novelle nicht erreicht. Diese stellt lediglich eine Fortschreibung der derzeitigen Situation und des Kompetenzwirrwarrs dar.“
Nicht zuletzt erfordere auch die Bestellung des Bildungsdirektors Einvernehmen zwischen Bund und Land. Dieser müsse zwar ein Bundesbediensteter sein, er ist aber auf Vorschlag des Landeshauptmanns vom Bundesminister zu bestellen.
Was fehlt: eine Schulreform
„Diese Novelle greift die Probleme im Bildungsbereich nicht auf, und löst sie daher auch nicht. Sie besteht lediglich im Abtausch von Interessen zwischen Bund und Land. Und wie wir wissen, erfordert ein Abtausch von Interessen einvernehmliche Lösungen, die selten die beste Lösung, sondern nur einen Kompromiss zum Inhalt haben“, kritisiert Moser. „Für mich heißt das: Eine Schulreform steht nach wie vor aus.“
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