Auschwitz: Sobotka zu Besuch an der Gedenkstätte
Es sind mehrere zirka 20 Meter lange Wasserbecken, in denen heute üppige Wasserpflanzen wachsen, die Rifka (39) sehr tief berühren. Es sind keine gewöhnlichen Wasserbecken. Rifka befindet sich im Konzentrations- und Vernichtungslager Birkenau. Vor mehr als 75 Jahren wurde in diese Becken die Asche der in den Gaskammern ermordeten Juden gekippt – es ist quasi deren Grabstätte.
Und es muss unvorstellbar viel Asche hier gewesen sein – in den Becken, in der Luft, auf der Wiese. Innerhalb von fünf Jahren wurden in den Lagern Auschwitz und Birkenau rund 1,1 Millionen Menschen in den Gaskammern umgebracht – weil sie Juden, Roma, russische Kriegsgefangene waren, oder Widerstand gegen das Nazi-Regime leisteten.
Darunter auch Verwandte von Rifka.
Sie ist orthodoxe Jüdin, die durch die Vernichtungsmaschinerie der Nazis insgesamt 54 Verwandte in Auschwitz verloren hat – Großeltern, Onkel, Tanten, Cousinen. Seit ihrer Kindheit begleitet sie das unfassbare Schicksal ihrer Verwandten. Seit ihren Teenager-Jahren recherchiert sie das Schicksal ihrer Familie. Die Namen ihrer Verwandten, die teilweise direkt von der Zugrampe in Birkenau oder in einem anderen Konzentrationslager in die Gaskammer gingen, kennt sie alle. Sie hießen Janas und Berta Farkas, Avraham und Miriam Fixler oder Samuel und Lisa Hersch – um nur einige zu nennen. Ein Verwandter war sogar unter den Opfern, an denen medizinische Experimente vollzogen wurden.
Auftakt der Gedenkfeiern
Heute steht Rifka vor dem Wasserbecken und ist gerührt, dass aus der Asche der Opfer des Nazi-Terrors Wasserpflanzen wachsen. Es ist Rifkas erster Besuch in einem Konzentrationslager. Ihre Eltern wollten nie, dass sie sich mit der monströsen Vernichtungsmaschinerie der Nazis konfrontierte. "Die Erzählungen begleiten mich ohnehin schon mein ganzes Leben. Mein Vater meinte, das reicht. Aber es war gut, dass ich nach Auschwitz gekommen bin", sagt Rifka nach dem Besuch.
Heute arbeitet sie als Journalistin für ein jüdisch-amerikanisches Medium. Auf Einladung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka kam Rifka mit nach Auschwitz und Birkenau. Sein Besuch ist der Auftakt von einer Reihe an Gedenkfeiern. Vor 75 Jahren wurde das KZ Auschwitz und Birkenau befreit.
Sobotka besuchte am Montag das Konzentrationslager und nahm danach an einer Konferenz der European Jewish Association teil, wo er eine berührende Rede hielt. Diese Woche reist Bundespräsident Alexander Van der Bellen zuerst nach Israel zur Gedenkveranstaltung in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, am Montag kommt er zu den Gedenkfeiern nach Auschwitz. Das riesige weiße Zelt ist für mehr als 40 Spitzenpolitiker, die am Montag nach Auschwitz anreisen, schon aufgebaut.
Für Sobotka war es nicht der erste Besuch in einem Konzentrationslager. Trotzdem ist die Dimension in Auschwitz und Birkenau eine ganz andere als in Mauthausen. "Es ist jedes Mal beklemmend. Man findet keine Erklärung für die Verbrechen. Es nicht nur die industrialisierte Tötung, sondern die monströse Dimension, die nicht begreifbar ist", schildert Sobotka nach dem Besuch seine Emotionen.
Wie monströs die Logistik des Todeslagers war, lässt sich anhand vieler Zahlen dokumentieren. So gab es die Ungarn-Aktion: Innerhalb von 56 Tagen wurden 430.000 ungarische Juden nach Auschwitz deportiert – Schätzungen gehen davon aus, dass 370.000 direkt vom Bahngleis in die Gaskammer gingen. Wer in der Gaskammer starb, wurde per Handzeichen des SS-Arztes bestimmt. Wenn sein Daumen nach links ging, hieß das Arbeitslager – und die Chance zu überleben. Zeigte sein Daumen nach rechts, war das das Todesurteil.
Identitären-Verbot
Wie bekämpft man künftig den Antisemitismus, wenn die Überlebenden des Nazi-Terrors immer weniger werden? Neben Videos und animierten Apps wird Österreich den Block 17 in Auschwitz renovieren und eine Ausstellung 2021 eröffnen. "Schon 1975 gab es hier eine Ausstellung. Aber damals war alles auf die Opfer konzentriert. Jetzt wird neben den jüdischen Opfern auch die Täterrolle Österreichs thematisiert werden", so Sobotka. Außerdem fordert der Parlamentschef eine systematische Erforschung des Antisemitismus an der Akademie der Wissenschaften. "Das müssen wir aufbauen. Die Bekämpfung des Antisemitismus ist so schwer, weil er aus einer Haltung heraus passiert", so Sobotka. Das soll künftig wissenschaftlich analysiert werden.
Und dann richtet Sobotka der FPÖ aus, dass sie "gut beraten sei, wenn sie sich endlich vom rechtsextremen Rand distanziert", so Sobotka. Aber das "geht offenbar nicht", setzt er nach.
Apropos rechtsextremer Rand: Wie soll man mit den Identitären weiter umgehen? Und da lässt der Parlamentschef mit Haltung aufhorchen: "Wenn es einen rechtlichen Rahmen gäbe, würde ich sie verbieten lassen." Den gibt es noch nicht. Aber genauer nachdenken sollte man darüber.
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