APG-Chef Gerhard Christiner: "Haben Österreich-Aufschlag bei Energie"

Gerhard Christiner sorgt gleichsam dafür, dass es in Österreich nicht dunkel wird. Seit 2012 ist er im Vorstand der Austria Power Grid AG (APG), Österreichs Hochspannungsnetzbetreiber. In der Milchbar, dem innenpolitischen Podcast des KURIER, erklärt er, was Österreich für günstigere Energie fehlt.
KURIER: Was ist die APG? Tatsächlich so etwas wie die Asfinag der Stromnetze?
Gerhard Christiner: Im weitesten Sinne stimmt das, wir betreiben das Hoch- und Höchstspannungsnetz in Österreich. Das sind 380.000-Volt- und 220.000-Volt-Leitungen, wir sind sozusagen ein Strom-Logistikunternehmen. Und was auch wichtig ist, wir stellen sicher, dass zu jedem Zeitpunkt so viel Strom in Österreich verfügbar ist, wie auch verbraucht wird.
Wir brauchen immer gleich viel Erzeugung wie Verbrauch?
Genau. Es muss genau das erzeugt oder importiert werden, was auch verbraucht oder exportiert wird. Die Balance wird automatisch alle zwei Sekunden ausgeregelt.
Wird der Strombedarf wegen Wärmepumpen, E-Autos und der Elektrifizierung der Industrie enorm steigen?
Aktuell sinkt der Stromverbrauch sogar, aber das wird sich ändern. Aktuell liegt der Stromverbrauch bei rund 70 Terawattstunden (TWh) und unser gesamter Endenergiebedarf bei etwa 300 TWh, da sind fossile und erneuerbare Energie enthalten. Wenn wir bis 2040 den gesamten Energiebedarf dekarbonisieren wollen, was das Ziel ist, wird der Stromverbrauch dann bei circa 140 Terawattstunden landen.

Gerhard Christiner, Wolfgang Hattmannsdorfer
Wie? Warum viel weniger?
Weil Strom einen wesentlich höheren Wirkungsgrad hat und der Verbrauch effizienter ist, als wenn wir fossile Energien beziehen. Ein klassischer Verbrennungsmotor etwa bei einem Dieselauto hat einen Wirkungsgrad von 20, maximal 25 Prozent – ein Elektromotor hat 80 Prozent. Allein dadurch kann man Energie sparen.
Warum sind unsere Stromkosten so hoch?
Bei den Stromkosten liegen wir in Europa im Mittelfeld. Günstiger ist der Strom in den nordischen Ländern, weil es dort sehr viel Wasserkraft gibt. Günstiger ist der Strom auch in Frankreich und Spanien, weil Frankreich viel Atomkraft und Spanien enorm viel PV ausgebaut hat. Auch die Beneluxstaaten und Deutschland haben sehr viel Erneuerbare. Und dann kommt Österreich. In Österreich ist der Strompreis verglichen mit Deutschland im Jahresdurchschnitt pro Megawattstunde um rund acht Euro teurer.
Warum ist das so?
Deutschland kann aufgrund des enormen Ausbaus der Erneuerbaren auf diesen günstigen Strom zurückgreifen. Der Preisunterschied zu Österreich liegt daran, dass wir nicht ausreichend Leitungskapazitäten haben, um diesen billigen Strom nach Österreich zu holen. Wenn also sehr viel erneuerbarer Strom in Deutschland verfügbar ist, könnte man den zwar billig kaufen, nur haben wir die Netze dafür nicht. Und dann muss beispielsweise in Österreich ein Gaskraftwerk einspringen, das ist aber signifikant teurer, weil wir das Gas teuer einkaufen müssen.
Aber es heißt doch immer, wir haben billiges Gas?
Österreich hat sich darauf verlassen, dass wir das russische Gas bekommen. Das fließt bekanntlich nicht mehr. Und jetzt müssen Europa und Österreich Gas, primär verflüssigtes LNG-Gas, entweder aus Amerika oder anderen Ländern einkaufen. Das ist signifikant teurer, weil die Transportkette teurer ist.

Wie kann es sein, dass wir nicht ausreichend Stromleitungen ins Ausland, etwa nach Deutschland, haben?
Man muss verstehen, dass die meisten EU-Staaten die Erneuerbaren sehr schnell und in sehr hohem Umfang ausgebaut haben. Wir haben allein in den vergangenen fünf Jahren 7.000 Megawatt Photovoltaik hinzugebaut. Bei uns liegt – nur um ein Gefühl für die Zahlen zu bekommen – die Verbrauchsspitze bei 12.000 Megawatt. Wenn die Sonne scheint und der Wind gleichzeitig weht, hat man massiv Stromüberschüsse. Idealerweise kann man diesen Strom über ganz Europa verteilen. Nur wir haben es leider nicht geschafft, im gleichen Tempo die Netze weiter auszubauen.
Warum nicht? Wer muss das bauen? Die APG?
Ja, die APG ist gefordert, so wie alle anderen Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber. Das Problem ist, dass der Netzausbau wesentlich länger dauert, weil die Genehmigungsverfahren langwierig und komplex sind. Fakt ist: Derzeit bauen sie kein 380-kV-Leitungsprojekt unter zehn Jahren.
Es geht um Genehmigungsverfahren wie die Umweltverträglichkeitsprüfung? Die hohen Energiepreise sind also hausgemacht, wir schießen uns selbst in den Fuß?
Ja, wir schießen uns wirklich in den Fuß. Die Preisdifferenz von acht Euro zwischen Österreich und Deutschland pro MWh im ersten Halbjahr 2025 ist ein selbst gemachter Österreich-Aufschlag. Hätten wir die Netze, gäbe es diese Mehrkosten nicht in diesem Ausmaß.
Gibt es schon Pläne für den Netzausbau?
Ja! Die entsprechenden Projekte, die wir für die Transformation des Energiesystems brauchen, sind im Netzentwicklungsplan. Einige Projekte sind bereits bei den entsprechenden Genehmigungsbehörden anhängig. Wenn es beschleunigte Genehmigungsverfahren gäbe, könnten diese Projekte in vier bis fünf Jahren realisiert werden. Dafür wäre das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz (EABG) dringend notwendig. Dann könnte sich unser Strompreis durchaus an den in Deutschland angleichen. Obwohl: Deutschland sollte nicht unser Benchmark sein, sondern der billigste Strompreisanbieter in Europa.

Die neue 380-kV-Leitung wird eine Lücke im österreichischen Stromnetz schließen.
Ist das Ziel, bis 2030 bilanziell den gesamten Strom selbst ohne fossile Brennstoffe zu erzeugen, möglich?
Bilanziell können wir das schaffen, aber wir müssen aufpassen: Bilanziell bedeutet, einen Durchrechnungszeitraum von einem Jahr. Wir haben im Sommer Überschüsse aus Photovoltaik und Winderzeugung. Im Winter haben wir Defizite und brauchen Gaskraftwerke, die wiederum den hohen Strompreis setzen. Es muss uns gelingen, mehr überregionale Stromnetze und Speicher zu bauen, damit wir zumindest die Gaskraftwerke nicht mehr so oft benötigen.
Werden wir den Überschuss vom Sommerstrom je in den Winter bekommen?
Nicht ganzheitlich, aber wir sind auch sehr connected in Europa. Was im Winter fehlt, könnten wir entweder national aus Speichern ziehen oder am europäischen Binnenmarkt kaufen.

ÖVP-SPÖ-Neos-Regierung
Hat die Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und Neos ein Verständnis für all diese Fragen und Erfordernisse?
Ich habe das Gefühl, dass diese Regierung einen sehr realistischeren Zugang zur Transformation des Energiesystems hat und die Herausforderungen sehr gut im Blick hat. Wir haben jetzt alle Reserven, die wir im System hatten, aufgebraucht. Ein weiterer Ausbau der Erneuerbaren macht nur Sinn, wenn die Netze synchron dazu ausgebaut werden. PV und Wind schicken zwar keine Rechnung, aber das System schickt eine enorm hohe, wenn die Netze nicht ausreichend dimensioniert sind.
Würden Sie einem Privaten dennoch raten, eine PV-Anlage aufs Dach zu bauen, mit einem Stromspeicher?
Ja, das kann ich nur begrüßen, aber bitte nur so groß, wie Sie auch selbst Strom brauchen. Der Speicher sollte in jedem Fall mindestens so groß sein wie ihr täglicher Stromverbrauch. Wichtig wäre, dass diese Speicher netzdienlich agieren und somit erst zu Mittag gefüllt werden, weil wir so die Netze nicht mehr für diese PV-Mittagsspitze ausbauen müssten. Ideal wäre, eine insgesamt bessere Auslastung des überregionalen Stromnetzes über den Tag.
Sollte der unwahrscheinliche Fall eines Blackouts in Österreich eintreten – was konkret passiert dann?
Wir haben Vorsorge getroffen und trainieren den Ernstfall regelmäßig. Wir haben Pumpspeicher, etwa Malta oder Kaprun, die sind insel- und schwarzstartfähig. Das heißt, sie können ohne Strom starten. Unsere Erfahrung zeigt, dass wir spätestens nach 20 bis 30 Stunden Österreich wieder mit Strom versorgen können.
Wir hören derzeit ständig von hybriden Angriffen und Cyberangriffen. Ist die Austrian Power Grid davon auch betroffen?
Ja, wir registrieren täglich Cyberangriffe, aber wir sind bestens dafür geschützt.
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