Zahltag ist erst nach der Wahl

Zuerst im Wahlkampf im Dauerclinch, aber vermutlich bald wieder gemeinsam auf der Regierungsbank: Werner Faymann und Michael Spindelegger haben viel unangenehme Themen vor sich hergeschoben
Die wahren Zukunfts-Fragen blieben im Wahlkampf ausgespart: Die To-do-Liste der Regierung ist lang.

Der Wahlkampf ist geschlagen. Trotz unzähliger Debatten wurden viele Themen gar nicht oder höchst oberflächlich behandelt. Viele Probleme landen also unweigerlich auf dem Tisch der nächsten Koalition, die aller Wahrscheinlichkeit nach wieder eine große sein wird.

Zuallererst gibt es die Notwendigkeit zu einem Kassasturz. Dazu zwingt allein schon das Milliarden-Debakel der Kärntner Hypo. Zwar wurde in fast jeder TV-Konfrontation die Schuldfrage gestellt, eine befriedigende Lösung für die Abwicklung der notverstaatlichten Bank gibt es bis heute nicht. Die Rede ist von Kosten jenseits der zehn Milliarden, die Auswirkungen auf das Budget sind also beträchtlich. Die letzte Steuerreform hatte ein Volumen von drei Milliarden Euro.

Die Parteien fühlen sich dem Ziel verpflichtet, bis 2016 ein ausgeglichenes Budget vorzulegen. Wie man das trotz Hypo und den sündteuren Entlastungsideen aus allen Lagern schaffen will, wurde maximal in Überschriftenform präsentiert.

Angesichts der Malversationen in Salzburg oder in Linz wäre eine Einbindung der Länder und Gemeinden höchst empfehlenswert. Die Themenpalette ist breit: Sie reicht von einem verfassungsrechtlich abgesicherten und echten Spekulationsverbot über die Steuerhoheit und das neue Haushaltsrecht für Länder bis hin zur Kompetenzverteilung zwischen den Gebietskörperschaften. Auch der seit Jahrzehnten diskutierten Föderalismus- und Staatsreform wird sich die künftige Regierung irgendwann ernsthaft stellen müssen. 2014, bei den nächsten Finanzausgleichsverhandlungen, wäre dazu die beste Gelegenheit. Eng damit verzahnt ist die Finanzierung der Spitäler oder Landeslehrer. Auch diese wahlkampfuntaugliche heiße Kartoffel wird seit Jahren hin- und hergeschupft.

Jobs/Wachstum

SPÖ und ÖVP versprechen unisono Wachstum und Arbeitsplätze. Woher beides kommen soll, blieb bisher eher schleierhaft. Wirklich konkret wurde nur die Volkspartei bei ihrem Ziel von 420.000 neuen Jobs. Schon das Datum blieb wieder vage. Manchmal hieß es „bis 2018“, manchmal „bis 2025“.

Unerheblich ist das nicht, allein in den Jahren der Krise, also von 2008 bis 2013 entstanden laut letzter WIFO-Schätzung rund 100.000 neue Jobs. Und die allermeisten ohne viel Zutun der Politik, ohne die Entfesselung der Wirtschaft. Also ohne, dass beispielsweise die Lohnnebenkosten gesenkt werden, wie das die ÖVP verlangt.

EU/Euro

Viel Hickhack, aber kaum Lösungen gab es zuletzt auch in fast allen Europa- und Euro-Fragen. Die Regierung hat ihr angeblich so klares „Ja“ zu Europa oft nur geflüstert. Angesichts des anstehenden dritten Hilfspaketes für Griechenland kommt die nächste Euro-Zukunftsdebatte aber wie das Amen im Gebet.

Dabei sind sich Fachleute einig: Ein Ausstieg aus dem Euro wäre für die Exportnation Österreich fatal. Ein neuer Schilling würde massiv aufwerten, die Wirtschaft würde hart getroffen, Tausende Arbeitsplätze wären gefährdet. Die Schweiz hat – entgegen anders lautender Gerüchte – mit dem harten Franken ein ganz ähnliches Problem. Rot-Schwarz hat dieses Feld den Populisten überlassen.

Ungelöst sind freilich auch andere enorm wichtige Zukunftsfragen. Der demografische Wandel lässt sich vergleichsweise leichter abfedern als der Klimawandel. Für Lösungen in beiden Bereichen wäre es hoch an der Zeit.

Pensionen/Pflege

Beim tatsächlichen Pensionsantrittsalter ist in der vergangenen Legislaturperiode nur eine Anhebung um Wochen gelungen. Deutschland war vor zehn Jahren auf dem Stand Österreichs (weit unter 60)und liegt mittlerweile weit voraus (über 62 Jahre).

Noch komplexer ist die Frage einer dauerhaften Pflegefinanzierung. Als Übergangslösung hat der Bund den Ländern über den Pflegefonds Mittel zur Verfügung gestellt. Die auf zahlreiche Stellen verstreute Auszahlung des Pflegegeldes wurde gebündelt. Mehr ist bisher nicht geschehen.

Ein heißes Eisen bleibt sicher auch die Korruptionsbekämpfung. Die Justiz ist im Dauereinsatz. Parallel dazu pocht die Opposition mit Vehemenz auf das Recht, in Zukunft ohne die Zustimmung der Regierungsmehrheit U-Ausschüsse einberufen zu dürfen. Wie lange sich SPÖ und ÖVP hier noch querlegen können, wird sich zeigen.

Schulpolitik

Ähnliches gilt im Schulbereich für die Lehrergewerkschaft. In mehr als 30 Verhandlungsrunden ist zwischen Regierung und Gewerkschaft keine Einigung über ein neues Lehrer-Dienstrecht gelungen. Der gordische Knoten sitzt fest.

Dabei sollte das neue Lehrerdienstrecht nur der Startschuss für das schon 2008 zugesagte insgesamt neue Beamtendienstrecht sein. Das Konfliktpotenzial ist also groß. Das Einsparpotenzial auch.

Alles rund um die Nationalratswahl finden Sie hier.

Der ORF suchte das „Kanzler-Duell“ mit allen Mitteln als Höhepunkt des Wahlkampfes zu inszenieren und walzte die fünfzigminütige Debatte zu einer mehr als zweistündigen Polit-Oper aus. Die Quoten waren bei weniger Aufwand berauschender. Der rot-schwarze Schlagabtausch schaffte es nicht einmal unter die Top 10 der fünfzehn TV-Konfrontationen. Die meistgesehenen blieben jene, in denen Faymann und Spindelegger gegen Strache, Glawischnig, Stronach oder selbst gegen einen politisch Totgesagten wie Bucher antraten. Das ist nur ein Indiz mehr für eine latente Gefühlslage, die sich morgen laut Luft verschaffen könnte: Es gibt eine Wende-Stimmung im Lande; aber nicht die, die Rot und Schwarz gerne hätten. Wer im Kanzleramt das Sagen hat, bewegt vor allem deren Funktionäre.

Angezählt ist das politische Erfolgsmodell der letzten Jahrzehnte, die einst Große Koalition. Nach der Ära Schwarz-Blau feierte Rot-Schwarz mit 69 Prozent der Stimmen 2006 noch ein fulminantes Comeback. Innerhalb von nur zwei Jahren verspielten Gusenbauer/Molterer nicht nur die Zweidrittelmehrheit. 2008 schafften Rot und Schwarz gemeinsam gerade noch 55 Prozent.

Das Regierungsduo Faymann/Spindelegger blieb trotz tadellosem Management der Wirtschaftskrise bis zuletzt glanzlos. So unzufrieden waren die Österreicher noch mit keiner Regierung. Dieser Frust könnte uns erstmals sieben gewählte Parteien statt bisher fünf bescheren (Frank Stronach stampfte sein Team als sechste Partei nach der Wahl erst 2012 mit orangen Abtrünnigen aus dem Boden).

Letztes Aufgebot der Loser?

Ziehen morgen, wie in einigen Umfragen prognostiziert, die Neos als siebente Partei ins Hohe Haus ein, steht auch die magische Fünfzig-Prozent-Grenze für Rot-Schwarz auf dem Spiel. Alle an der Vier-Prozent-Hürde scheiternden Kleinparteien könnten zwar die Mandate so billig machen, dass sich auch mit weniger als 50 Prozent weiter wie bisher regieren lässt. Politisch trägt ein solches Bündnis aber das Zeichen „Letztes Aufgebot der Loser“ auf der Stirn. Für einen lebensrettend radikalen Neustart bräuchte es nicht nur neue Gesichter, sondern auch eine Reform­agenda samt Blockadebrecher-Pakts. Das steirische Regierungsduo Franz Voves und Hermann Schützenhöfer lebt seit drei Jahren erfolgreich vor, wie das geht.

Ob sie Rot-Schwarz diese Chance noch geben oder ob das nur noch mit einem Dritten im Bunde wie den Neos oder den Grünen gelingen kann, haben die sechs Millionen Stimmbürger in der Hand. Wie sehr sich die latente Wendestimmung auf die Stimmabgabe durchschlägt, ist die Schlüsselfrage der morgigen Wahl.

Im europäischen Maßstab wäre das weitere Schrumpfen der Traditionsparteien und die Fragmentierung des politischen Spektrums nichts Besonderes.

In Österreich, sagte der Doyen der Politikwissenschaft, Anton Pelinka, jüngst zum KURIER „käme es einem Erdbeben gleich, sollten SPÖ und ÖVP am 29. September ihre Mehrheit im Nationalrat verlieren.“

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