Abreibung für ÖVP und SPÖ, KPÖ wird zweite

"Damit haben wir nie gerechnet.“ Elke Kahr (KPÖ), Erfolgskommunistin.
Während ÖVP, SPÖ und Grüne herbe Verluste erlitten, eroberte die KPÖ mit 20 Prozent Platz zwei. Auf ÖVP-Bürgermeister Nagl warten zähe Regierungsverhandlungen.

Angespannt betrat Bürgermeister Siegfried Nagl Sonntagfrüh das Wahllokal und gab seine Stimme ab. „Wir müssen auf alle Fälle stärker werden“, spulte der ÖVP-Chef sein Wahlziel erneut ab – und fast wirkte es so, als würde er dieses Mantra brauchen.

Genützt hat es dem Esoterik-Fan nichts. Schon bei den ersten Sprengel-Ergebnissen eine halbe Stunde nach Wahlschluss war die Schlappe der Schwarzen deutlich: Der seit 2003 amtierende, bisher erfolgsverwöhnte ÖVP-Bürgermeister hatte mit einem solchen Minus nicht gerechnet, im Gegenteil.

Vollmundig hatte er während seines Wahlkampfs voller Wohlfühl-Themen die Absolute als Ziel ausgerufen. Doch es wurde ein Minus von 4,9 Prozentpunkten, nur noch 33,5 Prozent statt 38,4. – Immerhin, Erste sind die Schwarzen noch.

Nagl bunkerte sich lange im Rathausbüro ein, ehe er sich festlegte: „Wir sind klare Nummer Eins. Wir haben das Rennen gewonnen, wenn auch nicht in Rekordzeit.“ Er werde sich bemühen, eine Mehrheit im Gemeinderat zu finden. „So viele Gespräche wie diesmal hat’s vermutlich nach Wahlen nie gegeben.“

Politologe Peter Filzmaier ortet zwei Minuspunkte: „Nagl hat die Koalition mit den Grünen vorzeitig beendet – und er hat den Wahltermin vorziehen lassen.“

Einfache Botschaften

Die große Gewinnerin des Wahltages jedoch ist Elke Kahr, die Kommunistin. 20,1 statt 11,2 Prozent. Das macht die KPÖ zur zweistärksten Kraft in der steirischen Landeshauptstadt und zur neuen Partei der kleinen Leute. Die Stadträtin punktete mit einfachen Botschaften: „Helfen statt Reden“. Ihr Ressort führt sie akribisch. Leistbares Wohnen ist ihre Maxime. Aus einem KPÖ-Hilfsfonds, der mit dem Gehaltsverzicht aller Funktionäre gespeist wird, erwarten Notleidende Geld bei Mietrückständen, für neue Boiler und Waschmaschinen.

Zu ihrer Wählerschaft zählt nicht nur der Gemeindebau. In Graz war es auch irgendwie immer schon chic, aus Protest gegen erstarrte Strukturen dunkelrot zu wählen. „Das ist sensationell“, wirkte Kahr nahezu erschrocken, dass die Umfragen bezüglich ihres Ergebnisses korrekt waren. „Ich hab’ das noch gar nicht g’scheit realisiert.“

Die KPÖ-Frontfrau erreichte nahezu jenes historische Ergebnis ihres charismatischen Vorgängers Ernest Kaltenegger von 2003 mit damals knapp 21 Prozent. In sieben Sprengeln lagen die Dunkelroten sogar vor der bürgerlichen ÖVP.

Bei den anderen Parteien war Wunden pflegen nötig. Die SPÖ musste erkennen, dass es noch weiter bergab gehen kann: 15,3 Prozent, ein Minus von 4,4 Prozentpunkten. Spitzenkandidatin Martina Schröck hat die Partei erst vor einem Jahr übernommen, „als sich niemand anders getraut hat“, kommentierte sie und gestand ein, enttäuscht zu sein. Aber sie werde „selbstverständlich“ im Amt bleiben.

Auch die Grünen mussten eine Niederlage hinnehmen. Die bisherige Vizebürgermeisterin Lisa Rücker schaffte es mit 12 Prozent der Stimmen (Minus 2,6 Prozentpunkte) zwar, den Stadtratssitz knapp zu halten. Doch nur noch Vierter sind die Grünen. „Unser Kurs war stark von Veränderung bestimmt. Damit kriegt man nicht nur Freunde“, sagte Rücker.

Weh tut den Grünen wohl auch, von der FPÖ überholt worden zu sein: Mario Eustacchio konnte um 3,1 Prozentpunkte zulegen und erreichte 13,9 Prozent. Das macht ihn neben KPÖ-Kahr zum zweiten Wahlgewinner.

Das BZÖ flog aus dem Gemeinderat, dafür schafften die Piraten mit einem Mandat den Einzug.

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KURIER
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Im von neun auf sieben Sitze verkleinerten Stadtsenat entfallen auf die ÖVP nur drei statt bisher vier Sitze. Auch die SPÖ verliert ihren zweiten Stadtrat. Bei der KPÖ ändert sich trotz des Stimmenzuwachses nichts, es bleibt bei einem Sitz. Auch FPÖ und Grüne bleiben in der Regierung.

Die ÖVP habe nun keine Zweier-Variante mehr, um eine Koalition zu schmieden, betont Politologe Peter Filzmaier. Denn KPÖ-Stadträtin Elke Kahr hat schon im Wahlkampf klargestellt: Eine Koalition würde ihre Partei nie eingehen. „Ich kann mir nur Bereichs-Arbeitsübereinkommen vorstellen.“

Im verkleinerten Gemeinderat (48 statt 56 Mandate) dürfte deshalb künftig das freie Spiel der Kräfte bestimmen. Eine Koalition aus ÖVP und SPÖ kommt auf 24 Sitze, ebenso ein Rechtsbündnis der ÖVP mit der FPÖ. Ein Linksbündnis ist nicht zugkräftig: KPÖ, SPÖ und Grüne erzielten 23 Mandate. Erste Nagelprobe ist die in den nächsten Wochen anstehende Bürgermeister-Kür.

Die SPÖ hat in Graz erneut eine bittere Niederlage einstecken müssen. In der zweitgrößten Stadt des Landes hat die SPÖ von ihrem historischen Tiefstand noch einmal ein Viertel ihres Stimmenanteils verloren. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter, selbst Steirer, gibt der Grazer SPÖ die Schuld: „Unsere Stammwähler waren verunsichert, weil Spitzenkandidatin Martina Schröck die eigene Partei ins Visier genommen hat.“

Die Grazer SPÖ-Chefin hatte im Wahlkampf gesagt, in der Bundespolitik seien „keine sozialdemokratischen Werte mehr erkennbar“, und wenn die Bundespartei nicht über Reformen nachdenke, werde die SPÖ bei der nächsten Wahl „so etwas von einer Watsch’n kriegen“.

Kräuter sagte gestern zum KURIER, die Grazer Genossen hätten verabsäumt, bundespolitische Erfolge wie die Finanztransaktions¬steuer, die Fortschritte bei der Ganztagsschule oder die Zielsetzung von Vermögenssteuern zu transportieren. Der Erfolg der KPÖ zeige, welches Potenzial in Graz vorhanden wäre.

Kein Trend

Ein österreichweiter Trend lasse sich aus dem Grazer Ergebnis nicht ablesen, denn die SPÖ habe bei jüngsten Kommunalwahlen Erfolge gehabt – im burgenländischen Güssing und im niederösterreichischen Krems. Kräuter: „Kommunale Wahlerfolge hängen stark mit Persönlichkeiten zusammen.“

Diesen „sanften“ Hinweis dürfte die Grazer SPÖ nicht aufnehmen: eine Führungsdiskussion zeichnet sich laut dem steirischen SP-Chef Franz Voves nicht ab. Er setzt auf das neue junge Team. Aber er kritisiert: Die SPÖ habe den Kontakt zu den Menschen verloren, was aber der KPÖ mit Kahr ausgesprochen gut gelungen sei.

In der Bundes-ÖVP war man voll des Lobes: „Die ÖVP bleibt in Graz klareNummer Eins und stärkste bürgerliche Kraft“, sagte ÖVP- Generalsekretär Hannes Rauch. Sigi Nagl und sein Team hätten mit Bürgernähe und Ehrlichkeit gepunktet.

In der steirischen Landeshauptstadt sind zum ersten Mal ÖVP und SPÖ gemeinsam nicht mehr stark genug für eine stabile Regierungsmehrheit. Es stimmt schon: Eine Gemeinderatswahl ist nicht eins zu eins auf die Bundesebene umzulegen, und Graz hat darüber hinaus seine speziellen Eigenheiten. Nirgendwo sonst etwa kann die KPÖ ein Fünftel der Wählerschaft für sich begeistern.

Dennoch macht es sich die Koalition im Bund zu einfach, sich auf ein „lokales Ereignis“ herauszureden. Graz kann durchaus als Warnsignal gesehen werden, wenn erstmals ÖVP und SPÖ gemeinsam nicht mehr genügend Gewicht für eine stabile Regierungsmehrheit auf die Waage bringen. Mit einem Mandat Überhang im Gemeinderat hat jeder einzelne Mandatar bei jeder Abstimmung eine Vetokeule in der Hand. Ein solches Ergebnis ist laut Meinungsforschern auch bei der Nationalratswahl im September 2013 im Bereich der Möglichkeit. Regieren zu dritt – dafür kann Graz gleich einmal als Kleinversuch dienen.

Die Wähler in der steirischen Hauptstadt haben erneut einen Trend bestätigt – die Abkehr von den traditionellen Parteien. Für die ÖVP ist der deutliche Stimmenverlust besonders schmerzhaft, hatte sie doch damit gerechnet, dass Graz der Auftakt zu einer Siegesserie sein würde, die Rückenwind für ihren Nationalratswahlkampf erzeugt.

Die SPÖ kann sich an KPÖ-Stadträtin Elke Kahr ein Beispiel nehmen: Konkrete Lebenshilfe, wie in diesem Fall bei Wohnproblemen, kommt bei der betroffenen Bevölkerung offensichtlich besser an als ständig nur von Verteilungsgerechtigkeit zu reden. Weder Ideologie noch platter Populismus sind gefragt, sondern die praktische Verbesserung der Lebensumstände.

Auch die Grünen können eine Lehre aus Graz ziehen: Sie sind keine Alternative für Regierungsprotest.

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