Mahrer zu 32-Stunden-Woche: "Jeder, der etwas anderes sagt, lügt"

Mahrer zu 32-Stunden-Woche: "Jeder, der etwas anderes sagt, lügt"
SPÖ und ÖGB plädieren für eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Harald Mahrer hält die Forderung für "abgehoben" und die Folgen für "bitter".

Die durchschnittliche Arbeitszeit in Österreich ist rückläufig. Wurde 2004 durchschnittlich 35,7 Stunden pro Woche gearbeitet, waren es in den vergangenen beiden Jahren durchschnittlich 30. Derzeit beträgt die "Normalarbeitszeit" 40 Wochenstunden. In den meisten Kollektivverträgen ist sie mit 38,5 Wochenstunden festgelegt. SPÖ, ÖGB und Arbeiterkammer plädieren für die Einführung einer generellen 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich

WKÖ-Präsident Harald Mahrer zählt zu jenen, die die Forderung für nicht machbar halten. Im KURIER-Interview erklärt er, warum - und wieso nicht über "normal", sondern "real" diskutiert werden sollte.

KURIER: SPÖ und ÖGB propagieren eine 32 Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich – halten Sie das für machbar?

Harald Mahrer: Jeder kann Wünsche äußern, ob diese in der Realität umsetzbar sind, ist eine andere Frage. Ich erachte die Forderung als abgehoben, realitätsfremd und weit weg von den Menschen.

➤ Mehr lesen: Die Forderungen von SPÖ-Chef Babler

Inwiefern weit weg? Viele arbeiten derzeit lieber weniger.

Wenn man vernunftgeleitet ist und mehr darüber nachdenkt, dann erschließt sich: Wenn alle weniger arbeiten – vor allem im Sozialbereich – entsteht eine persönliche Betroffenheit, die sich niemand wünscht.

Mahrer zu 32-Stunden-Woche: "Jeder, der etwas anderes sagt, lügt"

Über 60 Prozent halten es beispielsweise für nicht akzeptabel, wenn man wegen Arbeitszeitverkürzungen länger auf einen OP-Termin warten muss. Aus diesem Ergebnis der Studie und einigen anderen schließe ich: Die Mehrheit der Österreicher ist vernünftiger als so mancher populistischer Politiker.

Mahrer zu 32-Stunden-Woche: "Jeder, der etwas anderes sagt, lügt"

Laut Statistik Austria sinkt die tatsächlich geleistete Arbeitszeit in Österreich sukzessiv und liegt derzeit bei durchschnittlich bei 30 Wochenstunden. Das Problem ist also nicht neu.

Die besonders geringe Zahl ist den vielen Teilzeitkräften geschuldet – das ist ein österreichisches Phänomen. Mit dem Problem selbst stehen wir nicht allein da, denn in Deutschland findet gerade die idente Debatte statt. Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Michael Hüther rechnet vor, dass in der Schweiz und Schweden 300 Stunden pro Jahr mehr gearbeitet wird als in Deutschland. Und das gilt auch für uns. Ich wiederhole mich: "Wir werden mehr arbeiten müssen, nicht weniger“.

Adressieren Sie damit jetzt besonders Teilzeitkräfte?

Ich meine alle und bei Teilzeitarbeitenden auch jene, die keine Betreuungspflichten haben und versuchen, sich aus dem Solidarsystem des Staates zu verabschieden. Österreich ist nun mal so aufgebaut, dass jeder nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip etwas zum System beiträgt, damit unser Sozialsystem und damit auch unser Wohlstand erhalten und weiterentwickelt werden können. Zeitgleich leben wir in einer immer älter werdenden Gesellschaft, in der mehr Menschen in Pension gehen als Menschen ins Erwerbsleben einsteigen. Das kann sich auf Dauer nicht ausgehen – und das spüren die Menschen.

Für SPÖ-Chef Andreas Babler ist eine generelle Arbeitszeitverkürzung auf 32 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich ein „logischer Schritt“ und eine der  roten Kernforderungen. 
Auch  Arbeiterkammer (AK) und Gewerkschaftsbund (ÖGB) plädieren dafür, künftig weniger zu arbeiten.  „Die gesetzliche Definition von 40 Stunden Normalarbeitszeit stammt aus dem Jahr 1975 und ist im 21. Jahrhundert schlicht und einfach nicht mehr zeitgemäß“, lautet beispielsweise das Argument von AK-Präsidentin Renate Anderl. 
Derzeit sieht das Gesetz eine Normalarbeitszeit von acht Stunden pro Tag beziehungsweise 40 Stunden pro Woche vor. Unter Arbeitszeit versteht man die Zeit von Beginn bis zum Ende der Arbeitszeit – mit Ausnahme der Pausen. In vielen Kollektivverträgen ist die Normalarbeitszeit nicht mit 40, sondern bereits verkürzt mit 38,5 Stunden festgelegt. 

Während SPÖ und Grüne ob der neuen Arbeitswelten  für eine Arbeitszeitverkürzung eintreten, sind ÖVP, FPÖ, Wirtschaftskammer  (WKÖ) und Industriellenvereinigung (IV) gänzlich anderer Meinung.  Für Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) ist weniger zu arbeiten und gleich  viel zu verdienen  nicht möglich.  Wegen des Arbeitskräftemangels  – derzeit gibt es österreichweit über 200.000 offene Stellen – hält IV-Präsident Christoph Neumayer „eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich einzufordern für gelinde gesagt absurd“. Für ihn ist  die Diskussion „ideologisch getrieben“ – und für die Wirtschaft „sehr gefährlich“. Eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich würde einen „weiteren Inflationsschub bedeuten“, sagt Neos-Mandatar Gerald Loacker. „Jede Dienstleistung, die wir einkaufen wird in der Sekunde um 25 Prozent teurer. Wir würden also gleich viel verdienen, aber für alles mehr zahlen.“ 
Während in Österreich noch debattiert wird, wird in Spanien bereits probiert. Kleine und mittlere Unternehmen erhalten für die Teilnahme an einem 32-Stunden-Pilotprojekt eine finanzielle Unterstützung des Staates. Ähnliche Projekte wurden bereits in den USA und Großbritannien durchgeführt. 

In Zahlen ausgedrückt heißt das was?

In Summe werden wir alle mehr arbeiten und die Politik dafür Anreize schaffen müssen. Die Bereitschaft, mehr zu arbeiten, ist gegeben.

2018 propagierte die WKÖ den 12-Stunden-Tag, heute wird fast nur mehr von der 32-Stunden-Woche gesprochen – was ist in dieser Zwischenzeit passiert?

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