180 Tage EU-Vorsitz: Zeugnis der internationalen Brüssel-Kenner

Vielgefragt und sechs Monate im Zentrum der Europa-Politik-Bühne: Sebastian Kurz als Regierungschef des EU-Vorsitzlandes
Die österreichische Ratspräsidentschaft war beim Außengrenzschutz enttäuschend, Lob gibt es bei Finanzen und Brexit.

Nach sechs Monaten nähert sich der österreichische EU-Vorsitz dem Ende. 180 Tage lang stand Kanzler Sebastian Kurz auf der großen EU-Bühne, am Freitag war in Brüssel sein letzter Auftritt als Vorsitzender.

Anlass für den KURIER, versierte Brüsselkorrespondenten von Finnland über Deutschland bis Spanien um einer Bewertung der österreichischen Vorsitztätigkeit zu ersuchen. Die Gesamtnote kann sich sehen lassen: ein Gut.

War die österreichische Präsidentschaft ein Erfolg? 

Ulrich Ladurner (Deutschland, Die Zeit): Ein Erfolg war die österreichische Präsidentschaft nicht, sie war aber auch kein Unfall.

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Ulrich Ladurner (D), Die Zeit

Anniina Luotonen (Anniina Luotonen Finnische Agentur STT): Als Vorsitzland hat Österreich einen guten Job gemacht. Es hatte ja schon zwei Präsidentschaften hinter sich, und niemand hat wirklich erwartet, dass Probleme auftauchen würden.

Zoltan Gyevai (Ungarn, BruxInfo): Sie war sogar ziemlich erfolgreich in dem Sinn, dass entgegen vieler Prognosen  diese „seltsame“ rechts-extrem-rechte Regierungskoalition keine groben Fehler gemacht hat. Positiv war das Engagement für den kommenden EU-Haushalt.

Enrique Serbeto (Spanien, Fachblatt ABC): Es war eine pragmatische, diskrete und nüchterne Präsidentschaft. Ihr größter Erfolg war aus meiner Sicht, dass die Verhandlungen für den kommenden EU-Haushalt nun so gut geordnet an die rumänische Präsidentschaft weiter gereicht werden können.

Barbara Stäbler (Schweizer Agentur SDA): Ich ziehe eine gemischte Bilanz: Auf politischer Ebene konnte Kanzler Sebastian Kurz seinem Ziel, als Brückenbauer zu wirken, nicht gerecht werden. Aber den österreichischen Diplomaten sind viele Erfolge zuzuschreiben: von der Plastikverordnung bis zum EU-Budget.

Christoph Schiltz (Deutschland, Die Welt): Sie war insgesamt ein Erfolg. Die gemeinsame Linie gegenüber Russland (Sanktionen), Großbritannien (Brexit) und auch gegenüber den USA bei den Iran-Sanktionen wurde gehalten.Wichtige Gesetzesvorhaben wie die EU-Arbeitsagentur wurden durchgesetzt.

Hat die österreichische Präsidentschaft in einem Bereich enttäuscht?

Ulrich Ladurner (D): Beim Thema Migration hat sie enttäuscht: Die Regierung in Wien hatte hohe Erwartungen geweckt.

Anniina Luotonen (FIN): Auch für Österreich hat sich die Reform der Dublin-Regeln als Herausforderung dargestellt. Enttäuschend ist, dass es nicht mehr Fortschritte gegeben hat. Ich frage mich, ob man sich zu sehr auf die Grenzkontrollen konzentriert und dabei Dublin vergessen hat. 

180 Tage EU-Vorsitz: Zeugnis der internationalen Brüssel-Kenner

Zoltan Gyevai (HUN): Enttäuscht hat Österreich bei  den Innenministern, vor allem angesichts der selbst gesteckten ehrgeizigen Ziele. Speziell bei  den ausstehenden Erfolgen für die sieben Bereiche in Verbindung  mit dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem.

Enrique Serbeto ( ESP): Der kontroversiellste Teil war die Abwesenheit von Kanzler Kurz bei der Migrations-Konferenz in Marrakesch. Österreich war dort nicht vertreten, hätte aber trotz seiner Bedenken teilnehmen sollen.

Barbara Stäbler (CH): In der Migrationspolitik (Stichwort: Flüchtlingsvereitlung) sowie beim Grenzschutz (Stichwort: Frontex) konnten die Erwartungen nicht erfüllt werden.

Christoph Schiltz (D): Sie hat die Erwartungen beim Außengrenzenschutz nicht erfüllt. Weder gibt es neue Abkommen mit Drittstaaten, noch einen schnellen Ausbau von Frontex. Außerdem hätte ich erwartet, dass Bundeskanzler Kurz stärker auf die Regierung in Polen zugeht. 

 

Wäre mehr möglich gewesen? Wurden Chancen verpasst?

Ulrich Ladurner (D): Sie hätte Brücken bauen können, zwischen Ost und West vor allem. Obwohl die Regierung in Wien dies angekündigt hat, wurde es versäumt.

Anniina Luotonen (FIN): Seit dem Lissabon-Vertrag hat sich die Rolle einer Präsidentschaft verändert. Man soll realistisch sein. Letztlich entscheiden die 28 Mitgliedsstaaten. Auch der beste Vermittler kann keinen Erfolg haben, wenn die Mitgliedsstaaten nicht in der Lage sind, einander zuzustimmen.

Zoltan Gyevai (HUN): Beim Ersten Mobilitäts-Paket wäre mehr drinnen gewesen. Da hat Österreich eine Lösung angestrebt, die die Interessen der östlichen Mitgliedsstaaten nur minimal einbezieht. Die anhaltenden Grenzkontrollen innerhalb der Schengengrenzen  sind nicht zu rechtfertigen.

 

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Zoltan Gyevai (Ungarn), BruxInfo

Enrique Serbeto (ESP): Die sechs Monate wurden gut genutzt. Die legislativen Prozesse wurden mit hoher Geschwindigkeit vorangetrieben, besonders die Finanz-Verhandlungen haben eine gute Richtung genommen.

Barbara Stäbler (CH): Sicher wäre Österreich aufgrund seiner geografischen Lage und seiner Geschichte prädestiniert, als Vermittler und Brückenbauer zwischen den EU-Staaten im Osten und im Westen zu vermitteln. Das ist Kanzler Kurz nicht gelungen – wohl auch aus innenpolitischen Gründen.

Christoph Schiltz (D): Den UN-Migrationspakt hätte Österreich als EU-Ratspräsidentschaft niemals ablehnen dürfen – das macht das Land klein. Ein klarer Fehler von Kurz, auch wenn er innenpolitisch damit punkten kann in gewissen Kreisen. Beim Grenzschutz war nicht mehr möglich.

Erinnern Sie sich an ein konkretes Ereignis der Präsidentschaft besonders?

Ulrich Ladurner (D): Beim Gipfel in Salzburg war ich dabei.

 

Anniina Luotonen (FIN): Der Gipfel in Salzburg ist mir in besonders schöner Erinnerung geblieben. Der Blick auf die Festung Hohensalzburg war wunderbar. Und es war eine clevere Idee, die Räte und Sitzungen über das ganze Land zu verteilen. Gute Tourismuswerbung.

Zoltan Gyevai (HUN): An die sehr gut organisierte Pressereise für Brüssel-Journalisten Anfang Juli. Und an die inhaltsreichen und offenen Hintergrund-Briefings, die von der Ständigen Vertretung Österreichs hier in Brüssel organisiert wurden.

Enrique Serbeto (ESP): Ich kann mich an keinen speziellen Moment erinnern. Es gab nichts Außergewöhnliches, aber das ist bei Präsidentschaften neuerdings immer so.

 

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Enrique Serbeto (Fachblatt ABC, Spanien)

Barbara Stäbler (CH): Zum Schmunzeln war eine Episode beim informellen Innenministerrat in Innsbruck: Traf ein Minister beim Kongresszentrum ein, spielte die Militärkapelle. Es ist   aber Usus, dass Journalisten den Ministern bei ihrer Ankunft Fragen stellen, was bei lauter Blasmusik unmöglich war.

Christoph Schiltz (D): Wie gut Österreichs EU-Botschafter Nikolaus Marschik immer noch aussieht und froh gelaunt  ist. Für ihn und sein ganzes Team waren die vergangenen Monate arbeitsmäßig die Hölle mit sehr wenig Schlaf und viel Aufregung – aber der Botschafter scheint das gut wegzustecken. 

Wie hat sich Österreich als Gastgeber präsentiert?

Ulrich Ladurner (D): Ich finde, Österreich war ein sehr guter Gastgeber.

 

Anniina Luotonen (FIN): Österreich ein guter Gastgeber? Absolut!

Zoltan Gyevai (HUN): Leider war ich bei keinem der Räte und Treffen in Österreich dabei.

Enrique Serbeto (ESP): Ich war beim Gipfel in Salzburg und einigen Ratstreffen in Wien. Die Organisation war effizient und zufriedenstellend.

Barbara Stäbler (CH): Österreich war ein sehr guter Gastgeber. Ich hatte alles, was ich zum Arbeiten brauchte und wurde zudem hervorragend verköstigt!

 

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Barbara Stäbler (Schweizer Agentur SDA)

Christoph Schiltz (D): In Salzburg hat sich Österreich von seiner besten Seite gezeigt: Exzellentes Essen, guter Service, gute Arbeitsbedingungen. Es gab kleinere technische Pannen, aber das passiert auch bei anderen EU-Gipfeln. Die Polizei-Kontrollen waren streng, aber nicht übermäßig.

Gesamtnote im Schulnotensystem

Ulrich Ladurner (D): Befriedigend

Anniina Luotonen (FIN): Gut

Zoltan Gyevai (HUN):Gut

Enrique Serbeto (ESP):Gut 

Barbara Stäbler (CH):Gut 

Christoph Schiltz (D):Gut 

180 Tage EU-Vorsitz: Zeugnis der internationalen Brüssel-Kenner

Christoph Schiltz (Die Welt)

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