12-Stunden-Tag: Wie freiwillig ist „freiwillig“?

12-Stunden-Tag: Wie freiwillig ist „freiwillig“?
FPÖ preschte vor, ÖVP gab nach: Arbeitnehmer sollen 12-Stunden-Tag ablehnen dürfen. Für Experten ändert sich aber kaum etwas.

Soll man es ablehnen dürfen, wenn der Chef einen bittet, doch bitte noch eine elfte und eine zwölfte Stunde zu arbeiten? Nein, sagte die Bundesregierung bis vorgestern. Denn bis dahin stand im türkis-blau en Gesetzes-Entwurf für eine Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden: Arbeitnehmer dürfen Überstunden nur dann ablehnen, wenn „überwiegende persönliche Interessen“ vorliegen. FPÖ-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein präzisierte unlängst, dass ein simples „Nein“ hier nicht genüge.

Nun gibt es bereits vor dem Gesetzesbeschluss eine Reform der Reform. Weil die FPÖ in dieser Frage massiv unter Druck geraten war, wagte die selbst ernannte Arbeiterpartei einen Vorstoß: Vizekanzler Heinz-Christian Strache und FPÖ-Klubchef Walter Rosenkranz pochten im ORF darauf, dass das Gesetz um den Zusatz der Freiwilligkeit erweitert werden müsse.

Es dauerte nicht lange, da lenkte auch die ÖVP ein: „Es wird völlige Freiwilligkeit im Gesetz verankert. Der Arbeitnehmer wird alleine entscheiden, ob die zusätzlichen Stunden geleistet werden oder nicht“, sagte ÖVP-Klubobmann August Wöginger zum KURIER. Zumindest in der (gesetzlichen) Theorie soll nun also doch der Arbeitnehmer über den 12-Stunden-Tag entscheiden (siehe Analyse unten).

Zwölfstundentag: Regierung lenkt ein

Woher dieser plötzliche Sinneswandel? „Die Praxis zeigt uns einfach, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber das vereinbaren können. Das ist okay für uns.“ Die exakte Textierung der 180-Grad-Wendung in einem zentralen Punkt – Wöginger nennt sie „Klarstellung“ – soll bereits nächste Woche präsentiert werden. Bedeutet das nun, dass man eine Anordnung von Überstunden ignorieren und einfach ins Freibad spazieren darf? „Ja, das bedeutet es“, sagt der VP-Klubchef.

Einmal eingelenkt, sieht sich die Koalition nun mit weiteren Wünschen konfrontiert: Der Vizechef des oberösterreichischen ÖAAB etwa richtet der Koalition aus, dass es auch einen (nicht vorgesehenen) Rechtsanspruch auf zusammenhängende Freizeitblöcke und höhere Überstundenzuschläge geben muss.

In Teilen der ÖVP sieht man das Einlenken kritisch, schließlich habe man nun schon vor den großen Protesten klein beigegeben. Ganz so hart soll es die Türkisen aber nicht getroffen haben – der Grund, wie gut informierte Quellen behaupten: Man habe ohnehin „eingepreist“, dass Strache in der für die Blauen heiklen Debatte zumindest eine arbeitnehmerfreundliche Geste setzen müsse.

Fragen und Antworten: 12-Stunden-Tag light „ändert nicht viel“

Was heißt es, wenn der Gesetzesentwurf um die „Freiwilligkeit“ ergänzt wird?

„Das ändert an der Situation nicht wirklich etwas“, sagt Walter Pfeil, Arbeitsrechtsexperte an der Uni Salzburg; dem stimmt auch sein Kollege Günther Löschnigg von der Uni Graz zu: „Im Arbeitsrecht ist der Begriff der Freiwilligkeit ein Fremdkörper, da dem Arbeitsvertrag ohnedies das Prinzip der Vertragsfreiheit zugrunde liegt.“ Wird das Gesetz nun  um die „Freiwilligkeit“ erweitert, „dann steht in den Arbeitsverträgen einfach, dass man ,freiwillig’  Überstunden in  leistet“, sagt Pfeil.

Heißt das aber, dass man künftig leichter Nein  zu Überstunden sagen kann?

Eher nicht, sagen beide Experten. „Das Grundproblem bleibt ungelöst“, sagt Pfeil; auch Löschnigg verweist darauf, dass „Arbeitnehmer ja immer – schon per definitionem - persönlich und wirtschaftlich vom Arbeitgeber abhängig sind“ – sie stünden unter dem Druck einer möglichen Kündigung und würden ihren Job  riskieren, wenn sie Arbeit verweigern. "Es mangelt Ihnen im Regelfall nicht nur an Zeit- sondern auch an Entscheidungssouveränität."
 
Aber im Gesetz sind Ablehnungsgründe angeführt – helfen die nicht?

Bedingt. Löschnigg ist der Auffassung, dass auch künftig bei Vorliegen der gesetzlichen Gründe abgelehnt werden kann wie bisher – mit allen Konsequenzen. Pfeil hingegen ortet eine Schlechterstellung: Die neunte  und zehnte Stunde könne man nämlich künftig deutlich  leichter ablehnen als die zehnte und zwölfte, sagt er – und das sei „skurril“. Bei den ersten beiden Überstunden müsse der Arbeitgeber beweisen, dass es eine Notwendigkeit gebe; bei der elften und zwölften nicht  – da zählen nur „überwiegende persönliche Interessen“ des Arbeitnehmers, also Kinderbetreuung oder Pflegeverpflichtungen.

Wie viele von den jetzt geleisteten Überstunden sind eigentlich freiwillig?

Laut Christine Mayrhuber, Ökonomin am Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), ist statistisch kaum zu erheben, wie viele Überstunden freiwillig sind und wie viele angeordnet werden. Orientieren  könne man sich der Expertin zufolge lediglich an einer Zahl aus dem „Mikrozensus“, einer Erhebung der Statistik Austria: Demnach sagen 57 Prozent der Angestellten, dass ihre Chefs zur Gänze über ihre Arbeitszeit verfügen. Daraus könne man schließen, dass das Gros der Überstunden zumindest im weiteren Sinn unfreiwillig geleistet wird.

Was kann mir passieren, wenn ich  angeordnete Überstunden ablehne?

So, wie das Gesetz derzeit vorliegt, kann die Konsequenz der Jobverlust sein: Zwar ist explizit erwähnt, dass man nicht benachteiligt werden dürfe, „insbesondere in puncto des Entgelts, der Aufstiegsmöglichkeiten und der Versetzung“, so der Entwurf. „Aber Kündigung ist nicht genannt“, sagt Pfeil – das sei vor allem für kranke oder ältere Arbeitnehmer eine Gefahrenquelle.

Kann man  Überstunden abbauen, wann man will?

Dazu macht das Gesetz keine Vorgabe – was de facto heißt: nein, die Entscheidung liegt beim Arbeitgeber. Zudem wird die Möglichkeit, Zeitguthaben in den nächsten Durchrechnungszeitraum mitzunehmen, auch „flexibilisiert“, wie es im Gesetz heißt. Man kann also de facto Zeitguthaben Ende nie ansparen  – und muss diese, wenn  der Arbeitgeber  es will, über lange Zeit liegenlassen.
 
Wie viel muss man dann maximal arbeiten?

Mit dem 12-Stunden-Tag wird ja auch die 60-Stunden-Woche ermöglicht – also die Möglichkeit, fünf Tage hintereinander  12 Stunden zu arbeiten. Als Höchstgrenze dient allein die  EU-Arbeitszeitrichtlinie, die einen Durchschnitt von 48 Stunden pro Woche über eine Dauer von 17 Wochen vorsieht. Das heißt: Man kann – „freiwillig“ oder nicht – künftig fünf Wochen 60 Stunden, fünf Wochen 50 Stunden und sieben Wochen 38 Stunden arbeiten – und alles ist gesetzlich gedeckt.

Öffentlich Bedienstete, heißt es, hätten den 12-Stunden-Tag ja schon. Wo ist also der Unterschied?

Das sei „kein glückliches Beispiel“, sagt Pfeil. Die Regelungen bei Beamten und Vertragsbediensteten seien zwar tatsächlich dienstgeberfreundlicher, es gebe  auch keine Überstunden, sondern nur Zeitausgleich – aber dafür so gut wie nie einen Mehrstunden-Zwang: „Anordnungen finden außer bei der Exekutive so gut wie nie statt“, sagt der Experte. Dazu komme die Planbarkeit: Egal ob bei Polizei oder in Spitälern, die Dienstpläne stünden meist Wochen im Voraus. Im neuen Gesetz „ist so etwas aber nicht vorgesehen.“

 

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