1. Mai nach dem Parteitag-Desaster: Wie tot ist Rot?

Traditioneller Maiaufmarsch der SPÖ im Vorjahr
Wie geht es der SPÖ im Jahr 2017? Und wozu braucht man im digitalen Zeitalter noch den 1. Mai?

Ein Jahr nach dem Pfeifkonzert beim Maiaufmarsch hat die SPÖ zwar mit Christian Kern einen neuen Parteichef. Doch im Bund läuft die Koalition alles andere als rund, in Wien straften die Delegierten beim Parteitag die Spitzen der Landespartei ordentlich ab.

Im Vorjahr gab es Pfiffe und Buh-Rufe: Nicht nur Michael Häupl magerlte die lautstarke Ablehnung von Parteichef Werner Faymann. Der Kanzler musste gehen.

Ein Jahr später ist manches anders in der SPÖ, aber auch besser? Hat sich der Protest 2016 gelohnt? Ist die SPÖ besser aufgestellt als im Vorjahr? Der KURIER suchte in der Partei nach Antworten:

Die Pfeiferl waren aus, also schrie sie. So laut, dass sie noch Tage später heiser war.

Als vor einem Jahr SPÖ-Chef Werner Faymann auf dem Wiener Rathausplatz ein Pfeifkonzert über sich ergehen ließ, war Katrin Walch unter den "Buh"-Rufern.

Seither ist viel passiert, die SPÖ hat einen neuen Chef – wurde also alles besser?

"Man versucht jetzt professioneller zu arbeiten, der Prozess fürs neue Parteiprogramm wurde auf neue Beine gestellt und wir hoffen, dass da etwas daraus wird", sagt die Chefin der SPÖ-nahen Studenten vom VSStÖ.

Inhaltlich, und da sind wir bei den Minus-Punkten, ist Walch aber ernüchtert. "Ja, ich bin enttäuscht, denn in einem Punkt ist nach dem Wechsel alles beim Alten geblieben: Die politischen Fäden werden weiter im Bundeskanzleramt gezogen. Und die SPÖ, ihre Gremien und Funktionäre, werden übergangen."

Genau das habe im Übrigen auch der von Christian Kern präsentierte "Plan A" gezeigt: "Er wurde nicht von der Basis oder in der Partei erarbeitet, sondern im kleinen Kreis gemacht, dann präsentiert – und nachträglich zur Parteilinie erklärt. Die SPÖ wird von der Führung vor vollendete Tatsachen gestellt."

Ihre Kritik an den herrschenden Verhältnissen macht die Studentin vor allem an den Inhalten fest: "Die Studienplatzfinanzierung und die damit drohenden Zugangsbeschränkungen sind für uns ein Schlag ins Gesicht. Da wurde eine Errungenschaft von Kreisky weitgehend sorglos über Bord geworfen."

Ähnlich sieht die gebürtige Salzburgerin die Sache bei TTIP ("Erst befragt man die Basis, dann wird alles anders entschieden") und beim Asylrecht ("Maßnahmen wie die Obergrenze waren nachweislich überzogen").

Bleibt die Frage: Wie kommt die SPÖ da wieder raus? "Indem sie sich nicht von ÖVP und FPÖ treiben lässt. Bei der Asylhetze muss man gegenhalten, anstatt mitzuschwimmen." Und die Parteiführung müsse die Gerechtigkeit als Thema forcieren. "Vermögenssteuern, Erbschaftssteuern, all das sind Dinge, die die Sozialdemokratie fordern muss."

"Weniger Blasmusik, mehr Politik!"

Dieser Satz, lautstark skandiert, brachte Bruno Aigner bei seinem ersten Mai-Aufmarsch in Polizei-Gewahrsam. Es war 1968, Aigner gehörte zu jener Gruppe, die dem damaligen Bürgermeister Bruno Marek mit ihren wütenden Protesten auf die Nerven ging. "Und nach der dritten erfolglosen Aufforderung still zu sein, ließ Marek die Polizei einschreiten."

Man verbrachte den Abend in der Rossauer Kaserne. Aber es blieb versöhnlich. "Die Polizisten brachten uns ein Radio in die Zelle, damit wir das Länderspiel hören konnten."

Das war damals, aber: Wie sieht der Mann, der Heinz Fischer über Jahrzehnte hinweg als Vertrauter begleitet hat, denn heute die Lage? Wie geht’s der SPÖ an diesem 1. Mai? "Wir haben die geistige Vorherrschaft zunehmend abgegeben. Auch die SPÖ ist angesteckt von der Kurzatmigkeit der Politik."

Allerdings will Aigner nicht schwarzmalen. Ja, es gehe ein Gespenst um in Europa. "Der Populismus nimmt zu." Aber auch die Zivilgesellschaft werde stärker und trete gegen rechten Populismus auf. "Also keine Panik!"

Die SPÖ dürfe Begriffe wie "Sicherheit" und "Heimat" nicht den anderen Parteien überlassen. Aber, und das ist eine von Aigners zentralen Botschaften, man muss sie umfassender und "fächerübergreifend" diskutieren. "Zur Sicherheit gehört nicht nur die physische Unversehrtheit. Dazu gehört, dass man ein Dach über dem Kopf, dass man einen Job und eine vernünftige Ausbildung hat. So müssen wir über diesen Begriff reden." Und auch bei der "Heimat" liege es an der SPÖ, den Begriff in einer eigenen Erzählung zu behandeln: "Wenn am Land der Greißler, das Wirtshaus und die Post verschwinden, weil die Logik der Profit-Maximierung das so will, dann müssen wir als SPÖ dagegenhalten."

Aigners Ausblick ist – insbesondere ob des neuen Parteichefs – ein positiver. "Es wurde viel erreicht. Viele wurden über die Jahre hinweg ja zu Sozialdemokraten, ohne es selbst zu wissen." Nur eines dürfe man nicht vergessen: " Das Herz der SPÖ, das ist das Soziale."

Wann sie zum ersten Mal dabei war? Genau kann es Hildegard Holzhacker nicht mehr sagen. "Ich war ein Kind, meine Eltern waren beide gestandene Sozialdemokraten und der 1. Mai war ein Festtag, für den wir unsere Kinderfahrräder geschmückt haben."

Nicht nur wegen ihrer Eltern war es für die 69-Jährige naheliegend, dass sie einmal in der SPÖ landen würde. "Ich habe schon als Kind die Ungerechtigkeiten der Gesellschaft mitbekommen. Ich durfte nicht ins Gymnasium, weil sich meine Eltern – der Vater Elektriker, die Mutter Schneiderin – das Schulgeld und die Schul-Bücher nicht leisten konnten. So etwas bekommt ein Kind mit, das prägt."

Holzhacker hat ihr gesamtes politisches Leben in der Ottakringer SPÖ verbracht. Sie trat als Teenager bei, machte eine Lehre, zog zwei Kinder groß, war 21 Jahre lang Bezirksrätin. Die Themen, die sie für die SPÖ haben brennen lassen, haben sich in einem halben Jahrhundert nicht geändert – sozialer Ausgleich und Gerechtigkeit. "Wenn mir bei der Volkshilfe ein Vater gegenübersitzt, der als Reinigungskraft 920 Euro bekommt, zwei Kinder hat und ohne Heizung und Strom für seine Wohnung 560 Euro bezahlt, dann weiß ich: Das sind die Themen, mit denen die SPÖ auf die Straße gehen muss. Jobs, von denen man leben kann, soziale Gerechtigkeit. Das ist der Alltag der Menschen, das bewegt sie."

Das Pfeifkonzert beim Mai-Aufmarsch von vor einem Jahr hat sie fast erwartet. "Eine Partei ist wie eine Familie. Wenn man über Probleme nicht spricht, wachsen sie – und irgendwann entlädt sich alles mit einem Knall." Womit wir beim neuen Parteichef wären. Setzt Christian Kern auf die richtigen Themen? Ist er der Richtige? "Ich bin durchaus zufrieden", sagt Holzhacker. "Mir gefällt seine Sprache, er versucht, den Politiker-Sprech zu vermeiden." Und der 1. Mai? Ist der noch zeitgemäß? "Es muss einen Tag geben, an dem sich die Menschen treffen und einander zeigen, dass Solidarität ein Wert ist. So gesehen braucht es ihn dringend. Denn es sind leider noch viele Egoisten unterwegs da draußen."

Nicht, dass er das Ergebnis bedauern würde. Er weint Werner Faymann keine Träne nach. Aber das Pfeifkonzert gegen den früheren Bundeskanzler am 1. Mai 2016 war für Hannes Androsch trotzdem ein "schreckliches Ereignis". Zu bedeutsam ist der Tag für die Partei, zu wichtig auch in den persönlichen Erinnerungen. "Es war vorher unvorstellbar, dass ein Parteichef so viel an Vertrauen verloren hat, dass es zu so einem Eklat kommen kann", sagt der Ex-Finanzminister im Rückblick.

Faymanns Nachfolger Christian Kern sei bestimmt "eine große Chance für die Partei". Er habe in der kommenden Wahlauseinandersetzung "gute Chancen" trotz der "sehr guten Werte" von Außenminister Sebastian Kurz, den Androsch für den logischen Gegenkandidat der ÖVP hält. Trotz der guten Umfragewerte der Blauen, glaubt der Industrielle, müsste es auch möglich sein, die FPÖ zu überholen – also erneut Nummer eins zu werden.

Wolle man jedoch mittelfristig nicht das Schicksal etwa der Sozialisten in Frankreich erleiden, müsse man den "Wechsel vom industriellen ins digitale Zeitalter schaffen". Samt aller Implikationen in der Neuausrichtung des Sozial- und Wohlfahrtsstaates nach den Bedürfnissen des 21. Jahrhunderts. Kerns Forderungen nach einer Maschinen- oder Erbschaftssteuer sind es für Androsch "genau nicht".

"Besorgt" macht Hannes Androsch, was den Rechtsruck der Partei in der Asylpolitik angeht – wie wohl er die SPÖ und Kern als Getriebene von Kurz, Innenminister Sobotka und der FPÖ sieht. "Wir können nicht den Zuwanderern unsere Werte näherbringen, indem wir unsere eigenen Werte mit Füßen treten. Das beunruhigt mich."

Was mögliche Koalitionen angeht, hält er das burgenländische Experiment mit den Blauen nicht für auf den Bund übertragbar, zu groß seien die "Trennmengen". In der jetzigen Regierung sei das Hauptproblem der Reformstau. Androsch: "Wenn sich die Regierung nicht selbst blockiert, dann treten die Lehrergewerkschafter, Landeshauptleute oder Sozialverhinderungspartner auf."

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