Hass-Postings: Wider die Wut im Netz

Hass-Postings: Wider die Wut im Netz
Der Hass im Netz eskaliert, die Postings werden immer schamloser. Eine Analyse.

"Mit einer geballten Faust kann man keinen Händedruck wechseln." Indira Gandhi

Er schimpft. Er buht. Er hasst. Nicht nur. Er agitiert – und agiert. Der Wutbürger macht mobil, Hand in Hand mit Wut-Politikern. Diese neue Form der Erregungskultur orteten Zukunftsforscher bereits im Jahr 2010. Anfangs noch als "Mutbürger" herbeiskandiert, spiralisierte er sich zunehmend in ein Karussell aus Angst, Unglück, Sorge, Ohnmacht. Ein Fressen für rechtspopulistische Antreiber, deren Diffamierungslust in der gesellschaftspolitischen Mitte mehr und mehr Sympathisanten anzieht.

Hass-Postings: Wider die Wut im Netz
(FILES) This file photo taken on February 6, 2016 shows French Army Corps General Christian Piquemal (2R) addressing supporters of the Pegida movement (Patriotic Europeans Against the Islamisation of the Occident) during a banned demonstration in Calais, northern France, on February 6, 2016. Piquemal, accused of having participated in the banned gathering, will appear in Boulogne-sur-Mer court on May 12, 2016. / AFP PHOTO / PHILIPPE HUGUEN

Aus Sicht von Ralf Melzer, Leiter des Arbeitsbereichs "Gegen Rechtsextremismus" an derFriedrich-Ebert-Stiftung Berlin, würden sich die Ursachen dafür nur unzulänglich im Begriff des Wutbürgertums ausdrücken. Der vertiefende Blick zeige "massive politische und gesellschaftspolitische Veränderungsprozesse auf Basis von Globalisierung, Digitalisierung, aktuellen politischen Verwerfungen, der Finanzkrise, Staatsüberschuldung, Euro-Rettung sowie Flucht aufgrund von Bürgerkrieg in unmittelbarer Nachbarschaft Europas". Dazu geselle sich die Angst vor Terror sowie allgemeine Überforderung und Orientierungslosigkeit. Man ist verdrossen – politikverdrossen, medienverdrossen, machtverdrossen. Die (Er-)Lösung kumuliert im Aufschrei.

Stammtischmanieren werden chic

Der hat sich zu einem unheilvollen Phänomen ausgewachsen. Diskurse verselbstständigen und verschränken sich – zum Konglomerat aus Rassismus und Feindseligkeit. Vorgestrige Lösungen werden herbeifantasiert. Auf diesem Nährboden sind Stammtischmanieren und -parolen so opportun wie chic. Längst ist das kein Problem irrlichternder, rechter Randgruppen alleine mehr, sondern die Einstellung einer breiten Mitte, die ihren Zorn nicht an der Bassena oder am Wirtshaustisch rauskotzt, sondern in der Social-Media-Blase, in Blogs, Chats, Foren. Orte selbstreferentiellen Kommunizierens, wie Melzer sie nennt, "wo die ganze Funktion des Filterns und Einordnens von Kommunikation wegfällt und jeder die eigene Einstellung widergespiegelt bekommt".

Wenn Hass ansteckt

Wo also die kollektive Imagination eines "So ist es!" entsteht – da das "Wir", dort die "anderen". Verbunden mit einer sprachlichen und emotionellen Verrohung, die Beschimpfungen und Hassparolen zur Norm werden lässt. Denn klar: "Keiner muss heute die Schreibmaschine auf den Tisch stellen für den Leserbrief an den Herrn Herausgeber und dann zum Briefkasten laufen. Das ist Lichtjahre her. Heute kann jeder ganz schnell und einfach Dampf ablassen, beschimpfen, drohen. Und das noch dazu anonym, wenn man will", so Melzer. Der Ton – ob gegen Andersgesinnte, Politiker, Journalisten – wird immer wüster und radikaler, potenziert durch den Zuruf rechtspopulistischer Parteien und intellektueller Brandstifter.

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Supporters of the anti-Islam movement "Patriotic Europeans Against the Islamisation of the West" (PEGIDA) wave flags during a demonstration in Dresden, Germany, March 21, 2016. REUTERS/Ina Fassbender

Dazu kommt: Hass wirkt ansteckend. Melzer: "Sowohl in Österreich als auch in Deutschland gibt es Akteure, die diese Stimmung für ihre Zwecke nutzen, die Ängste, Sorgen und Wut gezielt instrumentalisieren und anheizen, indem sie einfache Antworten auf komplizierte Fragen geben." Flugs ist der Rassismus genauso wieder salonfähig und Usus wie Denunziation oder die manipulative Verbreitung einschlägiger, meist falscher, Information. Der Boulevard tut ebenso seine Pflicht – als Öl in der Zornsuppe der aufgebrachten Facebook-Freunde. Wo offensichtlich wird: Es ist der nette Nachbar, der gute Bekannte, der fremdenfeindliche Posts gut findet und verschwörungstheoretische Fake-Nachrichten teilt, ohne nur eine Sekunde über ihre Echtheit nachgedacht zu haben. Und es ist ebenfalls der nette Nachbar oder Katzen/Hundebild-Poster, der öffentlichen Personen eine Vergewaltigung wünscht.

Wenn die Wut in die Tat umschlägt

Dabei bleibt es allerdings nicht. Die gefühlte Wut schlägt immer öfter in die Tat um. Erstmals wurde auch in Österreich ein Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim verübt. Die Volksseele kocht über, weil Flüchtlingen ein Schwimmkurs ermöglicht werden soll. Beim Nachbarn Deutschland sind Angriffe auf Asylunterkünfte Alltag. Laut der Website "Mut gegen rechte Gewalt" hat es im Jahr 2016 bereits 506 Angriffe auf Asylunterkünfte gegeben, davon 75 Brandanschläge und 222 Körperverletzungen. Für den Rechtsextremismus-Experten Melzer ist klar: "Wir haben es hier nicht nur mit einer verbalen Radikalisierung, sondern tatsächlich mit mehr Gewalt zu tun, ganz real, – es schlägt durch. Wir haben Polarisierung und Radikalisierung an allen Fronten." Also wird heute auch beleidigt und geschimpft, wenn etwa eine Frau als Fußballkommentatorin fungiert. Und nicht, wie bisher gewohnt, ein Mann.

Erst unlängst thematisierte die ehemalige SPD-Politikerin und Journalistin Susanne Gaschke in der Welt das Thema "Wutbürger" und rätselte, woher der "ganze Ärger" komme. Einen Grund vermutete sie im "sinnlosen Digitalgedaddel", das viele bis zum Exzess betreiben und das die traditionelle Form der Gemeinschaft kaputt mache. Sie fragte überdies: "Zu welcher Zeit in der Vergangenheit hätten Sie gern in Deutschland gelebt? Das Ergebnis: Viele sehnen sich nach der Beschaulichkeit der 1980er-Jahre zurück – eine scheinbar unaufgeregte, vor allem aber berechenbare und langsamere Epoche des 20. Jahrhunderts, an die sich vor allem Menschen gerne erinnern, die Ende der 1960er-Jahre geboren wurden.

Der Wut-Sofortismus

Hass-Postings: Wider die Wut im Netz
ABD0005_20160531 - Ein Teilnehmer einer Kundgebung der islamfeindlichen Pegida-Bewegung auf dem Altmarkt in Dresden (Sachsen) hält am 30.05.2016 ein Stoff-Schwein in den Händen. Im Hintergrund die Kreuzkirche. Die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) haben erneut zu einer Kundgebung in Sachsens Landeshauptstadt aufgerufen. Foto: Arno Burgi/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Ziemlich sicher gab es auch damals Zorn über herrschende Verhältnisse. Was jedoch fehlte, war das Substrat, um ihn viral werden zu lassen, und dazu das Tempo – dieser Wut-Sofortismus. Was ebenfalls fehlte: die "Entsubjektivierung" des Kommunikationspartners. Einst konnte man seinen Unmut von Angesicht zu Angesicht loswerden, heute ist die Masse der miteinander Kommunizierenden ein vages und anonymes Gemenge. Von dem wir uns – durch Tastatur und Bildschirm getrennt – in unempathischer Distanz erleben können. Darin liegt eine weitere Gefahr, die zugleich Symptom und Ursache ist: der Verlust des Einfühlens. Vom Standpunkt des (womöglich anonymisierten) Ichs aus, gibt es kaum mehr eine einfühlende Hinwendung zum Du, dessen Gedankenwelt, Schicksal, Lebenslage. Statt das "Gehen in den Schuhen des anderen" zu üben, regieren Desinteresse, Unverständnis – und, wenn’s passt, unreflektierter Zorn. Zudem ist Sprache der Wegbereiter des Handelns. Noch schlimmer scheint jedoch, dass sich die Menschen an all das gewöhnen.

Was tun?

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Die Wüterei nicht hinnehmen, klar. Aufzeigen, anzeigen, sich einsetzen – gegen Hate Speech, für eine ordentliche Debattenkultur. Das ist das eine. Das andere sind langfristige Lösungsszenarien, aber: "Da braucht es einen langen Atem", so Melzer. Da, wo man noch durchdringen könne, müsse man Fehlinformationen begegnen. Mit einem Mix aus politischer Bildung, Sensibilisierung, Informationsbeharrlichkeit. Und Medienkompetenz, damit richtige Information von falscher unterschieden werden könne. Laut Melzer brauche es aber auch veränderte Standards in den sozialen Medien, um zu verhindern, dass sich dort weiterhin der blanke Rassismus und menschenfeindliche Äußerungen ausbreiten.

Haltung ist ihm Anliegen: kein Kopieren rechter Positionen, keine kurzfristige Taktik des Nach-dem-Mund-Redens oder Anbiederns. Gefährlich sei das. "Man braucht sich in Europa nur umzuschauen: Über kurz oder lang nutzen solche Anbiederungsversuche immer den Rechten." Melzer sagt aber auch: "Man darf sich keine Illusionen machen. An einen bestimmten Teil von Menschen, die zum harten Kern der rechtspopulistischen Gefolgschaft gehören, wird man nicht mehr herankommen. Aber der Kampf um jeden Einzelnen, der noch erreicht werden kann, ist entscheidend. Und ich bin davon überzeugt, dass man viele Menschen für die Demokratie und für Partizipation zurückgewinnen kann." In diesem demokratischen System hätte jeder Einzelne sehr viele Möglichkeiten, sich aktiv einzubringen. Es reiche jedoch nicht, montags auf die Straße zu gehen und zu wüten "Wir sind das Volk".

Der KURIER geht jetzt gegen Hasspostings vor. Anlass war ein Artikel auf kurier.at: Weil sie Gratis-Schwimmkurse für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge anbietet, erntete die Kärntner Wasserrettung einen Shitstorm. Bei einem Einsatzfahrzeug wurde eine Scheibe eingeschlagen. Als der Artikel auf Facebook gestellt wurde, postete eine Userin darunter, die Flüchtlingskinder meinend: "Dann sollns halt ersaufen!!!!" Das Posting wurde zur Anzeige gebracht.

Schwerpunkt auf kurier.at

In den kommenden Wochen wird das Thema "Gegen Hass im Netz" auf kurier.at im Fokus stehen. Diskutieren Sie mit, erzählen Sie uns Ihre Erfahrungen und sagen Sie uns, wie Sie mit der Wut im Netz umgehen.

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