Gewalt gegen Wehrlose wird belohnt

Gewalt gegen Wehrlose wird belohnt
Diskriminierung: Wer ein behindertes Opfer sexuell missbraucht, kommt mit weniger Strafe davon als "normale" Vergewaltiger.

Die Aufdeckung von sexuellem Missbrauch in Heimen bringt auch eine Diskriminierung im Strafrecht ans Tageslicht: Für den Gesetzgeber ist der Unrechtsgehalt geringer, wenn es sich beim Opfer um eine behinderte oder wehrlose Person handelt. In solchen Fällen wird angenommen, dass mangels Widerstandsfähigkeit des Opfers vom Täter gar keine Gewalt eingesetzt werden musste - weshalb das Delikt mit höchstens fünf Jahren Haft bedroht ist.
Die "normale" Vergewaltigung ist hingegen mit bis zu zehn Jahren zu bestrafen.
Wer ein (geistig) beeinträchtigtes Opfer auswählt, wird also belohnt.

Die Grüne Behindertensprecherin Helene Jarmer hat deshalb im Parlament einen Entschließungsantrag zur Gesetzesänderung beziehungsweise Verschärfung eingebracht. Sie fordert, dass die Vergewaltigung unter Ausnützung der besonderen Wehrlosigkeit mit der "typischen" Vergewaltigung gleichgestellt wird (siehe Artikelende).

Angemessen

Im Zivilrecht gibt es da keinen Unterschied: Die "geschlechtliche Selbstbestimmung" steht unter Schutz, ganz egal, ob durch Gewalt "oder sonst durch Hinterlist, Drohung oder Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses" (§ 1328, Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) darin eingegriffen wird. Dem Opfer steht jedenfalls eine angemessene Entschädigung zu.
Aber was ist angemessen?

Der höchste Betrag an seelischem Schmerzensgeld für Missbrauch wurde einer Wiener Studentin zugesprochen, die im Alter von sechs bis 13 Jahren von ihrem Onkel missbraucht worden war: 68.050 Euro dafür, dass sie an Klaustrophobie leidet und dazu neigt, sich selbst zu verletzen. Der
medizinische Gutachter hat ihr bis ans Lebensende noch 945 Tage leichter seelischer Schmerzen vorhergesagt. Solch seltsame Rechnungen dienen dem Gericht regelmäßig zur Bemessung.

5000 Euro bekam eine heute 44-jährige Frau, die 1983 von einer als Lehrerin beschäftigten Ordensschwester in einem Dominikanerinnenkonvent missbraucht worden war und seither an Bulimie leidet.

Im EU-Vergleich liegt Österreich mit diesen Beträgen im Mittelfeld zwischen Großbritannien, Deutschland (Höchstwerte) und den Schlusslichtern Griechenland, Dänemark.

Der forensische Psychiater Reinhard Eher, der seit 2002 die zentrale Begutachtungsstelle für Sexualstraftäter in Wien leitet, beziffert die Kosten für ein Missbrauchsopfer mit 100.000 Euro. Dafür hat er die Einbußen der Lebensqualität, die Ausfälle in der Produktivität und die Ausgaben für die psychologische Versorgung zusammengerechnet.

Schmerzensgeld steigt

Gewalt gegen Wehrlose wird belohnt

Der Senatspräsident beim Obersten Gerichtshof, Karl-Heinz Danzl, wertet seit Jahren die Schmerzensgeld-Entscheidungen der Gerichte in ganz Österreich aus ("Das Schmerzengeld in medizinischer und juristischer Sicht", samt CD-ROM mit 3048 Entscheidungen, bei Manz). Der Experte ortet einen Anstieg der zuerkannten Beträge (siehe Interview) . Da bei Straftätern aber - anders als etwa bei Verkehrsunfällen oder Kunstfehlern im Spital - keine Versicherung einspringt, bringe das Einklagen von Schmerzensgeld oft nur "einen Titel ohne Mittel".

Grüne fordern Gleichstellung
Deutschland und die Schweiz haben für sexuellen Missbrauch einen einheitlichen Strafrahmen, unabhängig davon, ob die Tat durch Gewalt oder Ausnutzung der schutzlosen Lage des Opfers verübt wurde. In Deutschland drohen bis 15, in der Schweiz bis zehn Jahre Haft.
Helene Jarmer von den Grünen fordert die Justizministerin auf, auch für Österreich eine Gleichstellung von behinderten und nichtbehinderten Menschen im Strafrecht als Verwirklichung der Selbstbestimmung herbeizuführen. Sie stützt sich dabei auch auf eine Stellungnahme des unabhängigen Monitoringausschusses zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen: "Aus dem Kriterium der ,Wehrlosigkeit' wird eine mildere Bestrafung abgeleitet, entgegen der Schieflage, die gerade durch die ,Wehrlosigkeit' entsteht, und deren Ausnutzung so besonders verwerflich ist."

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Interview

Kommentare