Gazprom: Der geheime Staat in Putins Reich
Mitteleuropa, Februar 2012: Inmitten einer Kältewelle gehen die Gaslieferungen aus Russland zurück – auch in Österreich, das 47 Prozent seines Bedarfs von dort bezieht. Sofort werden Erinnerungen an 2006 wach, als Moskau wegen eines Preisstreites mit der Ukraine die Lieferung gedrosselt hatte – bis Kiew einlenkte. In der EU ist allen klar: Man ist von Russland, oder genauer gesagt von Gazprom, abhängig.
Wie der mächtige Gaskonzern aufgebaut ist, agiert und wer hinter den Kulissen die Fäden zieht, enthüllt Jürgen Roth in seinem am Montag erscheinenden Buch "Gazprom – Das unheimliche Imperium". Dabei geht der nicht unumstrittene deutsche Journalist mit dem Unternehmen hart ins Gericht. Mit deutlichen Worten und teils provokanten Thesen entzaubert er das "Märchen vom normalen Energiekonzern", das die meisten Europäer dank teurer PR-Strategien glauben würden. Roth beschreibt Gazprom als Staat im Staat. Dieser werde vom Bald-wieder-Präsidenten Wladimir Putin, seinen Vertrauten sowie von Ex-Angehörigen von Polizei, Militär, KGB und des Inlandsgeheimdienstes FSB gelenkt.
Unüberblickbar
Putin und seine Getreuen, so ist Roth überzeugt, benutzen Gazprom, um ihre politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Interessen durchzusetzen. Dabei sei jedes Mittel recht: Korruption, Kontakte zu zwielichtigen Geschäftsleuten und zur Organisierten Kriminalität sowie die Schaffung eines unüberblickbaren Netzes aus Subunternehmen und Beteiligungen. Auch in Europa versuche der Konzern aggressiv Fuß zu fassen.
In Russland kontrollieren Putin & Co über Gazprom-Media, die größte Medienholding, weite Teile der Berichterstattung. Andere Medien werden laut Roth massiv unter Druck gesetzt: "Mindestens 20 unaufgeklärte Journalistenmorde gab es in der Regierungszeit von Putin als Präsident 2000 bis 2008."
Überhaupt schrecke Gazprom nicht vor Gewalt zurück. Der Konzern unterhält einen eigenen Geheim- und einen Sicherheitsdienst, der einer Armee gleicht. Möglich macht das ein 2007 verabschiedetes Gesetz, das "strategischen Unternehmen" wie Gazprom oder dem staatlichen Ölkonzern Transneft erlaubt, Waffen zu besitzen, Durchsuchungen und Verhaftungen vorzunehmen und außerhalb der Grenzen Pipelines zu schützen. "Das bedeutet nichts anderes", so Roth, "als dass die mit modernsten Waffen ausgerüsteten Gazprom-Soldaten über unbegrenzte Macht verfügen." Gazprom besitze zudem unbemannte Überwachungsflugzeuge (Drohnen) und plane den Einsatz von Satelliten.
Im Fall der EU nutze Gazprom deren Abhängigkeit von russischem Gas. "Abhängig zu sein bedeutet, erpressbar zu sein", schreibt der Autor, "und es heißt auch, dass die Preise ohne Widerstand erhöht werden können, wann immer es geboten erscheint – auch, um politischen Druck auszuüben." Wohin das führen kann, habe sich in der Ukraine gezeigt.
"Amigos"
Doch Europa ist für Roth nicht nur Opfer. So schildert der 67-Jährige die Rolle europäischer Staaten, Firmen und (Ex-)Politiker in Gazproms Erfolgsstory. Zu diesen "Amigos" zähle Gerhard Schröder (SPD), der sich als deutscher Kanzler für den Bau der Nord-Stream-Pipeline in der Ostsee eingesetzt hatte. Nach seiner Wahlniederlage 2005 wurde er von seinem Freund Putin mit dem Chefposten im Aktionärsausschuss der Nord Stream AG belohnt, die zu 51 Prozent Gazprom gehört.
Auch Österreich, vor allem Wien, wird von Roth mehrmals genannt, vor allem im Zusammenhang mit Gazprom-Kontakten zu Banken, Geschäftsleuten und einheimischen Firmen: "Während der Präsidentschaft von Putin entwickelte sich die Stadt zum bevorzugten Operationsgebiet russischer und ukrainischer Öl- und Gasunternehmen."
Gazprom: Zahlen und Fakten
Geschichte Gazprom, der weltgrößte Erdgas-Förderer, wurde 1989 als russischer Staatskonzern gegründet. Seit 1992 ist er eine Aktiengesellschaft, an der Russland 50,002 Prozent hält. Vorstandschef ist Alexei Miller, Aufsichtsratsvorsitzender Ex-Premier Wiktor Subkov – beide enge Vertraute von Wladimir Putin. Gazprom hat Hunderte Tochterfirmen und Beteiligungen im In- und Ausland, u. a. in der Strom-, Medien- und Bankwirtschaft.
Wirtschaftsdaten Gazprom fördert 85 Prozent des russischen Erdgases, ein Fünftel der Weltproduktion. Für den Export hat es ein Monopol. 2010 erwirtschaftete Gazprom einen Gewinn von 28 Mrd. Dollar. Es beschäftigt rund 380.000 Mitarbeiter und ist Russlands größter Arbeitgeber.
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