Fußfessel: "Strafen schrecken Sextäter ab"

Fußfessel: "Strafen schrecken Sextäter ab"
Ein Vergewaltiger aus Salzburg erhält eine Fußfessel. Psychiater Eher rät dazu, die öffentliche Empörung ernst zu nehmen.

Reinhard Eher, 49, leitet die Begutachtungsstelle für Sexualstraftäter in Wien-Floridsdorf. Er ist kein Hellseher, sagt er. Dennoch muss der Psychiater in die Zukunft blicken. Mit seinem Team durchleuchtet er jährlich die Seelen und Akten von rund tausend Vergewaltigern und pädophilen Tätern, um daraus für die Justiz abzuleiten, welche Gefahr von ihnen ausgeht und ob sie rückfällig werden.

KURIER: Herr Eher, ein fünffacher Vergewaltiger kriegt eine Fußfessel statt Haft. Würde es Sie stören, wenn das Ihr Nachbar wäre?

Reinhard Eher: Ja, im ersten Moment schon. Ich würde aber, so wie ich es beruflich mache, das rational analysieren. Da er schon früher neben mir gewohnt hat, würde ich mich vielleicht wohlerfühlen, wenn er jetzt eine Fußfessel hat.

In den USA sind die Strafen für Sexualdelikte besonders hart, hier können Täter mit einer Fußfessel zu Hause sein. Wo ist der Mittelweg?

Es gibt sinnvolle und weniger sinnvolle Umgangsformen. Es werden im Jahr 500 bis 600 Personen wegen Sexualdelikten verurteilt. Davon kriegt die Hälfte eine zumindest teilweise unbedingte Haftstrafe. Davon werden in der Regel nicht mehr als fünf Prozent binnen fünf Jahren rückfällig. Es geht also um diese problematische Gruppe.

Und wie findet man die?

Es ist wie bei einer Versicherung. Wenn Sie Raucher sind, alt sind, Bluthochdruck haben, dann weiß man, dass etwa 20 Prozent aller, die solche Merkmale haben, nach einer bestimmten Zeit tot sind. Solche Merkmale und Wahrscheinlichkeiten gibt es für Sexualstraftäter auch.

Warum ist dann der Umgang für Sexualstraftäter so schwierig?

Eine statistische Wahrscheinlichkeit kann ich nur über eine Gruppe anstellen. Es gibt zwei Pole: Hier die sexuelle Integrität, insbesondere von Kindern, die ein schützenswertes Gut darstellt. Dort die Haftstrafe. Beides erzeugt eine Spannung. Wenn man es zuspitzt, muss man die Frage stellen: Riskiere ich ein neuerliches Delikt an einem Kind, oder hockt einer ewig im Häf’n?

"Wir sind keine Hellseher"

Fußfessel: "Strafen schrecken Sextäter ab"

Im aktuellen Fall gingen die Wogen hoch. Ist die Öffentlichkeit nicht reif, um sachlich zu debattieren?

Ganz im Gegenteil, Man ist gut beraten, zu versuchen, zu verstehen, warum die Wogen hochgehen.

Warum?

Weil hier eine gefühlte Diskrepanz vorliegt. Ein Gericht hat das Gefängnis als Strafe vorgesehen. De jure ist auch eine Fußfessel eine Freiheitsentziehung so wie die Haft. Das macht keinen Unterschied. De facto wird sie aber von der Bevölkerung als eine Strafmilderung erlebt. Und jetzt kommt noch ein Punkt hinzu. Es gibt Gründe für eine Strafmilderung – Reue, Wiedergutmachung, ein Geständnis. Das liegt hier laut Medien nicht vor. Die Punkte, die wir als Menschen brauchen würden, um eine vermeintlich mildere Strafe aushalten zu können, die fehlen. Ich glaube, dass der Gerechtigkeitssinn überstrapaziert wird.

Die Begutachtungsstelle war im Fall des Salzburgers gegen die Fußfessel.

Wir waren nicht dagegen. Wir haben gesagt, ein Missbrauch ist nicht unwahrscheinlich. Aber wir sind keine Hellseher. Deshalb gibt es Richter, die entschieden haben.

Wo wird denn in Ihrem Metier Geld dringend benötigt?

Sicherlich bei der Verbesserung von Gefährlichkeitseinschätzungen.

Bei Gutachtern also. Laut einer Studie der Uni Ulm (siehe unten) ist die Qualität österreichischer Gutachten in diesem Punkt verheerend.

Ich muss zuerst sagen, dass wir in der Begutachtungsstelle eigene Einschätzungen treffen. In Österreich ist aber die Fortbildungs­kultur unter Gutachtern leider nicht sehr ausgeprägt.

Gibt es in der Haft Therapie für Täter. Ist dafür Geld da?

Ja, natürlich. Die, die sie brauchen, kriegen sie auch.

Würden Sie Sexualstraftäter härter bestrafen?

Die Frage ist, was ist das Ziel der Haftstrafe. Möchte ich ein Sühnebedürfnis einer Gesellschaft befriedigen oder will ich abschrecken. Ich glaube, dass man die meisten potenziellen Täter abschrecken kann.

Wie schaffen Sie es als Familienvater, in Ihrem Job neutral zu bleiben?

Neutralität ist eine Illusion. Wir schauen uns aber selbst auf die Finger, entscheiden immer im Team und verwenden standardisierte Verfahren. Man kann nur versuchen, professionell heranzugehen.

Gutachten über Sextäter strotzen vor Fehlern

Aufgebauscht, einseitig, Verlegenheitsdiagnosen: Das sind nur einige Kritikpunkte aus einer Studie über 211 Gutachten von heimischen Sachverständigen zum Thema "Zurechnungsfähigkeit und Gefährlichkeitsprognose " von Sexualstraftätern.

Zum Hintergrund: Diese "Experten" liefern der Justiz die Entscheidungsgrundlage dafür, ob jemand in eine Anstalt muss oder weiterhin im Gefängnis bleibt. Anders als in Deutschland gibt es in Österreich keine Qualitäts­screenings. Erst im Jahr 2010 ließ das Justizministerium erstmals von der Universität Ulm die Qualität heimischer Expertisen prüfen.

Das Ergebnis ist verheerend. Arbeiten bestünden aus "Luftblasen"; nur ein Drittel der Gutachter sei neutral; 40 Prozent treffen unüberprüfte Aussagen. Unterm Strich seien 56 Prozent der Arbeiten "genügend" bis "ungenügend".

Die Studie wurde 2011 veröffentlicht. "Wir sind dabei, Überlegungen anzustellen", heißt es im Justizministerium. Verbesserungsvorschläge gibt es. Psychiater Karl Dantendorfer: "Die Standards sind nicht verbindlich. Das muss sich ändern." Der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser kritisiert die "fehlende Qualitätssicherung. Wer die Gutachten nicht evaluiert, der darf sich über schlechte Qualität nicht wundern."

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