Holocaust-Überlebender Feingold: "Ich warne vor einem Rechtsruck"

Marko Feingold, Präsident Israelitische Kultusgemeinde Salzburg.
Marko Feingold, mit 103 Jahren der älteste Holocaust-Überlebende Österreichs, über die Bundespräsidentenwahl und seine Sorge vor den neuen Rechten in Europa.

Heuer hat er seinen 103. Geburtstag gefeiert. Marko Feingold, der älteste Holocaust-Überlebende Österreichs, wurde am 28. Mai 1913 in Besztercebánya/Neusohl in der heutigen Slowakei geboren und wuchs in der Wiener Leopoldstadt auf. Wer ihn trifft, glaubt einem 75-Jährigen gegenüberzustehen, seine 100 Jahre sieht man ihm nicht an, nur mit dem Hören tut er sich in letzter Zeit ein wenig schwer. Trotz seines hohen Alters ist Feingold nach wie vor ein aktiver politischer Beobachter und Mahner. Seit Jahrzehnten tourt der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg unermüdlich durch Europa, besucht Schulen, hält Vorträge, nimmt an Veranstaltungen teil, warnt immer wieder vor einem Wiederaufflammen des Nationalsozialismus und rechten Tendenzen.

Vor zwei Jahren stand er im Burgtheater im Zeitzeugenstück „Die letzten Zeugen“ auf der Bühne, erzählte dort seine dramatische Geschichte. Feingold wurde 1939 in Prag verhaftet und in das KZ Auschwitz deportiert, über die Konzentrationslager Neuengamme und Dachau wurde er 1941 nach Buchenwald überstellt und war dort bis zur Befreiung interniert. Dass er vier KZs überleben konnte, hält er heute noch für ein Wunder.

Kurier.at: Herr Feingold, wen werden Sie am 4. Dezember wählen?

Feingold: Ich werde einen Demokraten wählen. Das muss Ihnen Antwort genug sein.

Haben Sie seit 1945 an jeder Wahl teilgenommen?

Ja, ich habe keine Wahl ausgelassen. Und war auch vor 1938 wählen.

Wir erleben gegenwärtig einen Rechtsruck in Europa, wie erklären Sie sich das?

Das macht mir große Sorgen. Wir müssen aufpassen, die Entwicklung scheint uns anfänglich harmlos, endet aber oft in einer Diktatur. Das lässt sich derzeit gut in der Türkei beobachten, dort geht das Land schleichend genau in diese Richtung.

Aber in Europa sind wir hier doch noch weit entfernt?

Ja natürlich, aber in Ungarn und Polen kann man von Tendenzen sprechen, die ich als sehr bedenklich einstufe.

Aber was haben die großen Parteien falsch gemacht, dass rechte Gruppierungen immer mehr Zulauf erfahren?

In Österreich gab es immer schon diese Teilung in zwei Lager. Heute sind sich die ehemaligen Großparteien in ihrem Denken und Tun aber mittlerweile zu ähnlich, sie können die Menschen nicht mehr erreichen, sie haben keine Konzepte mehr zu bieten. Ich glaube, wenn man die jetzige Regierung über Nacht durch eine andere austauscht, würde das gar niemanden mehr auffallen, so ähnlich sind sich alle.

Und dieser Stillstand spielt den Rechtspopulisten also in die Hände?

Demagogen operieren immer nach dem gleichen Muster, sie versprechen alles und können am Ende nichts halten. Aber die Menschen verfallen ihnen immer wieder, das zeigt uns die Geschichte. Ich habe in meinen mehr als 100 Jahren Leben viele Diktaturen miterleben müssen, ich spreche aus leidvoller Erfahrung. Aber viele Menschen können sich unter diesen furchtbaren Regimes heute nichts mehr vorstellen, sie wissen nicht, welche schrecklichen Dinge dort passiert sind. Aber keine Diktatur der Welt hat ewig Bestand, sie brechen alle in sich zusammen.

Haben die Menschen aus der Geschichte also nichts gelernt?

Nein, sie haben nichts gelernt.

Glauben Sie, sollte Norbert Hofer als Präsident in die Hofburg einziehen, dass das Österreich international schaden wird?

Es ist sicher kein positives Signal. Ich kenne Herrn Hofer nicht persönlich, aber er kann nicht so harmlos sein, wie er sich gibt, weil seine gesamte Gefolgschaft nicht harmlos ist.

Sie feiern in ein paar Monaten ihren 104. Geburtstag. Was ist Ihre politische Botschaft, etwa an junge Wähler?

Ich warne vor einem Rechtsruck in Europa. Ich warne auch vor einem Ruf nach einem „starken Mann“. Ich weiß nicht wofür dieser starke Mann überhaupt eintreten soll. Aber die Regierungen haben den Menschen seit 1945 viel versprochen und ihnen Hoffnungen gemacht, aber das meiste konnten sie nicht einhalten. Jetzt fühlen sich viele betrogen, sehen sich als Verlierer, und das nutzen die Populisten aus.

Aber Sie haben die Hoffnung noch nicht verloren?

Nein, wenn sich die richtigen demokratischen Politiker in Europa zusammentun und für das Volk regieren und nicht für die eigenen Parteien, dann besteht immer noch Hoffnung.

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