"Die Politik der offenen Grenzen gibt es nicht mehr"

"Die Politik der offenen Grenzen gibt es nicht mehr"
Bundeskanzler Kurz fordert von der EU-Kommission konkrete Maßnahmen in der Flüchtlings- und Migrationspolitik.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erwartet von der EU-Kommission konkrete Maßnahmen in der Flüchtlings- und Migrationspolitik. Er gehe davon aus, dass deren Präsidentin, Ursula von der Leyen, "einen lösungsorientierten Vorschlag" vorlegen werde, "der auf unserem Konzept der 'flexiblen Solidarität' aufbauen wird", so Kurz gegenüber deutschen und Schweizer Medien (Samstagsausgaben).

"Jeder soll dort einen Beitrag leisten, wo er kann", gab der Bundeskanzler in einem in den Samstags- und Internetausgaben der "Neuen Zürcher Zeitung" und dem "Handelsblatt" veröffentlichten Interview eine Kurzdefinition dieses Konzepts ab. Im Übrigen unterstrich der türkise Bundeskanzler seine kompromisslose Haltung in der Migrationsfrage: "Die Politik der offenen Grenze gibt es nicht mehr". Er halte es für unrealistisch, "Staaten zur Aufnahme von Flüchtlingen zu zwingen."

Integration

"Ich war gegen die Politik der offenen Grenzen, weil ich jahrelang im Integrationsbereich gearbeitet und gesehen habe, dass der Erfolg der Integration von der Zahl der zu Integrierenden abhängt", erklärte Kurz, weshalb er bereits als Außenminister im Herbst 2015 eine harte Position in der Flüchtlingsfrage eingenommen habe. "2015 ist das als rechts oder rechtsradikal abgetan worden, mittlerweile ist es Gott sei Dank mehrheitsfähig unter den Staats- und Regierungschefs in der Europäischen Union." Kurz war von April 2011 bis Dezember 2013 Integrationsstaatssekretär gewesen, ehe er das Amt des Außenministers übernahm.

In Österreich hätten die vergangenen Jahre "Integrationsherausforderungen ausgelöst, die uns über Generationen beschäftigen werden", schilderte Kurz den Medien aus der Schweiz und Deutschland die Lage. "Über 100.000 Menschen haben einen positiven Asylentscheid erhalten. Das ist eine unglaubliche Zahl.

Es war möglich, 46 Prozent in den Arbeitsmarkt zu integrieren, aber viele sind nach wie vor ohne Job."Weiters hielt Kurz fest: "Mehr als die Hälfte der Wiener Schüler haben eine andere Muttersprache als Deutsch. Das stellt das Bildungssystem vor große Herausforderungen. Viele Flüchtlinge stammen aus Weltgegenden mit einer anderen religiösen Prägung und Tradition. Das stellt auch eine Herausforderung bei der Wertevermittlung dar. Ein Thema ist zum Beispiel der importierte Antisemitismus."

Die Anmerkung der Redakteure von "NZZ" und "Handelsblatt", dass es eine "Leistung" sei, wenn die Hälfte der Asylberechtigten von 2015 bereits einen Job habe, kommentierte der Bundeskanzler folgendermaßen: "Wenn Sie das positiv sehen, dann ist das Ihr gutes Recht. Aber anders formuliert gibt es Zehntausende von Menschen, die weder eine Ausbildung absolvieren noch einen Job haben: Zehntausende, die vom Sozialstaat ausgehalten werden müssen. Das darf uns nicht zufriedenstellen, aber ich habe es nicht anders erwartet. Unzählige Menschen aufzunehmen und sich dann zu wundern, dass es Probleme gibt, ist naiv."

Transitländer

Dass die Mittelmeerländer Italien und Griechenland in der Flüchtlingsfrage eine höhere Last tragen würden als etwa Österreich, ließ der ÖVP-Chef nicht gelten: "Nein, das ist falsch. Wenn Flüchtlinge wie in Italien nur durch ein Land durchreisen, stellt das eine mäßige Belastung dar. Mittlerweile ist die Zahl der Flüchtlinge stark zurückgegangen. 2020 stellten hier bis Ende Juli 6.500 Personen Asylanträge." Zudem dürfe sich die EU in der Flüchtlingsfrage von Türkeis Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht "erpressen" lassen.

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