"Ein Pülcher, aber kein Mörder"

"Ein Pülcher, aber kein Mörder"
Der KURIER sprach mit dem wegen Mordes verurteilten Ex-Häftling, dessen Fall die Justiz nach 31 Jahren wieder aufrollt.

Manfred B. saß 17 Jahre in Haft – für einen Mord an einer Prostituierten, den ein anderer begangen haben dürfte. Der Abgleich von am Tatort gefundenen Fingerabdrücken führte nun zu einem Holländer, der aktuell in München lebt, aber 1980 in Salzburg eine Lehre gemacht hatte.

KURIER: Wie geht es Ihnen, seit Sie wissen, dass die Staatsanwaltschaft eine Wiederaufnahme des Mordfalles beantragt hat, für den Sie 17 Jahre im Gefängnis gesessen sind?
Manfred B.: Ich bin innerlich aufgewühlt. Natürlich hoffe ich, dass ich endlich rehabilitiert werde und der echte Täter gefasst wird. Aber in meinem Leben ist mir schon so viel Schlimmes widerfahren, dass ich mich derzeit noch nicht freuen kann und eher skeptisch bin. Ich habe auch nach wie vor Albträume und Angstzustände, die ich einfach nicht loswerde.

Was war für Sie das Schlimmste in den vergangenen 31 Jahren?
Da waren zahlreiche Schicksalsschläge, die mich fast an den Rand der Verzweiflung gebracht hätten. Zuerst die Polizisten und Geschworenen, die mir nicht glaubten, dann die harte Zeit im Gefängnis. Später die Psychiater, die mich als uneinsichtig abgestempelt haben, weil ich mich nicht schuldig bekannte, und damit eine frühzeitige Entlassung verhinderten. Dann der Unfalltod meiner Tochter Melanie, zu deren Begräbnis ich nur zweieinhalb Stunden Freigang unter Bewachung bekommen habe. Dann die Scheidung von der ersten Frau – und nach der Haftentlassung die frustrierende Suche nach einer Arbeit.

Sie haben sich aber nie ganz aufgeben?

Natürlich gab es Momente, wo ich weinend am Zellenboden gelegen bin und Todessehnsucht verspürt habe. Aber mein Lebensmut war doch immer stärker. Ich hab’ zu mir gesagt: ,Mandi, bleib stark, tu das ja nicht, du hast nur dieses eine Leben’.

Wie schafft man es, so lange in Haft zu verbringen, ohne einen schweren psychischen Knacks zu bekommen?
Ich wusste ja, dass ich kein Mörder bin. Daran hab’ ich mich festgehalten. Ich habe aber viele gesehen, die im Gefängnis verfallen sind.

Warum, glauben Sie, hat man Ihren Beteuerungen, mit dem Mord nichts zu tun zu haben, nicht geglaubt?
Ich war leider zur falschen Zeit am falschen Ort und als Vorbestrafter aus dem Rotlicht-Milieu der ideale Verdächtige. Außerdem habe ich gegenüber der Polizei einen großen Fehler begangen, der die Ermittlungen in meine Richtung gelenkt hat.

Was war das?
Ich habe Heidis (Heidemarie Mayerhofers, Anm.) Leiche in der Wohnung gefunden und anstatt sofort die Polizei zu alarmieren, meine damalige Frau angerufen. Ich habe sie und eine Freundin gebeten, sofort herzukommen, damit wir der Polizei sagen können, dass wir die Leiche gemeinsam entdeckt haben. Das war eine Panikreaktion, weil ich Angst hatte, dass ich wegen meiner Vorstrafen automatisch verdächtig bin.

Welche Vorstrafen?
Körperverletzungsdelikte wegen Raufereien. Ich hab’ mir als Junger nichts gefallen lassen. Ich war natürlich kein Heiliger, sondern ein kleiner Pülcher, ein Strizzi. Aber ich bin kein Mörder.

Und wie leben Sie heute?

Ich habe eine neue Familie – Frau und Tochter – und einen Job. Ich bin über Umwege nach Wels gekommen, wo ich erhobenen Hauptes durch die Stadt gehen kann, und mich nicht wie ein Maulwurf verkriechen muss.

Sollten Sie reingewaschen werden, haben Sie Anrecht auf Haftentschädigung.

Mein Leben kann man nicht nachkaufen. Die 17 Jahre, die man mir gestohlen hat, sind unbezahlbar. Ich war bei Haftbeginn 27 Jahre – quasi im besten Alter – und bin später als gebrochener Mann entlassen worden.

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