Die strenge Kammer der Doktoren

Machtfaktor: Gegen die heimische Ärztekammer und ihre 40.773 Pflichtmitglieder traut sich kaum ein Verantwortungsträger Politik zu machen.
Die Mediziner wählen ihre Standesvertretung. Ohne die Ärztekammer geht zwischen Ordination und Spital nichts – wie bei den Beamten.

Dass der Sturm gegen die elektronische Gesundheitsakte, kurz Elga, in diesen Wochen aufbraust, war vorhersehbar: Seit Anfang März laufen die Ärztekammer-Wahlen. Start war in Tirol. Als letztes Bundesland wählt gegen Ende April Oberösterreich. In der zweiten Juni-Hälfte wird aus den neun Landeschefs der neue Präsident der Österreichischen Ärztekammer auserkoren. Fast 40.800 Mitglieder – niedergelassene Ärzte und Spitalsärzte – sind aufgerufen, ihre Vertretung zu wählen. Die Wahlbeteiligung bewegt sich bisher zwischen fast 49 Prozent (Wien, Niederösterreich) und 64 Prozent im Burgenland.

Die Macht der Ärztekammer als Spieler und Verhandlungspartner im Gesundheitssystem, mit dem Konsens erzielt werden muss, ist groß. Fast jeder Politiker scheut davor zurück, sich mit ihr anzulegen.

Mögen sich die Wogen gegen Elga nach den Wahlen auch wieder glätten: Pessimisten halten das neue System, das mehr Qualität und Fortschritte für Behandlungsverläufe etwa durch das Verhindern von Doppel-Befundungen bringen soll, schon für tot. SPÖ-Gesundheitsminister Alois Stöger hält an dem Projekt fest. Trotz der Wahlen gebe es Kontakte zu Funktionären der Ärztekammer. Stöger will das Gesetz vor dem Sommer durchs Parlament bringen.

Patient

Die Ärztekammer schießt gegen den elektronischen Gesundheitsakt besonders scharf. Eine aggressive Plakatkampagne mit dem Sujet nackter Menschen, soll aufrütteln. Die Botschaft: Elga bringt den gläsernen Patienten. Zeitgleich wurden Studien präsentiert, wonach das nur neue Kosten verursache, aber keinen Nutzen bringe.

Politiker fürchten nur zu oft, dass die Ärztekammer gegen geplante Reformen über die Versicherten mobil macht, was sich letztendlich bei Wahlen rächen könnte. Dass es ihr aber wirklich nur um die Patienten geht, sprechen Insider der Standesvertretung in vielen Fällen ab. Es gehe eher um das Absichern von Einkommen und um das Verhindern von Transparenz – lautet der Tenor fachkundiger Insider. "Im Blockieren von Reformen ist die Beamtengewerkschaft der Ärztekammer nur um eine Stupsnasenlänge voraus", urteilt ein Vertreter des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger.

Der Gesundheitssprecher der Grünen und selbst Arzt, Kurt Grünewald, sagt es freundlicher: "Eine gute Standesvertretung zu haben, ist legitim und gut. Bei der Ärzteausbildung sind sie auch sehr bemüht. Dass aber die Ärztekammer immer von Patienten spricht und sagt, wir sind nicht der Finanzminister ,Geld darf keine Rolle spielen", gehört nicht zu den glücklichen Positionen."

Kontrolle

Auch unabhängige Experten, die öffentlich nicht als Kritiker der Standesvertretung auftreten wollen, zweifeln an den Argumenten, die Kammer habe stets das Wohl der Patienten im Sinn. Einer davon befundet: "Die Ärztekammer ist die Standesvertretung für die Ärzte und deren Berufsvertretung. Sie haben die Zulassung der Ärzte und die Qualitätssicherung über. Als Standesvertretung müsste sie an Elga interessiert sein, weil es im Interesse der Patienten mehr Qualität brächte. Aber als Berufsvertretung wehrt sie sich gegen die Transparenz und auch gegen ein Mehr an Kostenkontrolle, die Elga bringen würde. An diesem Beispiel zeigt sich der Interessenskonflikt der Ärztekammer und Elga ist kein Einzelfall."

Andrea Kdolsky, frühere ÖVP-Gesundheitsministerin und Ärztin, löste durch ihre Reformansätze 2008 einen Sturm der Entrüstung seitens der Kammer und sogar Streiks aus. Sie wollte unter anderem mehr staatliche Aufsicht in die Qualitätssicherung bringen – und scheiterte.

Ihre Kritik an der Standesvertretung ist hart: Die Ärztekammer sei für ihre Pflichtmitglieder zu wenig Serviceorganisation. Vielen Funktionären ginge es nur um Macht und interne Schlagabtäusche. Die Kammer werde in Reformpläne der Politik zu früh eingebunden.

Kdolsky: "Es ist Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen vorzugeben." Wie die Strukturen auszusehen haben, müssten Experten erarbeiten. Kdolskys Resümee: "Wenn du einen Sumpf trockenlegen willst, dann frage nicht die Frösche."

Ärztekammer: Viele Aufgaben

Aufbau 9 Länderkammern, eine bundesweite. Aufgaben Führen der Ärzteliste, verleihen der Berechtigung zur unselbstständigen, selbstständigen und eigenverantwortlichen ärztlichen Berufsausübung; Durchführen der Arztprüfung; Organisieren der Fortbildung; Verträge mit Sozialversicherung und privaten Versicherern; Qualitätssicherung der Praxen; Erarbeitung von Konzepten, Programmen, Gutachten und Vorschlägen zum österreichischen Gesundheitswesen; Mitglieder Derzeit 40.773 Pflichtmitglieder; Aufwand Laut Branchenmagazin "Der Kassenarzt" gab der Apparat 2011 rund 50 Millionen Euro aus.

Die strenge Kammer der Doktoren

Symbolbild.

Ärztekammer-Sprecher: "Wir sind die Betroffenen" Artur Wechselberger ist der Chef der Tiroler Ärztekammer und Vize-Präsident der Österreichischen Kammer.

KURIER: Sobald es um Reformen geht, schreit die Ärztekammer auf. Warum? Artur Wechselberger:Wir sind die Betroffenen, wenn es darum geht, Medizin auszuüben. Oft will die Politik an einem Rädchen drehen, bedenkt aber die Folgen für das Ganze nicht mit. Das tun dann wir.

Der Kammer wird vorgeworfen, Interessen der Patienten zum Zweck eigener Interessen vorzuschieben. Es gibt Dinge, die nicht zum Nutzen der Patienten sind. Wir kennen das System und die Risikopotenziale für die Versorgung. Wir können das besser artikulieren als die Bevölkerung. Bei der einen oder anderen Sache geht es sicher auch um die Frage der Einkommen.

Warum der Kampf gegen Elga? Wir sind nicht gegen neue Sicherheitsstandards. Aber was die Politik plant, macht den jetzigen elektronischen Austausch von Dokumenten, der gut funktioniert, unbrauchbar. Elga wäre nicht praktikabel.

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