Die Sorgen der Österreicher

Die Sorgen der Österreicher
Neue Milieu-Studie: Seit 2001 ist viel passiert. Terror-Anschläge, Wirtschaftskrisen und ein höheres Arbeitstempo lassen viele bangen
Von Uwe Mauch

Auch der Robert hat sich umstellen müssen. Der Robert ist Zahnarzt in der Wiener Innenstadt und lebt wie schon sein Vater nicht nur, aber vor allem von der guten Lage seiner Ordination. Im Jahr 2001 war der Herr Doktor noch ein moderner Performer.

Die Sozialforscher haben ihn jetzt auf Performer kastriert. Was das weniger gespreizt, dafür konkret bedeutet? Auch der Robert ist zehn Jahre älter geworden. Hat jetzt Familie. Hat daher seinen 911er-Porsche gegen einen Treibstofffresser namens Cayenne getauscht.

"Die Welt hat sich seit 9/11 verändert. Auch in Österreich hat man darauf reagiert", erklärt Bertram Barth, Geschäftsführer des Integral Markt- und Meinungsforschungsinstituts. Barth hat am Mittwoch in Wien die aktuelle Sinus-Milieu®-Studie für Österreich präsentiert. Diese will einen Eindruck der Wertorientierungen und Lebenseinstellungen der Österreicher vermitteln. Unterm Strich: viel Theorie, viele Prozentzahlen und zehn als Blasen dargestellte Milieus in einem Diagramm.

Wenig zu lachen

Die Erika arbeitet indes noch immer beim Bipa. Und sie träumt immer noch von einem besseren Leben. Insofern hat sich bei ihr wenig verändert. Die Sinus-Milieu®-Forscher zählen sie weiterhin zur konsumorientierten Basis im untersten Drittel ihres Diagramms. De facto hat sie ihr Ziel nicht erreicht. Hingegen hat sich ihr Abstand zur Armutsgrenze verringert. Und auch ihre Sorgenfalten sind tiefer geworden.
Es wird der Erika vielleicht wenig helfen. Aber sie ist, so Studienautor Barth, mit ihren Zukunftsängsten keineswegs alleine.

Auch die Menschen in der Bürgerlichen Mitte , die Traditionellen und selbst die Hedonisten haben im Moment weniger zu lachen als noch vor zehn Jahren. Viele Österreicher wären derzeit mit dem sogenannten "Regrounding" beschäftigt. Man kann dies natürlich auch auf Deutsch sagen. Barth: "Sie versuchen, wieder Boden unter ihren Füßen zu bekommen. Nach den 1990er-Jahren, in denen für viele vieles noch machbar schien."

In Wahrheit sagt uns der Sinus-Milieu®-Statistiker wenig Neues: Die Angst vor der großen Krise, die Angst um den eigenen Arbeitsplatz, auch die Angst, ob man mit dem Tempo der Digitalisierung Schritt halten kann - das alles hat Spuren hinterlassen. Und bei Weitem nicht alle können sich beim Porsche-Verkäufer ihres Vertrauens ordentlich ausweinen.

Neu ist auch die Marlene. Die gab es vor zehn Jahren weder materiell (sie ist Jahrgang 2002) noch als Milieu. Sie passt trotz oder gerade wegen ihrer jugendlichen Unbekümmertheit zu den digitalen Individualisten.

Ist auf Facebook, wie ihre Alten früher bei der Jungschar waren. Weiß das Internet aber auch für ihre schulische Karriere zu nützen - im Gegensatz zu ihrem Cousin, dem Toni. Der ist ein Hedonist der neuen Schule - und der Sohn der Bipa-Verkäuferin. Der Toni will im Netz und im Leben einfach nur Spaß haben. Weil das Gejammere der Erwachsenen kann er einfach nicht mehr hören.

Keine Bauern

Von der Österreich-Karte verschwunden sind die, die manche Wiener mit breiter Brust als "Bauernschädeln" abtun. Zu Unrecht! Nicht einmal die hintersten Alpentäler und den äußersten Seewinkel hat die Globalisierung verschont. Der Sinus-Mann sagt so: "Das Ländliche Milieu geht in den Traditionellen auf."

Bleiben neben der Feststellung, dass die Konservativen in diesem Land resistenter sind als anderswo, nur noch die Adaptiv Pragmatischen. Die sind so wie Marlene auch neu. Haben sich angeblich von der Bürgerlichen Mitte abgespalten und ein Eigenleben entwickelt. Haben die Zeichen der Zeit erkannt. Fürchten sich zwar auch davor, dass Europa mit Griechenland den Bach runter geht, aber nur zwischendurch - auf dem Weg vom gepflegten Eigenheim in einem der Speckgürtel des Landes ins Kino oder nach dem sinngebenden Heimwerken bzw. PC-Spielen.

Und bitte! Werfen Sie dem Herrn Sinus-Milieu®-Forscher niemals vor, dass er mit Klischees arbeitet. Für ihn sind das Idealtypen.

Milieubedingt: Die Folgen der 00er-Jahre

Verbreitung Die Sinus-Milieu®-Studien verdanken wir unseren deutschen Nachbarn. Seit dem Jahr 1979 werden sie erhoben, heute gibt es vergleichbare
Daten aus 18 Ländern weltweit, unter anderem auch aus China.

Definition Die Sinus-Milieus® sollen Gruppen von Menschen zusammenfassen, die sich in ihrer Lebensauffassung und
ihrer Lebensweise ähneln.

Zehn Milieus Österreich wird seit dem Jahr 2001 filetiert. Die aktuelle Studie, in die 30.000 Interviews Eingang fanden, zeigt in erster Linie die Folgen der 2000er-Jahre. Insgesamt
wurden zehn teilweise überlappende Milieus konstatiert.

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