Die braune Szene wird unsichtbar
Justiz und Innenministerium verweisen derzeit stolz auf die Erfolge im Kampf gegen die Neonazi-Szene. Am Montag steht auch mit Gottfried Küssel die Galionsfigur des rechten Randes vor Gericht. In Graz stellt sich Küssels Bruder im Geiste, Franz Radl, einem Prozess wegen NS-Wiederbetätigung.
Welche Gefahr von der braunen Szene ausgeht, wurde nach den Attentaten eines rechten Fanatikers in Norwegen, einer Mordserie in Deutschland mit neun Opfern und durch das geplante Verbot der Schlägerpartei NPD auch in Österreich diskutiert. Auch hierzulande forderte rechte Gewalt bereits Todesopfer: So starben 1995 vier Roma in Oberwart durch einen Bombenanschlag. Im Vorjahr tötete in OÖ Johann N. seinen rumänischen Nachbarn aus Fremdenhass. Die Liste ließe sich fortsetzen.
„Die Situation ist brandgefährlich", sagt Robert Eiter vom Mauthausen-Komitee. In Zahlen: Im Vergleich zum Jahr 2006 haben sich die Anzeigen wegen rechtsradikal motivierter Delikte verdoppelt. „Das Thema wird von der Politik und den Sicherheitsbehörden schöngeredet", sagt er. Laut Verfassungsschutzbericht 2011 stellt der „Rechtsextremismus" für den Staat „keine ernsthafte Gefahr" dar, heißt es knapp. Die Anzeigen stiegen von 2009 bis 2010 um fast ein Drittel auf 1040.
Die Zahlen lassen zweierlei Schlüsse zu: Es gibt mehr einschlägige Straftaten, wie etwa Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) folgert. Oder man folgt der Lesart der Polizei, wonach mehr angezeigt werde und dies auch ein Erfolg der Exekutive sei.
Die Kriminalstatistik verrät wenig über die braune Szene. Peham trennt das neonazistische vom rechtsradikalen Spektrum. Ersteres stehe außerhalb der Verfassung, sei klar gewaltbereit und propagiere offen völkisches Gedankengut. Österreichweit gebe es einen Kader aus 500 bis 700 Personen. Sie seien keine Gefahr für den Staat, aber durchaus für den Einzelnen, sagt Peham.
Erlebniswelt
Rechtsextremismus entsteht hingegen bereits im legalen Vorfeld, sei in der Rhetorik zurückhaltender, habe aber eine breitere Basis. Peham geht von einem Näherungswert von 15 Prozent der Bevölkerung aus, die solche Gesinnungen unterstützen. Jüngste Trends zeigen, dass der Rechtsextremismus wandelbar ist. Von Stichworten wie „Erlebniswelt Rechtsextremismus" ist die Rede. „Man geht bewusst in bestehende Subkulturen und gibt sich poppig oder rebellisch", erklärt er. Die Szene diversifiziere sich. So docken Rechtsextreme vermehrt bei Globalisierungskritikern an.
Überdies registrieren Verfassungsschützer einen Generationenwechsel. Zwar seien die Neonazis der 80er-Jahre noch einflussreich. Kellernazis wie Küssel tun sich aber schwer, selbst Nachwuchs zu rekrutieren. Ein indirekter Versuch war die Gründung des Bundes Freier Jugend. Szene-Hotspots sind Wien, Graz, OÖ, Wr. Neustadt und Vorarlberg. Ein Evergreen bleiben laut Peham Burschenschaften, die eine Scharnierfunktion zur Neonazi-Szene innehaben.
Untergrund
Der Generationenwechsel bringt auch eine neue Organisationsstruktur. „Das Phänomen wird weniger sichtbar", sagt Karl-Heinz Grundböck vom Innenministerium. Immer öfter agieren Anhänger im Untergrund. „Das macht die Verfolgung schwieriger", sagt er. Das wichtigste Medium zur Radikalisierung und Mobilisierung sei das Internet.
Eiter und Peham haben auch die Blauen im Visier. „Im Kern ist die FPÖ rechtsextrem", sagt Eiter. Wobei dies weder für alle Funktionäre noch für die Wähler gelte. Als ein Indiz wertet Peham das Programm, in dem sich die Partei wieder zur deutschen Volksgemeinschaft bekennt. Oder die Kontakte einiger Funktionäre ins einschlägige Milieu.
FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky weist dies scharf zurück: „Das Bekenntnis zur deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft hat nicht das geringste mit Extremismus zu tun!" Im Programm gebe es ein klares Bekenntnis zu den Volksgruppen. Strittig bleibt es, ob es einen eigenen Rechtsextremismus-Bericht braucht, wie ihn Eiter und Peham fordern. Einen solchen gab es bis zum Jahr 2002. Im Innenministerium winkt man ab: Es gebe dafür ein Kapitel im Verfassungsschutzbericht.
Pseudoparteien: Rechts und extrem
Im rechten Spektrum agieren mehrere Pseudoparteien: Etwa die Nationale Volkspartei, die Arbeitsgemeinschaft für Demokratische Politik (AFP), oder der Bund Freier Jugend (BFJ). Letztere ging aus der 1973 gegründeten AFP als Jugendorganisation hervor. Der BFJ gilt als derzeit umtriebigste Neonazi-Organisation und hat sein Tätigkeitsfeld in OÖ. In der Öffentlichkeit präsentiert sich der BFJ als harmloser Jugendverein. Ziel ist der Erhalt rechtsextremen Gedankenguts.
Kommentare