Der deutsche Da-Vinci-Code

Ein entschlüsseltes Aufnahmeritual aus dem 18. Jahrhundert gibt Einblick in die mysteriöse Welt der Geheimbünde.

Dieser Artikel ist journalistisch grenzwertig - alles, was man an Know-how über Geheimbünde zusammentragen kann, besteht zwar zum größeren Teil aus überprüfbaren Fakten, ein Quäntchen Ungewissheit bleibt aber. Betrachten wir zunächst das, was fest steht. Der Codex Copiale ist ein Code, der zwischen 1760 und 1780 entstand, und die Aufnahmezeremonie in einen Geheimbund regelt. Er existiert wirklich. Seine 105 eng beschriebenen Seiten mit 75.000 Zeichen aus lateinischen und griechischen Lettern, Fantasiesymbolen und eingestreuten Akzenten, ohne Leerzeichen zwischen den Wörtern, wurde von zwei Universitäts-Teams in Kalifornien und Schweden entschlüsselt.

Das Ergebnis: Bei dem Prachtband in gold-grünem Brokat handelt es sich um einen deutschen Text, in dem das zeremonielle Aufnahmeritual en detail beschrieben wird. Die Art des Rituals zeigt eine Verbindung zur Augenheilkunde.

Textprobe gefällig? Dieser (ein Ordensbruder, Anm.) führet ihn hierauf zu eineN nebeNtisch worauf nebst vieleN lichtern mancherley instrumenta auch brilleN perspectiveN microscopia ein tuch und ein glas wasser sich befindeN (Original-Transkription des Textes). Bei der Decodierung stellte sich heraus, dass die lateinischen und griechischen Zeichen nur Verwirrung stiften sollten. Der Verfasser packte seine Geheimbotschaft in abstrakte Symbole. Erst die Analyse, welche dieser Zeichen häufiger auftraten und nebeneinander lagen, brachte schließlich die Gewissheit, dass es sich um einen deutschen Text handelte.

Einige Buchstaben wie das häufige "e" wurden dabei durch verschiedene Symbole dargestellt, während andere wieder für Buchstabenfolgen wie die im Deutschen ebenfalls häufigen "sch", "st" und "ch" standen. Auch Umlaute hatten eigene Symbole.

"Wenn man die Sprache kennt, ist man schon ein gutes Stück weiter, weil jede semantische Eigenheiten aufweist", sagt Kryptographie-Experte Otmar Moritsch.
"Candidaten" auf Neuaufnahme in den unbekannten Geheimbund mussten unter anderem einen Text von einem leeren Blatt Papier lesen. Antwortete der Mann, dass er nichts sehe, wurde ihm eine Brille aufgesetzt und seine Augen ausgewaschen. Konnte er immer noch nichts erkennen, vermeldet er dass man zur operation schreiteN müsse . Dabei wurde ihm ein Haar aus den Augenbrauen gezupft. Anschließend musste der Anwärter eine Stillschweigens-Formel nachsprechen: ich n ... n ... verspreche so gewiss als mir meine ehre lieb ist dass ich von alleN heimlichkeiteN dieser *o* und von alleN was ich geseheN gehöret und gefühlet niemals wem es auch sey und auf was für art es auch gescheheN könne etwas anders bekannt macheN will .

So weit, so sicher. Aber wo Geheimcodes auftauchen bzw. ihre Überbleibsel, blühen auch Verschwörungstheorien. "Geschichtsforscher vermuten, dass Geheimgesellschaften eine Rolle bei Revolutionen spielten, aber das muss alles noch nachgewiesen werden. Und viele der Dokumente sind verschlüsselt", sagt einer der Codeknacker, Kevin Knight von der Universität von Süd-Kalifornien.

Ritualgroßmeister

Auch bei den Freimaurern mit ihren heute noch ca. 4 Millionen Mitgliedern weltweit, sind die Aufnahmerituale eine große Show. Der "Suchende" wird in der "Dunklen Kammer" der Freimaurer mit Totenkopf, Stundenglas und Bibel allein gelassen, um sich zu besinnen. Der wirkliche Grund für viele Fantasien und Legenden, die sich um die Bedeutung von Geheimgesellschaften ranken, ist aber wohl die Verschwiegenheit der Männerbünde. "Niemand soll und wird es schauen, was einander wir vertraut, denn auf Schweigen und Vertrauen ist der Tempel aufgebaut", schrieb Johann Wolfgang Goethe 1815 in Weimar.

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