"Das würde die Regierungschefs zu Provinzfürsten degradieren"

"Das würde die Regierungschefs zu Provinzfürsten degradieren"
Europa: Eine gemeinsame Wirtschaftsregierung ist kein Tabu mehr. Die Europa-Expertin Puntscher-Riekmann erklärt, warum es sie braucht.

Europa kann nicht funktionieren ohne eine gemeinsame Wirtschaftspolitik - was in Schönwetterzeiten als graue Theorie gerne verdrängt wurde, setzt sich in der Krise als Erkenntnis langsam durch. Immer häufiger ist von Vertragsänderungen und einer europäischen Wirtschaftsregierung die Rede. Die ausgewiesene Europa-Expertin und Politik-Professorin Sonja Puntscher-Riekmann über nationale Egoismen, Österreichs nicht erkennbare EU-Politik, und warum sie trotzdem "moderat optimistisch" ist.

KURIER: Frau Professor, Staatsanleihen, die die EZB kauft, ein Hebel, der funktioniert oder auch nicht, Börsen, die keiner Prognose folgen - verstehen Sie noch alles, was da passiert in Europa?
Sonja Puntscher-Riekmann:
Auf diese Frage muss jeder bescheiden mit "Nein" antworten. Wenn "verstehen" auch "vorhersehen" impliziert, wird's noch einmal schwieriger. Aber ich glaube, ein paar Eckpfeiler einschlagen zu können.

Also gut, schlagen Sie.
Was ich verstanden habe, ist einfach: Es ist unmöglich, eine Währungsunion zu konstruieren, die keinen politischen Hintergrund hat.

Genau das ist aber geschehen.
Man hat gehofft, dass die politische Einigung, die Währungsunion und Euro stützen sollte, sich irgendwie automatisch ergeben würde. Das war nicht der Fall. Vielleicht wird es jetzt durch die Krise erzwungen. Das, was die amerikanische wirtschaftliche Situation weniger bedroht oder bedrohlich erscheinen lässt ...

... trotz der enormen Verschuldung.
... ist die Tatsache, dass es eine funktionierende Regierung gibt, die im Notfall Taten setzen kann. In Europa lassen die Regierungen so eine Handlungsfähigkeit nicht zu. Die nationalen Regierungen haben entweder nicht den Weitblick, um das einzusehen, oder fürchten ihren Machtverlust.

Sie reden einer europäischen Wirtschaftsregierung das Wort?
Ja, und die Sorge vor dem Machtverlust ist ja verständlich. Weil die Integration in ein größeres Ganzes würde die Regierungschefs tatsächlich zu Provinzfürsten degradieren. Aber sie müssen über ihren Schatten springen.

Europa hielt sich nicht einmal an die selbst auferlegten Stabilitätskriterien. Frankreich und Deutschland brachen sie als Erste.
So ist es. Die Einhaltung hätte sicherlich einiges kompensieren können. Aber die Koordination der Wirtschaftspolitiken der Mitglieder der Euro-Zone beruht darauf, dass sich die Regierungen gegenseitig kontrollieren, und das funktioniert nicht. Was ja auch psychologisch gut nachvollziehbar ist: Die sitzen alle um einen Tisch herum, und dann muss einer aufstehen und sagen, Sie Herr Berlusconi, Sie Herr Papandreou halten die Kriterien nicht ein.

Und wenn jemand wie Gerhard Schröder seinerzeit sagt, das ist mir egal ...
... dann wird keiner widersprechen. Also ist klar: Wenn es nicht eine übergeordnete Instanz gibt, die kontrolliert, warnt und am Ende auch sanktioniert, wird es nicht funktionieren.

Wie müsste diese Instanz jetzt aussehen?

Man müsste diese Kompetenzen der Europäischen Kommission geben. Die Aufteilung auf weitere Gremien wäre grober Unfug. Wir haben eine Kommission, die besser ausgestattet gehört - jede mitteleuropäische Stadt hat mehr Beamte als die Kommission zur Regierung Europas -, und wir haben ein Europäisches Parlament, das die Kontrolle garantieren würde. Das hat zwar zuletzt viele Rechte bekommen, nicht aber im Bereich der Koordinierung der Wirtschaftspolitik.

Wenn das so einfach ist, warum haben wir das nicht längst?
Einer der Gründe, warum es diese europäische Wirtschaftsregierung nicht gibt, ist neben dem befürchteten Machtverlust der Regierungen der ungeklärte ideologische Streit, wie viel Markt und wie viel Staat? Nationale Regierungen lukrieren ihre Wahlerfolge ja nicht zuletzt aus verteilungspolitischen Maßnahmen - nur die Schuld an deren Einschränkung wird dann gerne Brüssel zugeschoben, so als hätten die Regierungen das nicht im Rat mitbeschlossen. Aber der Streit, wie viel Liberalismus, wie viel wohlstandspolitische Abfederung, ist einer, der letztlich nie entschieden wurde.

Europäische Politik hängt von den Wahlkämpfen ab?
Ja, europäische Politik ist in der Geiselhaft nationaler Interessen. Denken Sie nur an das lange Zögern Angela Merkels beim ersten Rettungsschirm, bis die Wahlen in Nordrhein-Westfalen geschlagen waren.

Ist sie nicht auch in der Geiselhaft der starken EU-Granden, die keine andere Stärke zulassen wollen - siehe den schwachen EU-Präsidenten und seine Außenbeauftragte?
Sie haben recht. Europa hatte einen starken Jacques Delors mit zwei großen Europäern an seiner Seite, Helmut Kohl und François Mitterrand. Nach Delors muss es einen stillschweigenden Konsens gegeben haben: Nie wieder so eine starke Figur wie Delors. Es folgte der unglückliche Jacques Santer, der sympathische, aber nicht durchsetzungskräftige Romano Prodi und jetzt Barroso und Van Rumpoy, von Catherine Ashton nicht zu reden - ja, es ist der Versuch, diese Ebene schwach zu halten.

Wie soll es dann je eine starke europäische Wirtschaftsregierung geben?
Die Regierungschefs wissen schon auch, wo ihre Grenzen sind oder müssen es zumindest fühlen. Sie sind, global gesehen, als Repräsentanten von Einzelstaaten nicht satisfaktionsfähig. Das gilt sogar für Frau Merkel. Und sie beginnen zu verstehen, was Benjamin Franklin gesagt hat: "We either all hang together - or we will assuredly hang separately" (Entweder halten wir zusammen, oder wir hängen einzeln).

Trotzdem hatte man vor dem letzten Krisengipfel den Eindruck, dass Merkel und Sarkozy den Kurs alleine vorgaben.
Ja, die beiden bilden sich schon ein, sie könnten im Tandem die Marschrichtung vorgeben. Und in der Krisensituation jetzt war das Vormarschieren der beiden wahrscheinlich die einzig mögliche Lösung. Aber dieses Regieren im Ausnahmezustand ist auf Dauer nicht haltbar. Wenn uns diese Krise etwas lehren kann, dann das, dass wir jetzt durch eine Vertragsänderung Institutionen schaffen, die das tragen, damit wir nicht darauf angewiesen sind, dass zwei die Dinge in die Hand nehmen. Man stelle sich vor, in Deutschland regiert nicht Merkel, sondern wie damals Schröder, der den Stabilitätspakt gebrochen hat.

Jetzt macht Angela Merkel jedenfalls auffällig Druck in Richtung einer Vertragsänderung in der EU.
Ich hatte ja immer einen Verdacht: Dass Frau Merkel in Wahrheit ihre europäische Präsidentenrolle vorbereitet. Und das wäre gar nicht so schlecht, wenn jemand dieses Kalibers das in die Hand nähme.

Welche Kompetenzen sollte eine Superregierung oder ein EU-Superkommissar denn haben?
Auch so ein Superkommissar müsste ja per Gesetz regieren und nicht per Dekret. Das heißt, er hätte die Kompetenz, Gesetzesvorschläge zu machen, die dann durch das Parlament und durch den Rat müssen. Aber das würde eine Konvergenz der Wirtschaftspolitiken inkludieren, also der Fiskalpolitiken, der Sozialpolitiken bis hin zu den Bildungspolitiken. Da müsste man dann diskutieren, was kann sinnvollerweise noch Kompetenz der Mitgliedsstaaten bleiben.

Dann haben alle das gleiche Pensionsalter, die gleichen Sozialleistungen etc., wie soll das gehen?
Das ließe sich regeln, der Rat kann dann immer noch Übergangsbestimmungen für einzelne Staaten definieren, wir sind in Europa natürlich nicht alle auf einer Ebene. Aber sie hätten die ganze Debatte dann einmal auf eine andere Ebene verlagert. Aber für all das, wenn man es wirklich will, hat die Union ein viel zu geringes Budget. Ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes, das an Brüssel geht, ist lächerlich.

Also eine EU-Steuer?
Ich glaube, dass eine Steuereinhebung durch die EU eine ganz andere Identifikation der Bürger mit der EU hervorrufen würde. Man muss halt überlegen, auf welche Steuern der Nationalstaat verzichtet zugunsten von Steuern für die EU.

Die Tendenz in den Nationalstaaten geht doch eher in die andere Richtung: mehr Kompetenzen weg von Brüssel wieder zurück in die Länder.
Das stimmt schon, aber die Europäer sind da sehr ambivalent. Wenn Sie fragen, wem sie eher die Lösung der Finanz- und Wirtschaftskrise zutrauen, dann haben sie Zweidrittel- bis Dreiviertelmehrheiten, die sagen, das kann nur die EU.

Am Stammtisch haben sie Mehrheiten, die sagen, warum werfen die unser Geld den Griechen nach.
Dazu tragen, entschuldigen Sie, schon auch die Medien einiges bei und die Politiker, die sich entsprechend artikulieren. Obwohl da einige schon wieder zurückgerudert sind, nicht zuletzt aufgrund der Verflechtungen der eigenen Banken mit Griechenland. Und ich glaube, dass den Menschen diese und andere Verflechtungen nicht hinreichend bewusst sind und ihnen auch nicht hinreichend bewusst gemacht werden.

Da sind wir wieder beim Nicht-alles-Verstehen.
Alles geht ohnehin nicht. Aber das wäre auch ein Stück weit Aufgabe der Medien. Ebenso wie zum Beispiel zu erklären, dass Italien so schlecht nicht da steht, nicht schlechter als früher, und die gegenwärtige Entwicklung nur eine den Spekulationen geschuldete ist - vor denen wieder nur eine europäische Wirtschaftsregierung schützen könnte. Auch die USA ist heruntergestuft worden, aber hat das solche Auswirkungen gehabt?

Wie optimistisch sind Sie, dass es zu so einer Regierung kommt?
Moderat optimistisch. Weil wir reden über die Euro-Zone, und es gibt nicht unwichtige EU-Mitglieder außerhalb, die man für eine Gesamtveränderung der Verträge braucht. Und die Gefahr ist immer groß, dass trotz des Handlungsbedarfs durch die Krise einzelne Regierungen später wieder versuchen, das Rad zurückzudrehen und das, was allenfalls beschlossen wird, zu verwässern - das hatten wir ja schon.

Wie sehen Sie da die österreichische Europa-Politik?
Ich sehe eine Europa-Politik der österreichischen Bundesregierung nur in Ansätzen. Ich sehe keine Offensive und weiß nicht, was die Regierung will. Ich habe den Eindruck, dass es unseren Bundeskanzler nur sehr moderat interessiert, was in Europa stattfindet - er war ja schon als Mitglied des Verkehrsministerrates drei Viertel der Sitzungen nicht anwesend. Und wenn die Regierung etwas macht, dann versucht sie das weitgehend heimlich zu tun, um Heinz Christian Strache nicht in die Hände zu arbeiten, anstatt offensiv zu erklären, was notwendig ist. Das ist völliger Unfug, weil es erst recht Kritik mit den simpelsten Slogans ermöglicht.

Glauben Sie, dass diese Regierung die sein kann, die den Österreichern erklärt, dass Kompetenzen nach Brüssel wandern müssen?

Ich fürchte kaum. Österreich wird sich von anderen eher mitziehen lassen und das Ergebnis dann lauwarm verkaufen, eine "Info-Kampagne" machen. Und das ist spätestens bei einer Volksabstimmung, falls eine solche nötig wäre, zum Scheitern verurteilt.

Kommentare