Bundesheer: Deutlich mehr Beschwerden

Kleine und große Schikanen: 504 „unerfreuliche und inakzeptable Einzelfälle“ wurden der Bundesheer-Beschwerdekommission im vergangenen Jahr gemeldet
Die Zahl der Beschwerden hat deutlich zugenommen. Nur ein Fünftel war unberechtigt. Rückläufig sind Konflikte wegen Rassismus.

Der Oberst, dessen Name man nicht nennen darf, war ein eitler Kerl. Als ihn ein Grundwehrdiener bei einer Übung im Feld zuerst übersah und dann noch mit zu niedrigem Dienstgrad ansprach, platzte ihm der Kragen: "Heben Sie eine Kampfdeckung aus!"

Der Rekrut wusste nicht, wie man ein solches Loch gräbt, zudem war der Boden hart und wurzelig. Doch anstatt es dabei zu belassen, ließ der Oberst den Rekruten zwei Stunden an einer anderen Stelle weiterbuddeln – bis die Kompanie retour in die Kaserne fuhr.

Es sind Fälle wie dieser, die im vergangenen Jahr bei der parlamentarischen Bundesheerkommission (Details siehe Artikelende) gelandet sind.

Am Dienstag präsentierte der Vorsitzende Paul Kiss die Bilanz 2011, und die Zahl der Beschwerden ist mit 504 im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen (2010: 337 Beschwerden).

"78 Prozent der Beschwerden waren berechtigt", sagt Kiss. Mit anderen Worten: Was die Uniformierten gemeldet haben, hat meist Substanz. Der Vorteil der parlamentarischen Kommission: Sie kann Anfragen diskret prüfen (im Vorjahr gab es 3421 Anfragen, nur 504 Fälle waren echte Beschwerden); und sie steht außerhalb der Hierarchie, sprich des Dienstweges.

Dumm wie Bodenfliesen

39 Causen hatten direkt mit Beschimpfungen zu tun. Da ließen sich Ausbildner zu verbalen Ausritten wie "Du hast einen Intelligenzquotienten wie eine Bodenfliese!", "Ich werd’ euch wetzen, bis ihr Blut speibt!", "Wer sudert, wird pudert" oder "Ich bin hier der Diktator, ich entscheide" hinreißen. "Unerfreuliche und inakzeptable Einzelfälle", nennt Kommissionsvorsitzender Kiss derartige Ausfälle – wie auch jenen Fall, bei dem die Verpackung eines Schokoriegels einen Ausbildner schwer überforderte: Ein Rekrut hatte die Toiletten als sauber gemeldet, doch weil in einer Muschel das Zellophan eines Schokoriegels schwamm, das auch beim zweiten Spülversuch nicht verschwinden wollte, griff der Ausbildner extrem hart durch: Der Rekrut musste die kompletten Mannschaftstoiletten ein zweites Mal säubern. Und damit der gesamte Zug etwas "lernt", ließ der überforderte Ausbildner die Soldaten das schwerste Marschgepäck packen und vergatterte sie, einen naheliegenden Hügel so lange auf- und ab zu laufen, bis die neuerliche Reinigung "erfolgreich" abgeschlossen war – die unzulässige Kollektivstrafe dauerte eine Dreiviertelstunde.

Unter "mangelnder Fürsorge" firmiert der Fall von Sanitätsgehilfen, die als Grundwehrdiener 65 Stunden pro Woche in einem Militärspital arbeiten mussten.

Den größten Teil der Beschwerden (48 Prozent) machen eher unspektakuläre Fälle aus, nämlich: Personalangelegenheiten.

"Hier geht es um Karrierewünsche, die sich nicht erfüllt haben. Oder um Soldaten, die das Schließen von Standorten dazu zwingt, viel weitere Wege zum Arbeitsplatz zurückzulegen", erklärt Kiss.

Zugenommen hat die Zahl der Beschwerden von Soldatinnen – von drei auf 15. Zumeist handelt es sich aber auch hier um personelle Angelegenheiten.

Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die Zahl der rassistischen oder fremdenfeindlicher Beschwerden und Übergriffe im Heer verschwindend gering ist.

So ist zwar ist der Fall eines ägyptisch-stämmigen Soldaten dokumentiert, der von seinem Vorgesetzten als "Kameltreiber" beschimpft wurde. "Im Unterschied zur Gesellschaft gibt es im Bundesheer aber kaum Probleme mit Rassismus", sagt Kiss. "Hier ist Integration nachweislich lebbar."

Kommission: 3421 Anfragen pro Jahr

Beschwerden Seit 1955 können sich Stellungspflichtige und Soldaten (Grundwehrdiener, Berufssoldaten) an die parlamentarische Bundesheer-Kommission wenden, um Missstände aller Art (Schikanen, Mängel bei Ausbildung, Unterkünften, etc.) zu melden. Die Kommission ist (wie der Rechnungshof oder die Volksanwaltschaft) ein Kontroll-Organ, sie arbeitet vertraulich und außerhalb der militärischen Hierarchie. Sie kann nicht sanktionieren, sondern nur Empfehlungen an das Ministerium abgeben – meist aber mit Erfolg.

Zahlen Im Vorjahr gab es insgesamt 3421 Anfragen an die Kommission, in 504 Fällen wurden auch Beschwerdeverfahren eingeleitet, 78 Prozent der Beschwerden waren nachweislich berechtigt. Als Beschwerde-Führer treten mehrheitlich Unteroffiziere auf (46 Prozent), Rekruten, sprich Grundwehrdiener sind nur für 17 Prozent der Beschwerden verantwortlich. Die meisten Beschwerden (48 Prozent) betrafen Personalangelegenheiten, sprich: Soldaten sind mit Sold, Dienstzeiten, Dienstort, etc. unzufrieden.

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