Betteln in Salzburg: Zwischen Mitleid und Abscheu
Schritt für Schritt schiebt er seine verkrüppelten Beine durch die Getreidegasse; mit dem rechten Arm stützt er sich auf die viel zu kleine Krücke, mit der linken Hand streckt er Passanten einen Kaffeebecher entgegen, in dem ein paar Cent-Münzen scheppern.
Er sagt, er heiße Marin und sei 25 Jahre alt. Bei einem Autounfall in seinem Heimatort Pitesti in Rumänien seien seine Beine zerquetscht worden. Jetzt schlafe er nachts beim Bahnhof und bettle tagsüber für sich und die beiden Kinder.
Die Blicke, die ihn treffen, sind teils mitleidig, teils voller Abscheu. "Rumänischer Systembettler", zischelt ein Passant beim Vorbeigehen.
Stimmen wie diese hört man in Salzburg immer öfter – gerade jetzt zur Festspielzeit. In der Stadt, in der alljährlich der "Jedermann" seiner Geldgier und Habsucht abschwört, war Betteln seit den Siebzigerjahren verboten. Ende Juni hob der Verfassungsgerichtshof das 33 Jahre alte Gesetz auf: Es verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Ein 39-jähriger Roma hatte – finanziert von der Vinzenzgemeinschaft – Beschwerde gegen das absolute Bettelverbot eingebracht.
Clans
Seitdem ziehen immer mehr Bettler, Zeitungsverkäufer und Straßenmusiker durch die Gassen. "Da sind ganze Clans unterwegs", erzählt eine Verkäuferin des Schuhgeschäfts Denkstein. Ihr persönlich tun die Bettler leid. "Es sind immer die Gleichen, die morgens in der City ausgesetzt werden." Ärgerlich sei, wenn sie sich vor den Auslagen niederließen. "Vorige Woche hat einer mitten vor dem Geschäft auf der Straße geschlafen." Ein Wachmann habe den Bettler dann weggebracht.
Hundert Meter weiter empört sich Monika Stöckl, Filialleiterin im Modehaus Hämmerle, über die Zunahme der ausländischen Bettler. "Sie sind überall. Auf dem Weg zur Arbeit bin ich an fünf Bettlern vorbei. Das ist zu viel." Die Befürchtung mancher Kollegen, dass die Bettler Kunden abschrecken, teilt Stöckl nicht. "Geschäftsschädigend sind sie nicht. Aber sie sind nicht gut für das Altstadtbild. Und die Straßenmusiker belästigen mit ihrem Geschrei meine Kunden und Mitarbeiter."
Behinderung
Vis-à-vis hat Josef Platz genommen und zeigt das, was von seinen beiden Beinen noch übrig ist. "Autounfall", sagt der 61-jährige Slowake. Markus Eckschlager drückt ihm 5 Euro in die Hand. "Von mir kriegt der Josef immer was", sagt er. "Er ist angenehm und nicht aufdringlich – im Gegensatz zu denen, die mit ihren Behinderungen durch die Stadt laufen."
Genau diese Behinderungen zweifelt Geschäftsmann Michael Wanger, der in der Getreidegasse exklusive Herrenmode verkauft, an. "Diese Gauner täuschen Krankheiten vor", sagt er. "Einmal sind sie links behindert, am nächsten Tag rechts." Immer wieder habe er Bettler beobachtet und fotografiert. "Das ist Betrug und die Polizei unternimmt nichts ", beklagt Wanger.
"Wir können nicht jedem Bettler einen Polizisten hinterherschicken, der kontrolliert, ob er behindert ist", kontert Stadtpolizeikommandant Manfred Lindenthaler. Gegen das Betteln alleine könne man nicht mehr vorgehen, dafür fehle die Rechtsgrundlage. "Entweder die Politik schafft ein neues Gesetz oder die Gesellschaft gewöhnt sich an die Bettler."
Neues Gesetz: Es drohen hohe Strafen
Der Verfassungsgerichtshof erklärte Salzburgs Bettelverbot im Juni 2012 für verfassungswidrig. Im Auftrag von LH Gabi Burgstaller wurde im August eine Neuregelung vorgelegt. Die Begutachtungsfrist endet am 7. September.
Bis zu 10.000 Euro Im neuen Gesetz soll aufdringliches oder aggressives Betteln mit einer Strafe bis zu 500 Euro belegt werden. Zudem droht der Verlust des erbettelten Geldes. Das Vortäuschen von Krankheit oder Behinderung kann als aufdringlich gewertet werden. Wer ein minderjähriges Kind beim Betteln dabei hat, muss ebenfalls bis zu 500 Euro Strafe zahlen. Wer andere Menschen zum Betteln anstiftet oder Bettelei organisiert, könnte mit einer Pönale von bis zu 10.000 Euro belangt werden.
Nachgefragt: Stören Sie die Bettler in Salzburgs Altstadt?
Inga Horny, Geschäftsführerin Altstadtverband: "Seit Aufhebung des Bettelverbotes sind viel mehr Bettler da. Ich kann und will sie nicht vertreiben. In einer Wohlstandsgesellschaft muss man Randgruppen helfen. Aber man muss unterscheiden zwischen den echten Bettlern und jenen, die eine Behinderung vortäuschen. Ich fordere die Polizei auf, stärker zu kontrollieren."
Heinz Schaden, Bürgermeister: „Ich habe nichts gegen Straßenmusiker, aber es dreht sich mein Magen um, wenn ich auffällig verkrüppelnde Menschen sehe; oder die Frau, die mit dem Kleinkind bettelt. Da muss die Polizei durchgreifen. Und ich bitte die Leute: Gebt ihnen kein Geld, nur Essen. Wenn man den Clans die wirtschaftliche Basis entzieht, ist der Spuk bald vorbei.“
Edda Böhm-Ingram, Caritas: „Wir von der Caritas unterscheiden nicht zwischen bettelnden Inländern und Ausländern, sondern für uns sind es Menschen in Not. Daher sind wir froh, dass das absolute Bettelverbot gekippt wurde. Was wir nicht tolerieren, ist Betteln mit Kindern und aggressives Betteln. Dass organisierte Banden am Werk sind, können wir nicht bestätigen.“
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