Belgien: 8000 Risse im Reaktor

Belgien: 8000 Risse im Reaktor
AKW-Alarm: Belgien hat zwei Atomreaktoren abgeschaltet – und andere Länder gewarnt, in denen es baugleiche Typen gibt.

Atom-Alarm in Belgien: Nach der Entdeckung von Materialschäden sind zwei Reaktoren abgeschaltet worden. Betroffen sind das AKW Doel bei Antwerpen und das AKW Tihange in der Nähe von Lüttich. Eric van Walle vom belgischen Studienzentrum für Kernenergie warnt: "Sämtliche Reaktoren in Doel und Tihange sind ein Risiko."

Im Kernkraftwerk Doel wurden an Block 3 rund 8000 kleine Risse in der Stahlhülle des Reaktorbehälters entdeckt; der Reaktor wurde vom Netz genommen. "Im Prinzip ist ein kleiner Riss nicht gefährlich, aber unserem Wissen nach sind in Doel 3 zu viele kleine Risse", sagte der Chef der Atomaufsicht, Willy De Roovere.

Beruhigung und Warnung

Einerseits beschwichtigen die belgischen Behörden: Es bestehe keine Gefahr – es könne keine Radioaktivität freigesetzt werden, weil die bis zu zwei Zentimeter langen Risse nur oberflächlich seien, heißt es. Darüber hinaus sei der Brennstoff aus dem Reaktor entfernt worden. Andererseits warnt Belgien alle Länder, in denen es baugleiche Typen gibt: Es handle sich um einen Materialfehler, der bei allen derartigen Reaktorbehältern auftreten könne. In den Reaktorbehältern befinden sich die nuklearen Brennstäbe.

"In Wahrheit können alle Reaktoren dieser Generation – auf der ganzen Welt – Anomalien aufweisen", sagt auch Eric van Walle. Das liege an den Materialien, die in den 70er-Jahren verwendet wurden, so van Walle. Aus dieser Zeit stammen die betreffenden Reaktorbehälter.

Weil die Herstellerfirma – die niederländische RDM – nicht mehr existiert, lässt sich nur mühsam nachvollziehen, wohin die baugleichen Reaktortypen geliefert wurden. Weltweit gibt es 22 RDM-Reaktorbehälter , mehr als die Hälfte in den USA. Die übrigen befinden sich in Europa. RDM stattete auch deutsche AKW aus. Die heute noch in Betrieb befindlichen AKW verfügen aber nicht über RDM-Konstruktionen. Le Monde berichtete, dass RDM-Reaktorbeälter nach Deutschland, Spanien, die Niederlande und in die Schweiz geliefert wurden. Die Sprecherin der belgischen Nuklearsicherheitsbehörde AFCN, Karina De Beule, bestätigte dies nicht: "Wir wissen nicht, welche Kunden es gab. Wir haben alle anderen Atomaufsichtsbehörden informiert und gebeten zu prüfen, ob in ihrem Land ebenfalls ein solcher Reaktorbehälter existiert."

Leckes Abklingbecken

Sicher ist, dass ein baugleicher Reaktor im AKW Tihange bei Lüttich steht. Hier wird noch überprüft, ob der Reaktorbehälter rissig ist. Vor zwei Wochen war Block 2 in Tihange – zeitgleich mit Block 3 in Doel – vom Netz genommen worden. Probleme gibt es in Tihange jedenfalls mit einem Abklingbecken: Schon seit längerer Zeit soll aufgrund von Mikrorissen radioaktives Wasser entweichen. Dieses Wasser müsse dann aufgefangen werden, berichteten deutsche Medien. Die Behörden in Nordrhein-Westfalen fordern von Belgien Aufklärung, denn Tihange liegt nur 80 Kilometer von der Grenze entfernt.

Die drei zu Tihange und vier zu Doel gehörenden Reaktorblöcke bilden Belgiens einzige Atomkraftwerke. Die AFCN bezweifelt, dass der Reaktor 3 je wieder ans Netz geht, da eine Reparatur "nahezu unmöglich" sei.

Materialfehler fielen bei Stresstests nicht auf

Der Riss in der Stahlkonstruktion von Reaktor 3 im AKW Doel wurde bei Wartungsarbeiten entdeckt – im Zuge der europäischen AKW-Stresstests war er nicht aufgefallen. Die AKW wurden dabei lediglich auf ihre Sicherheit hinsichtlich Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Hochwasser überprüft. Materialabnutzung wichtiger Teile und interne Vorfälle wie menschliches Versagen oder Brände wurden ebenso wenig untersucht wie die Sicherheit bei Terroranschlägen.

Ein Endergebnis der Stresstests für die 143 Atomkraftwerke in der EU wird im Oktober vorliegen. Österreich hatte im April als einziges EU-Land dem Zwischenbericht nicht zugestimmt, sondern sich der Stimme enthalten. Umweltminister Berlakovich kritisierte damals, im Bericht fehle eine Bewertung der einzelnen AKW‚ ihrer Mängel und Probleme. Umweltorganisationen hatten die nach der Atomkatastrophe von Fukushima beschlossenen Stresstests als zu lasch und als "Farce" bezeichnet.

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