Begegnung mit dem Tod am Berg
Im Juli 1999 steht der Linzer Alpinist Edi Koblmüller am Gipfel des Broad Peak (8047 Meter) im Karakorum-Gebirge. Es ist der fünfte Achttausender für den heute 65-jährigen Bergführer. Die Stimmung in den folgenden Tagen ist gut. Vier Mann, darunter der jüngere Sohn Koblmüllers, waren am Gipfel. Im Basislager herrscht die zufriedene Erschöpftheit nach einem Bergerfolg. Bis aus dem Zelt einer Nachbarexpedition die Nachricht kommt, für Koblmüller sei eine Meldung gekommen.
"Ich bin ahnungslos hinunter und schau mir dieses eMail von unserer Agentur in Islamabad an. Da ist nicht Lawine gestanden, sondern Erdrutsch. Momentan habe ich mich nicht ausgekannt, aber dann war mir klar, was das heißt."
Sein älterer Sohn Michael, damals 25 und Führer einer Expedition auf den 7266 Meter Hohen Diran im gleichen Gebirge, galt da bereits seit drei Tagen als vermisst. Im Aufstieg weggefegt von einem gigantischen Schneebrett, ein Meter hoch im Anriss, 300 Meter breit. Die Lawine donnerte 1000 Meter in die Tiefe, riss Michael und einen Salzburger mit, spuckte eine dritte Bergsteigerin nach 300 Metern aus. Die Frau überlebte, die Suche nach den zwei Männern blieb ohne Erfolg.
Der Verlust des Sohnes ist nicht Koblmüllers erste Begegnung mit dem Tod - und auch nicht seine letzte. Wer den Berg liebt und wer wie der Linzer vom Berg lebt, wird irgendwann mit dem Thema konfrontiert.
Das weiß auch Koblmüller: Wo Menschen an Grenzen gehen, besteht die Möglichkeit, das Ende des Tages einmal nicht zu erleben. "Auch ich habe am Berg Fehler gemacht, auch offenbar viel Glück gehabt. Auf dieses Glück habe ich mich oft instinktiv verlassen. Bis zur Katastrophe."
Nach dem Unglück am Diran quälen Gedanken. Gedanken, die Koblmüller lieber verdrängt. Dass Michael tagelang verletzt gelebt haben könnte, gefangen zwischen den Eiswänden einer Gletscherspalte. Dass ihm langsam das Leben entglitt, während er auf Hilfe hoffte.
Rational ist das nicht. "Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass er verschüttet wurde und vielleicht noch einige Minuten bei Bewusstsein war."
Verarbeitung
Die Zeit heilt Wunden, heißt es. Narben bleiben. "Seit elf Jahren ist mit wenigen Ausnahmen kein Tag vergangen, an dem ich nicht irgendwann einmal an ihn gedacht habe." Auch weil Michael der logische Nachfolger in Koblmüllers Firma war, der "Bergspechte" in Linz. Er hatte zum Zeitpunkt seines Todes bereits zwei Achttausender bestiegen, die Bergführerausbildung absolviert, Expeditionen geleitet.
"Aber irgendwie geht es weiter. Ich habe mich in Aktivität gestürzt - und bin viel als Bergführer auf Reisen gefahren", erzählt Koblmüller. Auch für seine Frau war der Tod des Sohnes eine Katastrophe. Quergelegt, dass Edi und der zweite Sohn weiter in die Berge gehen, hat sie sich nicht - Elisabeth Koblmüller war selbst Kletterin und Bergsteigerin.
Bis sie 2003 bei einer banalen Übung auf einer Kletterwand im Pinzgau stirbt. Der richtige Sturz ins Seil, hundertfach erprobt. Doch irgendwo muss ein Fehler passiert sein. Elisabeth schlug mit dem Kopf auf - und starb Tage später, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben.
"Das Verlustgefühl beim Sohn war noch schlimmer, aber ich habe nach seinem Tod die Liesi zur Unterstützung gehabt. Als sie starb, war die Leere ärger." Wie viele Angehörige, die Menschen in den Bergen verloren haben, sagt auch Koblmüller, es sei ein Trost, dass beide bei etwas gestorben sind, was ihnen Freude bereitet hat. "Jeder hat seine Zeit - und irgendwann ist der Sand halt durchs Sanduhrenglas durchgeronnen."
Erklärungen
Was sind schon 25 Jahre in der Geschichte der Menschheit? Ist es da nicht irgendwie egal, ob man 25 oder 65 wird? "Aber das sind hilflose Versuche einer Erklärung", reflektiert Koblmüller. "Weil kein Mensch, kein Pfarrer und auch kein Psychologe, kann mir erklären, warum mein Bub gestorben ist. Der ist vielleicht nur zehn Zentimeter zu weit in die Flanke gegangen."
Doch das Gedankenspiel mit dem "Was wäre wenn" liefert keine Linderung: "Er hat eben diesen entscheidenden Schritt gemacht."
Der Tod am Berg kann gnädig sein, vor allem wenn er schnell geht. Wirklich Sterben will ihn wohl kein einziger Alpinist. "Die Vorstellung vom eigenen Tod hat etwas Schreckliches an sich", sagt Koblmüller. "Aber wenn ich es ruhig durchdenke: Es ist mir sympathischer, einmal zynisch gesagt, ich stürzte irgendwo am Berg ab, anstelle mit 85 Jahren jahrelang in einem Pflegeheim dahinzuvegetieren. Das ist die viel schrecklichere Vorstellung."
Nachhören
Der Tod am Berg ist ein allgegenwärtiger, nicht nur unter Extrembergsteigern: Alleine in den österreichischen Bergen sterben im Schnitt pro Jahr rund 300 Menschen. Dabei sind allerdings auch Unfälle auf der Skipiste, bei der Jagd, beim Paragleiten oder bei Forstarbeiten miterfasst, zudem ist gut ein Viertel der Opfer Herzkreislauf-Versagen geschuldet.
Extrembergsteiger setzen sich zwar anderen Risiken aus, als der "Sonntagsbergsteiger", für betroffene Angehörige macht das aber wenig Unterschied. Die "Schicksalschläge am Berg" waren jüngst Thema einer Diskussionsrunde beim Alpingipfel "International Mountain Summit" im Südtiroler Brixen. Die Diskussion - unter anderem mit der Witwe des 2008 am Nanga Parbat verunglückten Extrembergsteigers Karl Unterkircher oder dem österreichisch-schweizerischen Höhenmediziner und Bergsteiger Oswald Oelz - kann im Internet nachgehört werden. Sie dreht sich nicht nur um den Umgang mit Bergkatastrophen, sondern auch um die Frage, was Alpinisten antreibt.
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