Im Irak dämmern neue Krisen herauf

Zehn Jahre nach Beginn der US-Invasion: Gewalt, Regierungskrise und Proteste – von Stabilität ist der Irak weit entfernt.

Es gehört zu einer gewissen Routine, wenn in Bagdad Bomben explodieren und Blut über den Asphalt fließt. Wenn Bewaffnete Ministerien angreifen, Rauchsäulen aufsteigen und Hubschrauber über der Stadt kreisen. Genau zehn Jahre ist es her, dass die USA den Krieg gegen den Irak begannen. Von einem Anstoß zur Demokratisierung des gesamten Nahen Ostens war damals die Rede. Vom bevorstehenden reihenweisen Fall arabischer Despoten und dem Einzug der gesamten Weltgegend in ein leuchtendes Zeitalter von Demokratie und florierendem wirtschaftlichen Liberalismus. Es sollte anders kommen.

Zehn Jahre danach steht an der Spitze des Staates zwar eine Regierung unter Premier Nuri al-Maliki, die gewählt wurde. Aber eine, die vor allem eine Bevölkerungsgruppe vertritt: Die Schiiten. Und das tut sie in einem Ausmaß, das gerade in den vergangenen Wochen massenweise Sunniten auf die Straße trieb, um gegen die aus ihrer Sicht vor sich gehende schleichende iranische Besatzung zu demonstrieren. Zu Milizen und religiösen Machtzirkeln sind in den vergangenen zehn Jahren zwar immerhin Parteien hinzugekommen. Aber gewählt wird überwiegend entlang ethnischer und religiöser Kriterien.

Während Sunniten und Schiiten sich anhaltend in den Haaren liegen, sind die Kurden die Gewinner der vergangenen zehn Jahre. Sie konnten ihre bereits zuvor bestehende Autonomie weiter stabilisieren. Im Windschatten des Bürgerkriegs im Rest des Landes hat sich das autonome Gebiet im Norden als wirtschaftliches Sprungbrett für ausländische Unternehmen im Irak etabliert. Nur wenige Ausländer gehen nach Bagdad – wenn es ihr Geschäftszweig erlaubt, lassen sie sich stattdessen in Erbil nieder. Aus Gründen der Sicherheit.

Zugleich sehen die Menschen im Rest des Landes wenig von den wieder üppig sprudelnden Öl-Einnahmen. Und auch sonst wenig von ihrer Regierung. Strom gibt es immer wieder einmal – oder auch nicht. Und ebenso ist es mit staatlichen Leistungen.

Womit die Regierung dagegen in Erscheinung tritt, sind Streitigkeiten, Korruption oder wie zuletzt haarsträubende Berichte über Folter oder Gräueltaten von Milizen. Gruppen im Verband der Polizei, die de facto aber dem Kommando mächtiger Schattenherren stehen.

Der politische Machtkampf zwischen den politischen Lagern geht so weit, dass die irakischen Behörden im Dezember 2011 einen Haftbefehl gegen den sunnitischen Vizepräsident Tariq al-Hashimi erließen. Der Vorwurf lautet, unter seiner Deckung hätten sich sunnitische Todesschwadronen formiert. Hashimi floh in den kurdischen Norden und lebt heute in Ankara. Hintergrund aus Sicht der Sunniten: Ein Rachefeldzug des Schiiten Maliki.

Krisenherd Syrien

Mit dem Krieg im benachbarten Syrien, wo der Aufstand der Regimegegner zunehmend zu einem Aufstand der Sunniten wird, erhält diese Gemengelage im Irak neuen Zündstoff. Dieser Tage marschiert die Opposition gegen die Regierung. Sie fordert die Freilassung Gefangener, ein Ende der nach ihrer Ansicht von Denunzianten ausgenutzten Anti-Terror-Gesetze und eine Rehabilitierung von Funktionären der Ära Saddam Hussein – überwiegend Sunniten, die bis heute nicht im Staatsdienst tätig sein dürfen. Bei Demonstrationen sprechen Redner von einem „heiligen Krieg“ gegen die Regierung. Und es wäre nicht der Irak, wenn bei Kundgebungen nicht auch Bomben gefunden worden wären, die Oppositionelle hätten töten sollen.

Premier Maliki machte kleine Zugeständnisse. 1600 Beamten aus der Saddam-Ära wurde eine Pension zugesprochen und 3000 Gefangene kamen frei. Aber Malikis Regierung bröckelt. Und sein mächtigster Bündnispartner, der schiitische Prediger, Milizenchef und Machtstratege Muktada al-Sadr, machte seine Position klar: Seine Minister würden die Regierung sofort verlassen – und damit stürzen –, sollte auf Forderungen der Opposition eingegangen werden.

Millionen Amerikaner würden den Irak-Krieg am liebsten aus ihrer Erinnerung streichen: Selbst aus den Reihen der konservativsten Republikaner sind keine Stimmen mehr zu vernehmen, die den Kriegseinsatz im Zweistromland im nachhinein noch rechtfertigen. Dass man den Krieg „verloren“ habe, spricht so deutlich zwar kaum jemand aus. Doch einig sind sich die meisten US-Bürger heute darin, dass man den Feldzug gegen den Irak und dessen Diktator Saddam Hussein erst gar nicht hätte beginnen sollen.

Heute weiß man, dass alle Argumente der Bush-Regierung für den angepeilten Krieg falsch waren: Die vermeintlichen Massenvernichtungswaffen in den Händen des irakischen Diktators Saddam Hussein hatte es nicht gegeben. Und auch dessen vermutete Zusammenarbeit mit dem Terrornetzwerk El Kaida hatte sich nachweislich als unrichtig herausgestellt.

Doch damals, im anhaltenden Schock über die Terrorangriffe von 9/11 war es für Bushs Falken ein Leichtes gewesen, die Kriegstrommeln zu rühren. Mit nur wenigen Gegenstimmen (der damalige Senator Barack Obama war eine davon) gab der Kongress grünes Licht zum Losschlagen, die Bevölkerung trug die Kriegsstimmung mehrheitlich mit.

Erst als sich zeigte, dass die USA das Land zwar militärisch schnell erobern, seine zerfallenen Strukturen aber nicht so rasch wie erhofft wieder aufbauen konnten, schlug die Stimmung in den USA um. Die Zahl der Gefallenen erhöhte sich jeden Tag um mehrere Dutzend – bis zum Abzug der amerikanischen Truppen im Jahr 2011 waren 4500 Soldaten gefallen und über 30.000 verwundet worden. Die Kosten des Waffengangs stiegen ins Astronomische, und das zu einem Zeitpunkt, als die USA auch noch in die Wirtschaftskrise schlitterten. Schätzungen beziffern die amerikanischen Ausgaben für den Irak-Einsatz mit mindestens 2.200 Milliarden Dollar (1.700 Milliarden Euro).

Terror als Antwort

Vor allem aber die Aussichtslosigkeit, den Irak zu befrieden und ihn in Richtung einer stabile Demokratie zu führen, zog den Amerikanern den Kriegsnerv. Der Terror der Aufständischen, die Kämpfe zwischen Sunniten und Schiiten und nicht zuletzt das Gefühl, den Todfeind Iran indirekt gestärkt zu haben, stärkte die Zweifel von Millionen Amerikanern: „Was suchen wir dort? Holen wir unsere Truppen heim.“

US-Präsident Obama machte sein Wahlversprechen wahr und zog die amerikanischen Truppen Ende 2011 aus dem Irak ab. Geblieben sind amerikanische Konzerne wie etwa Halliburton, die heute mit dem Wiederaufbau der irakischen Ölindustrie Milliarden umsetzen. Der Irak förderte 2012 mit einer Tagesquote von 3,35 Millionen Barrel so viel Öl wie seit 30 Jahren nicht mehr.

Ein Jubiläum, aber kein Grund zum Feiern: Am 20. März jährt sich die US-Invasion im Irak zum zehnten Mal. Weil das Land angeblich Massenvernichtungswaffen besaß, erklärten die USA Machthaber Saddam Hussein 2003 den Krieg. Ohne UNO-Mandat, dafür mit Unterstützung der Briten. Der Diktator wurde gestürzt und hingerichtet - das Waffenarsenal nie gefunden. Mehr als hunderttausend Menschen kamen in den Wirren des Krieges ums Leben. Die letzten US-amerikanischen Truppen zogen Ende 2011 ab.

Der Irak kämpft noch heute mit den Folgen der Invasion: Anschläge, Strom- und Wassermangel beherrschen den Alltag. Bagdad gilt als eine der gefährlichsten Städte der Welt.

Der KURIER erzählt den Irakkrieg anhand der wichtigsten Ereignisse in einer interaktiven Chronologie.

Kommentare