Bei den Uiguren: Wie China die Unruheprovinz "beruhigt" hat

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Proteste, aber auch Zwangsarbeitslager im äußersten Westen Chinas - das war einmal. Peking nutzte Digitalisierung, Überwachung und Modernisierung, um die Unruheprivinz Xinjiang zu stabilisieren.

Windräder, Windräder, ein ganzer Wald davon. Weit mehr als 120.000 müssen es sein, links und rechts entlang der sechsspurig ausgebauten, brandneuen Autobahn durch die kahle, rostbraune Landschaft nördlich der Stadt Urumqi. Hier, wo einst Nomaden durchzogen, wo das Volk der turksprachigen Uiguren die Region beherrschten, vollzieht sich Chinas rasantester Umschwung ins Digitalzeitalter. Ein funkelnagelneues KI-Rechenzentrum wird mitten in die Steppe gesetzt. Seinen enormen Energieverbrauch von jährlich bis zu 10 Milliarden Kilowattstunden (etwa ein 60tel des österreichischen Stromverbrauchs) will der Wanjiang Green Computing Industrie-Park möglichst bald zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen speisen. 

Überhaupt soll sich die ganze Provinz Xinjiang, im Nordwesten Chinas, vom einstigen, schmutzigen Kohlebecken der Volksrepublik zum Ökostrom-Zentrum wandeln. 58 Prozent seines Stromverbrauchs bezieht die Region, 20 Mal größer als Österreich, bereits aus grünen Quellen: Gigantische Solaranlagen zeugen davon: Nahe Xinjiangs Hauptstadt Urumqi hat China mit 200.000 Hektar im Vorjahr die weltgrößte Solaranlage in Betrieb genommen.

Unruheprovinz Xinjiang

Dass sich dieser gewaltige Kraftakt gezielt in der Unruheprovinz Xinjiang vollzieht, ist kein Zufall: Mit riesigen staatlichen Förderungen, mit einem Modernisierungsschub und besonders mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) will die Volksrepublik nicht nur die Wirtschaft in der neben Tibet ärmsten Region des Landes ankurbeln, sondern ihr jeglichen Grund für politische Unruhe nehmen. 

„Wir haben in den vergangenen Jahren drei Millionen Menschen aus der Armut befreit“, schildert Chen Xueliang. Von Unterdrückung, gar Verfolgung der muslimischen Minderheit der Uiguren, will der Vize-Chef der Öffentlichkeitsarbeit der Kommunistischen Partei von Xianjiang nichts wissen. „Alles Fakes news“, weist er westliche Medienberichte zurück. „Alle Minderheiten bei uns sind gleich gut geschützt.“ Und was ist mit den auch in einem UNO-Bericht dokumentierten ehemaligen Zwangsarbeitslagern, in denen es zu Prügel, Folter und Zwangssterilisierungen gekommen sein soll? Sichtlich beherrscht lächelt Chen Xueliang die Frage weg und versichert: „Es gibt nur Ausbildungsstätten, wo Minderheiten Handwerk und Mandarin lernen.“

Nach Terroranschlägen islamistischer Extremisten vor rund zehn Jahren griff Pekings Führung in Xianjiang hart durch. Allerdings blieb es nicht bei gezielten Antiterrormaßnahmen oder der Überwachung uigurischer Separatisten. Hunderttausende Uiguren und Uigurinnen  wurden in die gefürchteten Umerziehungs- und Internierungslager verschleppt, viele Menschen gelten bis heute als vermisst. Der politische Druck auf westliche Investoren in ihrer eigenen Heimat wurde groß, sich aus Xinjiang zurückzuziehen, im Vorjahr schloss VW sein Werk in Urumqi.

Daily life in Kashgar

Mit großer Mühe und freundlich orchestrierter Begleitung versucht China nun zu beweisen, dass das Gegenteil der Fall ist: Im Bazar Urumqis tratschten die Händler auf uigurisch miteinander, in der Moschee in Kashgar versichert der Imam: „Jede Religion in China wird akzeptiert und geschützt.“ Was der Imam, der seine Worte in Anwesenheit von mehr einem Dutzend staatlich- offizieller Begleiter nicht sagt: Dass in Xinjiang Kopftuchverbot herrscht, ebenso wir das Tragen „auffällig langer Bärte“. Dass sich im Haupteingang in der großen Moschee in Urqumqi eine Reihe von Souvenirläden befinden, während man in die Moschee nur über den videoüberwachten Seiteneingang kommt. Ausländische Besucher haben dabei ihren Pass abzugeben und scannen zu lassen.

Einheimische Gläubige sind den Behörden ohnehin längst bekannt –  über die unzähligen Videokameras, die Gesichtserkennungssoftware, überwachte Telefone und Social Media-Nutzung . Sämtliche Details des täglichen Lebens werden lückenlos erfasst. Die Totalüberwachung wirkt – so sehr, dass China heute keine Unruhen mehr fürchten muss.  Im Gegenteil – gezeigt wurde etwa jüngst einer Delegation von Unternehmern des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes Wien (SWV) ein friedliches, stabiles Xinjiang.  Von Seiten der österreichischen Gäste gab es keine Befürchtungen, in politische Schwierigkeiten, involviert zu werden. "Wir setzen uns dafür ein", sagt Elisabeth Hakel, Geschäftsführerin des SWV, "dass Wirtschaftsbeziehungen auf Augenhöhe geknüpft werden unter Einhaltung der Menschenrechte, der Fairness und des Umweltschutzes."

„Sie bemühen sich sehr, ihr beschädigtes Image zu reparieren“, sagt hingegen der uigurisch-amerikanische Anwalt und Politikberater Nury Turkel im Gespräch mit dem KURIER. „Ihre offizielle Botschaft lautet jetzt: Alles sei wunderbar, die Leute seien glücklich, tanzen, singen, tragen bunte Kleidung, essen reichlich. Das – so meinen sie – seien die Menschenrechte.“ Aber, so Nury Turkel weiter, "die chinesische Führung nutzt das Leben der Uiguren als Testlabor für digitalen Autoritarismus. Jeder Aspekt des Lebens wird überwacht, kontrolliert und Profilen zugeordnet. Diese Daten werden sogar für die KI-Forschung genutzt."

Wer Uiguren im Bazar von Urumqi anspricht, hat schnell wieder die freundlichen chinesische Begleiter zur Seite. Auch Polizisten sind dann nicht mehr weit entfernt. 

Einfacher ist  es da schon, mit Uiguren zu sprechen, die sich im Rahmen des Besuchsprogramms westlicher Besucher vorstellen. Mit Abouwaliyakup etwa.

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Uigurischer Arbeiter in der GAC-Autofabrik in Urumqi, Xinjiang: Abouwaliyakup 

Seit sieben Jahren arbeite er schon in der E-Auto-Fabrik GAC in Urqumqi, erzählt er bereitwillig. Außerdem sei er Influencer, sagt der junge Mann, drehe Videos auf uigurisch, und nein, Benachteiligung gebe es für ihn als Uiguren keine.

Sehr viel verschreckter wirkt hingegen schon Baumwollbauer Dana Bek. "Ich gehöre der Minderheit der Kasachen an", sagt er zögernd, während Cao Heng von der örtlichen Agrarbehörde zunächst mahnt, "nicht Lügen über Xinjiang zu schreiben" und dann schildert, was es mit dem  50 Hektar großen Baumollfeld hier auf sich hat:  Nur zwei Menschen seien für die Betreuung des Feldes nötig: Alles sei automatisiert - säen, düngen, wässern, ernten. Alles mit Hilfe von Drohnen, und der chinesischen KI Deep Seek. "Und das passiert mittlerweile auf 100 Prozent unserer Baumwellfelder so", versichert Cao Heng stolz.  

Das KI-Zeitalter ist in Xinjiangs rückständige Landwirtschaft eingezogen, vom händischen Ernten weg wird das Land in Lichtgeschwindigkeit in die Moderne gebeamt.

Zum neuen, sauberen Image der ehemaligen Unruheregion passt auch, dass Xinjiang - ebenso wie Tibet - zu einer Traum-Urlaubsdestination für Chinesen stilisiert wurde. Über 300 Millionen Ankünfte wurden im Vorjahr verzeichnet, dafür in Blitzgeschwindigkeit modernste Flughäfen, Superschnellzugstrecken und Straßen gebaut.

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Folkloristische Tanzeinlagen haben mit uigurischer Tradition wenig zu tun

Die Yaks, die Kamele, die Uiguren, die Tradition - das gibt es meist nur noch als folkloristische Tanzshows zu sehen.

Und doch hat sich das ultramoderne China, wie es in Shanghai oder den anderen Millionenmetropolen zu sehen ist, in Xinjiang noch langer nicht durchgesetzt. Im Hotelbereich etwa, wie der Kärntner Hotelier Bernd Hinteregger, Besitzer von vier HB1 Design & Budget Hotels, bei seinem Besuch in Xinjiang beobachtet hat. "Von dem, was ich mir am modernen China erwartet habe, ist man hier noch weit entfernt. In den Hotels hier habe ich keine Saugroboter gesehen, keine Gastronomie-Produktionsroboter, und auch mit den Übersetzungsapps gibt es noch große Probleme."

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