Wie sich die Opposition an Putin aufreibt
Aus Moskau von Maxim Kireev
Wer ist denn hier eigentlich gegen Putin? Müsste man das wichtigste Wahlkampfthema in der russischen Präsidentenkampagne benennen, so wäre diese Frage ganz oben auf der Liste. Vor allem in den täglichen Wahldebatten, die das Staatsfernsehen übertragen hat, ging die Diskussion bis an die Schmerzgrenze.
Irgendwann platzte Xenia Sobtschak der Kragen. Dann rannte sie wutentbrannt und unter Tränen aus dem Studio. "Diese Männer hier", gemeint waren die anwesenden Gegenkandidaten, "sind nicht gegen Putin, sie sind gegen mich", hatte die Präsidentschaftsanwärterin wenige Augenblicke zuvor in die laufende Kamera geklagt. Auch weil allen voran der ultrarechte Politikveteran Wladimir Schirinowski seine Gegnerin als "Nutte" beschimpft hatte. Und auch, weil die anderen Männer im Studio jede Chance ergriffen, um Sobtschak dazwischenzureden.
Mal wieder ist der Politikbetrieb für die meisten Russen vor allem eines: ein großer Zirkus. Da beschütten sich politische Gegner vor laufenden Kameras mit Wasser, lassen übelste Schimpftiraden aufeinander ab oder gehen gar mit Fäusten aufeinander los. Und über all dem thront der Zar Wladimir Putin, der sich bei keiner einzigen Fernsehdebatte persönlich gezeigt hat, sondern nur seine sogenannten Vertrauenspersonen vorschickte.
Uneinholbar
Kein Wunder also, dass in den letzten Umfragen, Wladimir Putin uneinholbar scheint. Nach Angaben des staatlichen Instituts WZIOM wird der Amtsinhaber am heutigen Wahltag bis zu 70 Prozent der Stimmen für sich beanspruchen können. Während keiner seiner Gegner auch nur mit zehn Prozent rechnen kann.
Warum sollten also oppositionell gestimmte Russen überhaupt wählen gehen, wenn doch alles entschieden ist und Putin als Sieger schon feststeht, bevor die Wahllokale geöffnet haben. Für Andrej, 41, Journalist aus Moskau, hat sich diese Frage von Anfang an nicht gestellt.
"Ich gehe immer wählen und werde es auch dieses Jahr machen", sagt der Moskauer. Seine Sympathien gehören jenen Kandidaten, die sich selber als demokratisch bezeichnen. "Wenn zum Beispiel Sobtschak mehr als nur zwei, drei Prozent holt, dann könnte das durchaus die Regierungskonstellation beeinflussen", hofft er.
Darja, 28, Social-Media-Managerin, hofft ihrerseits dass sie mit ihrer Stimmenabgabe verhindern kann, dass ihr Wahlzettel für Manipulationen benutzt wird. Vor allem bei der letzten Wahl meldeten Wahlbeobachter massenweise Verstöße. Etwa als leere Wahlzettel am Ende benutzt wurden, um Putins Stimmenanzahl zu erhöhen.
"Zumal ich auch zeigen will, dass es Menschen gibt, die mit Putin nicht einverstanden sind. Es wäre schon toll, wenn Putin weniger Stimmen holt als beim letzten Mal."
Alexandra, 31, Malerin aus Sankt-Petersburg, will dagegen auch ihr eigenes Gewissen beruhigen. "Ich finde es absurd, wenn man ständig über den Zustand des Landes jammert und dann nichts unternimmt. Wenn ich zur Wahl gehe, dann habe ich zumindest das, was von mir abhängt, getan", erklärt die Russin und erinnert an die Kommunalwahlen im vergangenen Jahr, als in Moskau die Opposition überraschend gut abschnitt und in einigen Wahlbezirken die Regierungspartei Einiges Russland in schwere Bedrängnis bringen konnte.
Dass es bei dieser Wahl dazu reichen könnte, Wladimir Putin in Bedrängnis zu bringen, das glauben nicht einmal seine Gegenkandidaten selbst. So wirbt etwa der linksliberale Grigorij Jawlinski mit dem Slogan "Zehn Prozent für Jawlinski können das Land verändern".
In einem Interview mit dem russischsprachigen Nachrichtenportal Meduza erklärte Jawlinskis Wahlkampfleiter Nikolai Rybakow vor wenigen Tagen, er hoffe darauf, dass der künftige Präsident den Ideen eines Kandidaten, der mehr als zehn Prozent bei der Wahl bekommen hat, Rechnung tragen werde. "Wenn ein Stalinist, Nationalist oder Kommunist diese Hürde knackt, braucht man sich nicht zu wundern, dass der Präsident eine eben solche Politik durchführt", meint Rybakow.
Ob diese Rechnung aufgeht, steht jedoch in den Sternen. Nicht zuletzt deswegen macht sich vor allem in den Großstädten des Landes Politikverdrossenheit breit. In der zweitgrößten Stadt Russlands, Sankt-Petersburg, könnte die Wahlbeteiligung nur bei knapp über 50 Prozent liegen, prognostiziert etwa die russische Stiftung zur Entwicklung der Zivilgesellschaft. Das wären fast 15 Prozentpunkte weniger, als die Prognose für den Landesdurchschnitt. Zumal der wichtigste und populärste oppositionelle Kandidat, Alexej Nawalny, der 2013 bei den Bürgermeisterwahlen in der Hauptstadt Moskau 27 Prozent der Stimmen holte, von der Wahl diesmal ausgeschlossen bleibt und deshalb zum Boykott des Urnengangs aufruft. Gegen seine Anhänger ging die Polizei gestern massiv vor. Büros der Bewegung wurden durchsucht, einige Aktivisten verhaftet.
Von Kremls Gnaden
Für die als liberale Kandidatin von Kremls Gnaden verschriene Xenia Sobtschak ist die Boykott-Idee dagegen keine Alternative. "Das ist absurd. Die Taktik, zu Hause zu sitzen und nichts zu unternehmen, hat noch nie etwas gebracht", sagte die Präsidentschaftsanwärterin vor wenigen Wochen.
Stattdessen macht sie sich lieber öffentlich Gedanken, wie es mit ihrer politischen Karriere nach der voraussichtlichen Wahlniederlage am Sonntag weitergehen soll. Erst am Donnerstag rief sie, zusammen mit dem einstigen Duma-Abgeordneten und heutigen Oppositionellen, Dmitrij Gudkow, die Partei der Veränderungen aus. Das erklärte Ziel: Bei der Dumawahl 2021 soll es die Partei es aus dem Stand heraus ins russische Parlament schaffen.
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