Totalüberwachung in Russland: Putin liest jetzt bei jeder Nachricht mit

Illustration of Russian messenger application MAX
Neue Super-App. Whatsapp und Telegram sollen in Russland bald Geschichte sein. Dafür lässt der Kreml eine neue Staats-Messenger-App auf allen Smartphones vorinstallieren, die die Russen ausspioniert – als Vorbild dient China.

"Es ist ein Wahnsinn“, schreibt Influencerin Valja Karnaval. Gepostet hat sie dazu ein Bild von sich im Luxuscabrio, der Ausschnitt tief, der Blick verträumt. „Telefonate mit Max sind wie echte Gespräche – sogar in Bewegung und im Lift.“

Max, das ist Russlands neue Super-App. Glaubt man Sternchen wie Karnaval und anderen russischen Musikern und Bloggern, ist der Messenger die bessere Alternative zu Whatsapp oder Telegram: Seit einigen Wochen propagieren die Prominenten auf allen Kanälen die App, mit der man bald nicht nur telefonieren und chatten, sondern auch bezahlen und sogar Behördenwege erledigen können soll. Ein gut bezahlter Liebesdienst für den Kreml.

Spionageinstrument

Unerwähnt bleibt nur, dass Max bald die einzige Option für die Russen sein könnte. Der Kreml hat schon lange ein Problem mit Apps, die im Ausland entwickelt wurden und deshalb den Moskauer Überwachungs- und Zensurvorstellungen nicht folgen; Facebook, Instagram, X und YouTube wurden daher seit 2022 sukzessive gesperrt. Jetzt scheint der letzte digitale Rückzugsort der Russen an der Reihe zu sein: Whatsapp und Telegram funktionieren nur mehr eingeschränkt, eine Totalsperre steht im Raum.

Mit Max sollen die Russen nun komplett gläsern werden, ganz nach chinesischem Vorbild. Die App, die seit 1. September auf jedem neuen Smartphone vorinstalliert sein muss, kann nur mit einer russischen oder belarussischen Simkarte benutzt werden. Für die muss man aber mit Pass bei der Behörde vorstellig werden und seine biometrischen Daten hinterlegen, also Fingerabdrücke, Stimmprobe und Aufnahmen vom Gesicht. So werde die App zum perfekten Spionageinstrument: „Es ist, als ob man sich einen persönlichen Polizisten auf dem Handy installiert, der Dich rund um die Uhr verfolgt“, sagt IT-Experte Michail Klimarjow in einem Video der Menschenrechts-NGO OWD Info. „Die App hat Zugriff auf alle Chats, alle Kontakte, und sie kann den Standort bis auf wenige Meter genau orten.“ Über Putin lästern oder gar einen Protest planen, ist damit komplett unmöglich.

Für „echte“ Russen

Daraus machen die Entwickler aber kein Geheimnis, im Gegenteil. Weil sich auf Whatsapp und Telegram angeblich Betrugsfälle häuften, sei die „Transparenz“ bei Max nur im Sinne der Bürger, heißt es vom kremlfreundlichen Techriesen VK, der die App entwickelte. Dazu wird Max als Angebot für „echte“ Russen propagiert, als Instrument der nationalen Identität: „Chochly“, wie Putins Propagandisten Ukrainer abfällig nennen, würde man auf Max nämlich keine finden, sagte einer der App-Entwickler jetzt in einem Interview.

Doch ob die Werbung zieht, ist fraglich. Gerade Telegram, eine russische Erfindung, ist für viele in Militär und Putins Dunstkreis bevorzugtes Kommunikationsmittel, gerade weil es verschlüsselt ist. In Verruf geriet es nur, als Gründer Pawel Durow in Frankreich verhaftet wurde – seither soll seine Firma mit EU-Behörden kooperieren, was dem Kreml nicht gefällt. Dazu kommt, dass selbst die mächtigste Behörde den Dienst nicht einfach abdrehen kann: Als man vor einigen Jahren versuchte, Telegram an die Kandare zu nehmen, stöhnte die Wirtschaft im ganzen Land – die Blockade führte zu Ausfällen von E-Payment-Diensten und Kundendiensten, das wäre bei einer Totalsperre wohl noch schlimmer.

Das scheint auch dem Kreml bewusst zu sein. In Staatsunternehmen, Behörden und Schulen werden Angestellte und Eltern darum gezwungen, auf Max umzusteigen; auch Banken und Onlinehändler drängt man, Bestätigungscodes nur mehr über Max zu verschicken. 30 Millionen User will der Techgigant VK bisher überzeugt haben.

Damit will der Kreml erreichen, was China mit WeChat gelungen ist: ein digitales Ökosystem zu spannen, ohne das die Bürger nicht mehr zahlen, sich unterhalten, ihr Leben organisieren können. Allerdings war WeChat in China schon weit verbreitet, bevor der Staat es für seine Zwecke genutzt hat.

Im Netz häufen sich daher die Witze. Lächerlich finden viele, dass der Staat einfach populäre Channels von Telegram klont und sie ohne Wissen der Betreiber auf Max stellt. Auch das primitive Marketing amüsiert: In Anlehnung an Influencerin Valja Karnaval schrieb der prominente Streamer JesusAVGN: „Mit Max werden dich die Behörden sogar im Lift erwischen.“

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