Weniger Migranten, mehr Streit: Wo es bei der EU-Asylpolitik gerade kracht

Er gilt als einer der am mühsamsten erkämpften und zugleich als eine der wichtigsten Errungenschaften europäischer Politik der vergangenen Jahre: der Asyl- und Migrationspakt. Zusammen mit der Rückführrichtlinie soll er die illegale Migration in die EU unter Kontrolle bringen und damit den politischen Vormarsch der Rechtspopulisten in Europa bremsen. Doch ein Jahr nachdem das Gesetzespaket beschlossen wurde, kracht es wieder – und das obwohl die Zahl der Migranten im Vergleich zum Vorjahr um fast ein Drittel gesunken ist. Bei einem Treffen der EU-Innenminister am Dienstag kam es statt zu Beschlüssen zu Auseinandersetzungen. Auch Österreich legt sich in entscheidenden Fragen quer. Wo spießt es sich gerade bei diesem zentralen Projekt der EU-Politik?
Was ist der aktuelle Streitpunkt?Der heftigste Konflikt ist um die gegenseitige Übernahme von Flüchtlingen ausgebrochen. Die sogenannte „Solidaritätsklausel“ des Paktes regelt die Hilfe für einen Staat, der einen besonders heftigen Zustrom von illegalen Migranten erlebt, wie zuletzt Italien. Ruft dieser Staat den Asylnotstand aus, sind die anderen EU-Staaten verpflichtet, diesem zu helfen. Entweder indem sie Migranten übernehmen, oder indem sie Sicherheitskräfte und Geld zur Unterstützung schicken. Doch diese Klausel stößt auf wachsenden Widerstand. So hat Polen gerade der EU-Kommission angekündigt, dass es bei dieser Klausel nicht mehr mitmachen werde. Auch Österreich will diese Klausel nicht umsetzen. Man beruft sich auf die große Zahl von Migranten, die man in den vergangenen Jahren zu bewältigen hatte. Diese Leistung müsse stärker berücksichtigt werden.
Wo kracht es noch? Die Rückführrichtlinie soll dafür sorgen, dass abgelehnte und noch mehr straffällige Asylwerber leichter festgehalten und schneller abgeschoben werden können. Schließlich wird derzeit gerade einmal jeder fünfte abgelehnte Asylwerber tatsächlich abgeschoben. Eine wichtige Voraussetzung für diese Richtlinie ist, dass jeder EU-Staat automatisch den Entschluss eines anderen EU-Staates anerkennt, einen Asylwerber abzuschieben. So kann sich dieser dem Verfahren nicht durch einen Ortswechsel entziehen. Doch viele EU-Staaten wollen diese automatische Anerkennung nicht, da Recht und Gesetz der einzelnen Staaten zu unterschiedlich seien. Eine freiwillige Anerkennung, wie sie als Kompromiss gehandelt wird, löst das Problem nicht.
Was wird aus den Lagern außerhalb Europas?Italiens Premierministerin Giorgia Meloni ist ja mit einem Projekt vorgeprescht, das eigentlich EU-rechtswidrig ist: einem Lager für illegale Migranten in Albanien, also außerhalb der EU. Trotzdem haben sich mehrere EU-Staaten ausgesprochen positiv über das Projekt geäußert und wollen ähnliche Pläne verfolgen: etwa Österreich, die Niederlande oder Deutschland. Österreichs Innenminister Gerhard Karner hat etwa über mögliche Lager in Ruanda gesprochen, andere EU-Staaten haben Uganda, oder Balkanländer im Visier. Auch EU-Migrationskommissar Magnus Brunner hat sich grundsätzlich offen gegenüber solchen Modellen gezeigt.
Was sind Österreichs wichtigste Forderungen?Der Innenminister will vor allem rasch Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan vorantreiben. Nach Syrien hat man ja zuletzt bereits straffällige Asylwerber zurückgebracht. Auch mit Afghanistan und den dort herrschenden Taliban ist man in dieser Sache in Kontakt. Unterstützt wird man dabei vor allem von der deutschen Bundesregierung, die ähnliche Pläne verfolgt. Allerdings sind diese Abschiebungen durch das geltende Asylrecht nicht gedeckt. Das sieht nämlich vor, dass auch ein Krimineller nicht in sein Herkunftsland abgeschoben werden darf, wenn ihm dort menschenunwürdige Behandlung droht. Eine Änderung ist schwer durchzusetzen.
Gibt es eine Chance auf einen Kompromiss? Zumindest wird es sehr schwierig, weil sämtliche Streitpunkte den praktischen Umgang mit illegaler Migration in den einzelnen Staaten maßgeblich beeinflussen. Daher geht jedes EU-Land in diesen Fragen ganz betont seinen eigenen Weg. Beim Gipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs nächste Woche wird man versuchen, die Blockade zu lösen.
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